Die Steigbügelhalter

Seite 2: Vom Neoliberalismus zum Rechtsextremismus: die Ideologie

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Doch wieso kommen all diese rechtsextremen Gespenster der blutgetränkten europäischen Vergangenheit, in der im Namen der Nation und des Volkes die größten Menschheitsverbrechen begangen wurden, gerade in der gegenwärtigen Krise wieder zum Vorschein? Wieso erleben europaweit rechtsextreme und rechtspopulistische Bewegungen wieder einen derartigen Aufschwung, der offensichtlich - genauso wie während der frühen 30er Jahre des 20. Jahrhunderts - von dem Berliner Spardiktat noch befördert wird? Evident sind diese Zusammenhänge vor allem auf der ideologischen Ebene, wo ja zahllose Kontinuitätslinien zwischen Neoliberalismus und Rechtsextremismus bestehen.

Der historische Faschismus und Nationalisozialismus stellt, ebenso wie die gegenwärtigen Bewegungen der "Neuen Rechten", Krisenideologien dar, die auf eine terroristische und letztendlich eliminatorische Praxis zutreiben. Faschismus - ob nun der deutsche Nationalsozialismus, Francos katholischer Faschismus in Spanien oder die faschistische Diktatur Pinochets in Chile - ist eine offen terroristische Krisenform kapitalistischer Herrschaft. Rechtsextreme und faschistische Tendenzen gewinnen immer dann an Dynamik, wenn die bürgerlich-liberale kapitalistische Gesellschaft in eine ökonomische oder politische Krise gerät, die das Fortbestehen des Gesamtsystems gefährdet oder auch nur zu gefährden scheint (Weltwirtschaftskrise 1929, Sieg der Volksfront 1936 in Spanien oder Allendes Wahlerfolg 1970 in Chile).

Bei dieser rechten Krisenideologie in all ihren Schattierungen - von der deutschen AfD oder der Schweizer SVP über den französischen FN, bis zum ungarischen Jobbik und zur Goldenen Morgenröte - handelt es sich somit um "opportunistische Rebellionen", in denen nicht etwa die Überwindung des bestehenden Systems propagiert wird, sondern dessen extremistische Zuspitzung und Verhärtung.

Die Krise des Kapitalismus soll mittels einer terroristischen Entgrenzung des Kapitalismus - der für diese Gesellschaftsformation konstitutiven widerspruchsgeladenen Vergesellschaftungsformen - überwunden werden. Die rechte "opportunistische Rebellion" bringt somit einen "Extremismus der Mitte" hervor. Nicht das emanzipatorische Bemühen, das Bestehende zu überwinden, führt in die Barbarei, sondern der krampfhafte, ins Extrem treibende Versuch, am kollabierenden Bestehenden festzuhalten.

Der Begriff des Extremismus kann die Grundlagen dieser Krisenideologie - die im Bestehenden und scheinbar "Alltäglichen" wurzelt - aber nur dann erhellen, wenn er ernst genommen, und nicht nur als eine rein formale Begriffshülse verwendet wird, mit der in totalitarismustheoretischer Diktion Kräfte an den Rändern des politischen Spektrums belegt werden. Stattdessen gilt es, die Grundzüge der weltanschaulichen Wahnsysteme des europäischen Rechtspopulismus nachzuzeichnen, um so die Kontinuität zwischen neoliberaler und rechtspopulistischer Ideologie aufzuzeigen. Was konkret wird von der Rechten ins Extrem getrieben? Erst bei dieser Auseinandersetzung mit dem konkreten Inhalt der neurechten Ideologie - sowie deren Verwurzelung im Mainstream der spätbürgerlichen Gesellschaften - wird der besagte Begriff des "Extremismus der Mitte" voll verständlich.

Die Neue Rechte greift also auf Anschauungen, Wertvorstellungen und ideologische Versatzstücke zurück, die im Mainstream der betroffenen Gesellschaften herrschen. Dies war auch bei der "alten Rechten" während der Weltwirtschaftskrise der 30er der Fall, als der damals dominante völkische Nationalismus ins eliminatorische Extrem getrieben wurde.

Heutzutage scheint die rechte Ideologie von der Ungleichartigkeit von Menschen modernisiert und "ökonomisiert". Die rechtsextreme Vorstellung einer rassisch reinen "Volksgemeinschaft", wie sie der Nationalsozialismus prägte, weicht nun der Wahrnehmung der Nation als Leistungsgemeinschaft, in der prinzipiell alle Leistungswilligen willkommen seien - bei gleichzeitigem Ausschluss der ökonomisch marginalisierten Bevölkerungsgruppen.

Diese Wandlung der Exklusionsmuster geht aber offensichtlich nicht mit einem Rückgang der rassistischen und xenophoben Ressentiments einher. Es findet hingegen eine Neuformierung von Kulturalismus, Rassismus und Fremdenfeindlichkeit statt, die gerade ökonomisch vermittelt wird. Die kulturelle oder rassische Hierarchisierung von Nationen und Minderheiten wird bei diesen ökonomisch grundierten Ressentiments gerade aus ihrer wirtschaftlichen Stellung in der Weltwirtschaft oder in der betreffenden Volkswirtschaft abgeleitet.

Wirtschaftlicher Erfolg deute auf überlegene Gene oder eine überlegene Kultur hin, während Verarmung und Marginalisierung im Umkehrschluss auf genetische oder kulturelle Mängel zurückgeführt werden. Geradezu paradigmatisch kann dies ja an der Darstellung der (südeuropäischen) Krisenopfer in der deutschen Öffentlichkeit nachvollzogen werden, denen ja eine ökonomisch grundierte Minderwertigkeit angedichtet wird, um sie hierdurch für die Krise verantwortlich machen zu können.

Die Gesellschaftssphäre der Ökonomie wandelt sich in dieser Ideologie zur "zweiten Natur" menschlicher Existenz, zu einem Wirtschaftsdschungel, der durch seine Selektionsmechanismen die "natürliche Zuchtwahl" zwischen den einzelnen Konkurrenzsubjekten wie auch den "Wirtschaftsstandorten" vornimmt - und so eine Hierarchie von vermeintlich rassisch oder kulturell überlegenen oder minderwertigen Menschengruppen definiert. Die Naturalisierung des Kapitalismus geht mit der Personifizierung der Krisenursachen einher.

Das Scheitern in der Konkurrenz ist laut dem Neoliberalismus nicht Ausdruck zunehmender Widersprüche und Verwerfungen im Kapitalismus, sondern der Minderwertigkeit der betroffenen Personen: Du bist schuld, wenn du scheiterst - dies ist das Mantra des Neoliberalismus. Die Neue Rechte hat diesen neoliberalen Kult der Konkurrenz konsequent zugespitzt und buchstäblich erweitert: Die (rassische oder kulturelle) Minderwertigkeit wird nicht nur beim individuellen Scheitern konstatiert, sondern auch beim "kollektiven Scheitern" einer Nation im Standortwettbewerb.

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