Die Sommerzeit ist überflüssiger als ein Kropf

Ein Lehrstück in repräsentativ-demokratischer Realität

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Same procedure as every year: Zu Ostern wurde wieder in ganz Europa die Sommerzeit eingeführt: eine Paradeleistung der europäischen Integrationspolitik. Alle Länder Europas außer Russland verordnen ihren Bürgern zweimal im Jahr erst die Winter- und danach wieder die Sommerzeit: ein Ärgernis, das immer mehr Menschen auf die Palme bringt.

Der Vorgang, durch den ganz Europa alle halbe Jahr dem Wettergott ins Handwerk pfuscht, eignet sich hervorragend dafür, exemplarisch an einem leicht nachvollziehbaren Beispiel zu zeigen, wie verfahren die europäische Politik ist und wie wenig Chancen bestehen, je aus der Sackgasse je wieder herauszukommen, obwohl es sich bei der Sommerzeit doch politisch eher um eine Marginalie handelt.

Bild: Daniel FR, Plenz. Lizenz: Public Domain.

Theoretisch könnte man das auch an hochkomplexen politischen Zusammenhängen illustrieren. Aber hochkomplexe Zusammenhänge eignen sich nicht als politisches Lehrstück.

1980 führte Deutschland die Sommerzeit als Nachwirkung der Ölkrise von 1973 ein. Eine pompös proklamierte Maßnahme der Energiepolitik. Zur Begründung hieß es, dass man mit der Regelung durch bessere Nutzung des Tageslichts Energie sparen könne. In der Ölkrise der 1970er Jahre setzte sich die Idee in ganz Europa durch. Es dauerte noch viele Jahre, bis 1996 schließlich alle Sommerzeiten in Europa vereinheitlicht wurden.

Eigentlich hätte man das auch damals schon als Unsinn erkennen können: Wenn es morgens früher hell wird, wird es abends auch früher dunkel. Man braucht nicht unbedingt ein vollständiges Physikstudium, um diese Erkenntnis mit Hilfe einer nicht übermäßig anstrengenden Betätigung des eigenen Kopfes zu Stande zu bringen. Doch der Hang demokratischer Gremien, sich im Wege des Groupthink, des kollektiven Irrsinns, an absurden Schnapsideen festzubeißen, setzt sich immer wieder machtvoll durch. Damals galt als allgemeine Erkenntnis, dass die fossilen Brennstoffe endlich und in wenigen Jahrzehnten erschöpft sein werden. Man suchte also nach neuen Lösungen für ein schwieriges Problem.

Heute jedenfalls ist sicher, dass das zweimalige Hin und Her im Jahr immens schadet und überhaupt nichts nützt; denn die innere Uhr des Menschen hängt vom Sonnenaufgang und nicht von der Uhrzeit ab. Der Chronobiologe Till Roenneberg von der Münchener Ludwig-Maximilians-Universität nennt die Sommerzeit daher einen "von oben diktierten Eingriff in unser biologisches Zeitsystem" und behauptet gar, Folgen des "sozialen Jetlags" seien mehr Rauchen, mehr Alkohol und Kaffee trinken, Depressionen und Fettleibigkeit. Dies sind die Kernerkenntnisse aus Untersuchungen des Schlafverhaltens von 120.000 Menschen in Mitteleuropa.

Nachweise gibt es für einen Anstieg von Herz-Kreislauf-Erkrankungen und höhere Unfallraten infolge der Zeitumstellung. Die Forderung nach Abschaffung der Sommerzeit ist in absolut jeder Hinsicht gerechtfertigt. Nichts, aber auch absolut gar nichts spricht mehr dafür, sie beizubehalten. Es geht auch längst nicht nur darum, überflüssigen Aufwand zu vermeiden. Es ist auch längst belegt, dass die Sommerzeit keine Stromeinsparungen, wohl aber mehr Bürokratie und also höhere Kosten bringt.

Es geht mithin darum, massiven Schaden von der Bevölkerung Europas abzuwenden. Und genau das ist der Grund, weshalb die Sommerzeit auch in den kommenden Jahren beibehalten werden wird. Es geht tatsächlich bloß darum, Schaden von der Bevölkerung abzuwenden? Das ist doch für die politischen Repräsentanten in Deutschland und in Europa schon längst kein Grund mehr, irgendwie aktiv zu werden.

Neue Untersuchungen zeigen, dass sich die Zeitumstellung nicht nur kurzfristig schädlich für die Gesundheit ist und zu Schlafstörungen oder vermehrten Herzinfarkten führt. Vielmehr stört sie sieben Monate lang bis zum Anfang der Winterzeit die innere Uhr einer Mehrheit der Bevölkerung.

Das ursprüngliche Ziel, Energie einzusparen, wurde durch die Sommerzeit sowieso nicht erreicht. Tatsächlich ist die Energiebilanz sogar negativ, da das verschobene Aufstehen die Heizperiode verlängert, und nicht etwa verkürzt. So haben Wissenschaftler in Kalifornien 2008 durch dreijährige Beobachtung des Stromverbrauchs von sieben Millionen Haushalten in Indiana, wo die Sommerzeit erst 2006 eingeführt wurde, festgestellt, dass der Stromverbrauch nach der Umstellung auf die Sommerzeit um ein bis drei Prozent anstieg.

Die Autoren der Studie, die Wirtschaftswissenschaftler Matthew Kotchen und Laura Grant von der Universität von Kalifornien in Santa Barbara, berechneten zudem die Kosten der stärkeren Umweltverschmutzung für die Gesellschaft auf jährlich 1,6 bis 5,3 Millionen Dollar.