Die Sünde der Homophobie

Seite 2: Traditionalisten profitieren vom Tabu "Homosexualität"

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Homosexuelle Seelsorger gibt es in allen Lagern des kirchlichen Spektrums. Es profitiert indessen am Ende nur der traditionalistische Flügel vom Tabu "Homosexualität" und dem Klima der Angst.

Solange die reine Doktrin der Verurteilung unwandelbar erhalten bleibt, bieten sich immer wieder Ansätze dazu, mit indirekten oder direkten Erpressungen gegen Aufbrüche in der Kirche vorzugehen und Bündnisse mit homophoben Kräften der Rechten zu schließen.

Wer auf der Flucht vor der eigenen Persönlichkeit ist und das Erwachsenwerden scheut, findet trotz der gesellschaftlichen Umwälzungen in den theologischen Ausbildungsstätten der "Traditionalisten" noch immer die Erlaubnis, schlafwandelnd und abhängig durchs Leben zu gehen. In diesem Zusammenhang scheint der obligate Zölibat ein idealer Schutzraum zu sein für Stillstand der Persönlichkeitsentwicklung.

Zudem fürchten die Traditionalisten sehr zu Recht, dass ein neuer, angstfreier Umgang mit Homosexualität das Gefüge des klerikalen Männerbundes zum Einsturz bringt und einhergeht mit einem Einzug der Frauen in alle Etagen der Kirchenleitung.

Mit Stasi-Methoden lässt sich die Diskussion nicht mehr unterdrücken

Auf dem kirchlichen Debattenschauplatz "Homosexualität"gibt es gleichwohl echte Neuigkeiten zu vermelden. Der Hamburger Erzbischof Stefan Heße, der keineswegs im Ruf eines Revoluzzers steht, äußert in der Öffentlichkeit ganz unverkrampft, dass es eine "beachtliche Zahl von homosexuellen Priestern" in der katholischen Kirche gibt.

"Stasi-Methoden"(Th. Seiterich) von Vatikanbehörden erweisen sich als Bumerang und können das freie Gespräch nicht mehr wirksam unterdrücken.

Die römische Bildungskongregation hat in diesem Herbst dem Jesuitenpater Prof. Ansgar Wucherpfennig das sogenannte "Nihil obstat" für eine weitere Amtszeit als Rektor der Frankfurter Jesuitenhochschule St. Georgen verweigert. Pater Wucherpfennig, der sich kaum weiter als der menschenfreundliche Osnabrücker Bischof Franz-Josef Bode aus dem Fenster gelehnt hat, werden vergleichsweise moderate Anstöße für eine neue Sichtweise der homosexuellen Liebe zur Last gelegt.

Der Jesuit weigert sich gegenüber den Inquisitoren der Bildungskongregation jedoch zu widerrufen. Seine Ordensoberen, bislang zwei Bischöfe (Limburg, Mainz), ein Generalvikar (Essen), zahllose Theologen und tausende Gläubige haben bereits ihre Solidarität zum Ausdruck gebracht.

Zum Ärger von Kardinal Gerhard Ludwig Müller, ehedem oberster Glaubenswächter in Rom, zeichnet sich ein Rückzieher des Vatikans ab. Die Leitung des Jesuitenordens soll jetzt für die Glaubenstreue des erwählten Rektors bürgen.

Die Dinge ändern sich. Die Hardliner in Rom wissen, dass sie einlenken müssen, weil sonst die gefürchtete Revolution von unten kommt. Nunmehr kann ich mir vorstellen, noch zu Lebzeiten die Befreiung der Kirche von Homophobie mitzuerleben. Das wird ein schöner Tag sein.

Homophobie: Ein Schuldbekenntnis der Kirche ist überfällig

Über die Einbeziehung kirchenhistorischer Sichtweisen wird in nicht allzu ferner Zeit das gesamte Drama der römisch-katholischen "Sexualneurose" wohl noch eingehender beleuchtet werden. Der streng romzentrierte Katholizismus rückte ab Mitte des 19. Jahrhunderts bis weit in die letzte Nachkriegszeit hinein Angstbotschaften ins Zentrum, die mit Jesus von Nazareth überhaupt nichts zu tun hatten.

Das Machtinstrument "Beichtstuhl" diente dazu, die Gläubigen in einer immerwährenden Abhängigkeit zu halten. Mit Einsetzen der Pubertät hatte man nur wenig Möglichkeiten, einem dauernden "Kriegszustand mit Gott" zu entgehen. Die Volksmissionare ließen sich das Urteil über "erlaubten und unerlaubten Geschlechtsverkehr" nicht nehmen und wollten bis die Schlafzimmer der Ehepaare hineinregieren.

Die angstmachende kirchliche "Sexualmoral" hat summa summarum wohl mehr "Sünden wider die Liebe" verursacht als verhindert. Die Schönheiten des geschlossenen katholischen Milieus gingen einher mit einem Abgrund an Hässlichkeit.

Auf ältere Menschen, die noch Bedrückung durch die Satzungen einer selbstherrlichen Klerikerkaste erfahren haben, wirkt das heute offenbare Ausmaß der sexuellen Gewaltausübung von Priestern in vielen Fällen wie ein Zusammenbruch des gesamten Weltbildes.

Ein Schuldeingeständnis ist auch hinsichtlich des Sonderfalls der kirchlichen Homophobie überfällig. Die Kirche hat zugeschaut oder sogar applaudiert, wenn Homosexuelle verfolgt wurden. Sie selbst hat Lesben und Schwule beschämt und in ihren Menschenrechten beschnitten.

Der homophobe Komplex hat zahllose Menschen von einem glücklichen Lebensweg abgehalten oder sogar in den Tod getrieben. Selbstmorde von zwei ehemaligen Mitstudenten und in einem Pfarrhaus meiner Heimatlandschaft fallen in eine Zeit, in der homophobe Kirchenparolen noch nicht als Volksverhetzung identifiziert werden konnten.

Der todbringende Komplex der kirchlichen Homophobie sitzt auf der Anklagebank. Seine Anhänger sollten endlich einsehen, dass sie sich nicht mehr in der Position befinden, für ihren Wahnwitz in der Gemeinde Jesu doktrinellen Gehorsam einzufordern. Vielmehr ist die Zeit des Sündenbekenntnisses gekommen.

Hinweise zu zwei Arbeiten des Verfassers:
P. Bürger: Das Lied der Liebe kennt viele Melodien. Eine befreite Sicht der homosexuellen Liebe. 2. erweiterte Auflage. Oberursel 2005.
P. Bürger: Homophobie und Homosexualität in der römisch-katholischen Kirche. In: M. Albus / L. Brüggemann: Hände weg! Sexuelle Gewalt in der Kirche. Kevelaer 2011, S. 99-118.