Die Steigbügelhalter
Deutschlands repressive Krisenpolitik ist maßgeblich für den Aufschwung der extremistischen Rechten in Europa verantwortlich. Aufstieg und Zerfall des "deutschen Europa", letzter Teil
Wer kennt sie nicht, die unzähligen Plakate und Transparente auf Demonstrationen in Südeuropa, die Merkel oder Schäuble als neue deutsche Nazis - mit Hitlerbärtchen oder in SS-Uniformen - darstellen? Inzwischen scheint man sich auch in Deutschland an diesen Anblick gewöhnt zu haben; ganz so wie sich die Öffentlichkeit in den USA daran gewöhnt hat, dass die US-Fahne irgendwo in Südamerika oder dem Nahen Osten mal wieder bei Protesten verbrannt wird.
Dabei handelt es sich bei diesen Protestäußerungen selbstverständlich um Übertreibungen. Bei Merkel, Schäuble sowie dem Großteil des deutschen Politestablishments handelt es sich nicht um Nazis, sondern um Steigbügelhalter eines europäischen Faschismus des 21. Jahrhunderts. Eine korrekte historische Analogiebildung würde die deutsche Kanzlerin nicht als Adolf Hitler, sondern als Hindenburg, Heinrich Brüning, Kurt von Schleicher oder Franz von Papen darstellen. Es war die Politik des "Reichskanzlers" und "seiner" autoritären Präsidialkabinette, die dem Faschismus in der Spätphase der Weimarer Republik den Boden bereitete - genauso, wie nun das deutsche Sparregime in Europa der extremen Rechten immer neuen Auftrieb verschafft.
Die Parallelen sind offensichtlich - insbesondere zwischen dem gegenwärtigen Spardiktat, dem Merkel Europas Krisenländer unterwarf und der desaströsen Deflationspolitik des "Hungerkanzlers" Brüning während der Weltwirtschaftskrise in den 30er Jahren des 20. Jahrhunderts.
Mit Notverordnungen (damals kannte man den Begriff des "Sachzwangs" noch nicht) und "eisernem Sparen" wollte Brüning mitten in einer schweren Systemkrise partout den deutschen Haushalt sanieren, was die üblichen desaströsen Folgen zeitigte, die uns gegenwärtig aus der südlichen Peripherie der Eurozone (siehe Teil 2 Der Zerfall des deutschen Europa) bekannt sind: Die durch die Sparmaßnahmen verstärkte Rezession und Deflation ließ die Steuereinnahmen einbrechen und das Haushaltsdefizit anwachsen, während zugleich Arbeitslosigkeit und Hunger um sich griffen und die üppig finanzierten Nazis ihre größten Wahlerfolge erzielten.
Es war nicht die Hyperinflation in den frühen 1920er Jahren, die den Aufstieg der NSDAP ermöglichte, wie es die historische Mythenbildung in Deutschland imaginiert, sondern eine gescheiterte "Sparpolitik" zu Beginn der 30er Jahre, die bereits die bürgerlich-parlamentarischen Entscheidungswege vermittels der Notverordnungen aushebelte, bevor diese von den Nazis abgeschafft wurden. Die Diktatur des Sachzwangs ging der Diktatur der extremen Rechten voran.
Und genau diese Konstellation findet sich derzeit auch in Griechenland wieder, wo mit der "Goldenen Morgenröte" eine brutale Nazipartei in den Startlöchern auf der Lauer liegt, um von einem Scheitern Syrizas zu profitieren und mit ihrem irren Programm dem Krisenirrsin zur Gänze zum Durchbruch zu verhelfen.
An Warnungen davor, dass Deutschlands Spardiktat in Griechenland zu einer Machtergreifung durch eine Neonazi-Partei führen könnte, mangelt es zumindest im Ausland nicht. Der Nobelpreisträger Paul Krugman warnte vor "Weimar an der Ägäis", indem er die offensichtlichen Parallelen zu der "Sparpolitik" der Weltwirtschaftskrise in der Endphase der Weimarer Republik und dem gegenwärtigen deutschen Spardiktat in Europa zog.
Ähnlich argumentierte der Spiegel-Online Wirtschaftskommentator Wolfgang Münchau, der ein Einknicken der griechischen Linksregierung vor dem Berliner Diktat als das "worst-case scenario" bezeichnete, da hiernach die "Goldene Morgenröte" als die einzige Partei übrig bliebe, die dieser Politik opponieren würde. Bezeichnenderweise wurde dieser Kommentar nicht auf SPON, sondern in der Financial Times publiziert.
Auch griechische Finanzminister Yanis Varoufakis äußerte sich bei seinem Deutschlandbesuch, ähnlich, als er Berlin aufforderte, Athen bei dem Kampf gegen die drohende Faschistische Gefahr zu unterstützen - und den sinnlosen Sparsadismus endlich einzustellen.
Deutschland tut hingegen alles, um dieses Szenario zu realisieren. Selbstverständlich geht es Berlin darum, die griechische Regierung zu diskreditieren und letztendlich in den politischen Bankrott zu treiben, um so ein Exempel zu statuieren. In diesem Jahr stehen Wahlen in den Krisenländern Spanien und Portugal an, und Merkel und Schäuble müssen verhindern, dass dort Kräfte ans Ruder kämen, die ebenfalls den Kurs des deutschen Europas infrage stellen würden. Deswegen will Berlin der Linksregierung in Athen das politische Überleben so schwer wie möglich machen.
Und deswegen findet Berlin europaweit auch willige Helfer bei der Isolierung Athens in all jenen Regierungen, die das Spardiktat mitgetragen haben und nun um ihre Wiederwahl fürchten. "Hoffnung ist ansteckend", bemerkte der Guardian anlässlich des Wahlsiegs der griechischen Regierung - und Berlin wird alles unternehmen, um diese Hoffnungen auf eine Alternative zu dem gigantischen preußischen Kasernenhof, in dem Europa von Schäuble und Merkel verwandelt wurde, im Keim zu ersticken.
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