Die Stadt, diese schöne neue Welt
Seite 3: Wie kann eine Großstadt versorgt werden?
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- Stadtentwicklung: Die Flächennachfrage wird zunehmen
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Diese habe sich durch eine steigende Komplexität und Urbanisierung entwickelt, was dazu führte, dass man sich auf vorherige, analoge Wahrnehmungsformen nicht mehr verlassen konnte. Bereits lange vor der Erfindung des Computers wurde gerechnet, und zwar nicht einfach gezählt, sondern relational bestimmt, wie man sich das Verhalten sozialer Kollektive vorstellen muss.
Schon so banale Fragen, welche Verkehrswege und Anbauflächen man braucht, um eine Großstadt mit Getreide für Brot zu versorgen, kann sich nicht mehr auf die Erfahrungswerte früherer Sozialformen verlassen. Arbeitsteilung erfordert abstrakte Berechnung und Kalkulation.
Nun ist es ist keineswegs so, dass eine "smarte" zwangsläufig eine neugebaute Stadt sein muss. Wie digitale Technologien Einzug halten können in Baustrukturen, möchten etwa Berlins derzeit größte urbane Entwicklungsprojekte – Siemensstadt 2.0 sowie Urban Tech Republic TXL – zeigen.
Hier sollen "tradierte Formen" von Arbeiten, Wohnen und Produzieren überwunden, umweltschonende Mobilität, Recycling und die vernetzte Steuerung von Systemen implementiert werden. Dass solche Ansprüche formuliert werden, ist zunächst einmal zu begrüßen. Wie viel davon tatsächlich umgesetzt wird, ist fürs Erste dahingestellt. Zentral freilich scheint, dass es in beiden Fällen um eine gemischte Stadt geht.
Und um just diese Tendenz ist es eigentlich zu tun: Hybride Gebiete, geprägt von einer stärkeren Nutzungsmischung und strukturell-baulicher Neutralität. Ein aktuelles Beispiel dafür stellt das neue Oberhausener Jobcenter dar, mit einem 1.000 Quadratmeter großen Gewächshaus als Dach.
Was unter der Bezeichnung "Altmarktgarten" firmiert, mag zwar zunächst wenig spektakulär wirken. Es erweist sich aber auf den zweiten Blick als ausgetüfteltes Mischmodell, das ambitionierte ökologische Ziele und einen ausgeprägten Pragmatismus vereint. Etwa, indem die Abwärme aus dem Hausinneren eingesetzt wird, um die Pflanzen auf dem Dach zu kultivieren.
Hier greifen so unterschiedliche Sphären wie Nutzerpräferenzen, Haustechnik und Forschungsfragen auf sinnige Weise ineinander. Ein entschiedener zusätzlicher Pluspunkt liegt in einer offenen architektonischen Typologie, die es unschwer erlaubt, dass die Büros später einmal in Wohnungen oder dergleichen umgewidmet werden können.
Doch auch ein Blick auf die Geschichte Berlins unterstreicht diesen Gedanken: Die Mietskasernen des 19. Jahrhunderts mit ihren konventionellen Konstruktionen und ihren einförmigen, aber neutralen Grundrissen konnten ohne großen Aufwand umgewidmet und umgebaut werden, um anderen Zwecken zu dienen als jenem, dem sie ursprünglich zugesprochen waren. Die Nachkriegssiedlungen mit ihren vorgefertigten Betonkonstruktionen und ihren hochspezialisierten Grundrissen konnten es nicht.
Gerade die sog. "Kreuzberger Mischung" stellte seinerzeit eine große Innovation im Städtebau dar: Während in den Blockrandbebauungen des 19. Jahrhunderts im Vorderhaus und Seitenflügel traditionell gewohnt wurde, dienten Hinterhaus und Hof dem Gewerbe.
Die Dichte hoch, die Wege kurz, und auch eine gewisse soziale Mischung ist garantiert. So etwas kann auch eine Referenz für den weiteren Städtebau darstellen. Hierzu zwei Beispiele aus Berlin.
Die gelungene Vermischung von Wohnen und Gewerbe hat sich der Baublock an der Ritterstraße zum Ziel gesetzt. Zwischen 1894 und 1898 erbaut, hat unlängst der Architekt Karsten Groot aus der "Butzke-Werke AG" einen validen Stadtbaustein gemacht: Hier verdrängt kein Unternehmensberatungsbüro eine alternative Kiez-Idylle, sondern hier werden im Gegenteil im Quartier geborene Institutionen gepflegt: ein Reigen aus Künstlern, Gründern und Unternehmern. In einem zweiten Schritt der Sanierung sind die offenen städtebaulichen Wunden mit neuen Seitenflügeln geheilt worden, die vielfältigste Arbeitsplätze bieten.
Den umgekehrten Weg geht das Projekt "Frizz23" von Deadline Architekten. Sie haben diese Baugruppe für Gewerbe als kleinteilige Mischung aus Kunst, Kreativwirtschaft, Bildung, Gastronomie, Einzelhandel und Wohnen konzipiert, also mit engagierten Bürgern statt dem Staat.
Der schwarze Riegel enthält Werkstattläden, Seminarräume, Wohnateliers, Studios für Kreative, Co-Working-Räume, Büros, Minilofts, ein Café, eine Projekthalle und eine kleine Galerie. Alle Einheiten von 28 bis 280 Quadratmeter Größe wurden individuell geplant, dabei – und das ist mustergültig – Projektbeteiligte als Nutzer und Investoren zugleich angesehen.
Was folgt daraus? Bei allem, was sich im Zuge der digitalen Transformation ändern wird, verlieren die bewährten Prinzipen der Stadtentwicklung, wie sie zumindest in Europa hochgehalten werden, keineswegs an Wert.
Dabei geht es um Fragen der integrierten Planung und Umsetzung von städtischen Vorhaben; aber auch um eine Behutsamkeit, die im völligen Gegensatz zu den disruptiven Fantasien der Apologeten der Tech-Welt steht.
Bei den Kommunen ist ein starker Werte- und Zielebezug erforderlich, um Technologien mit Bedacht und Weitblick zu nutzen. Stehen wir doch, um es mit den Worten von Saskia Sassen auszudrücken, vor der Aufgabe, "die Technologien zu urbanisieren".
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