Die Systemfrage als Überlebensfrage
Seite 2: Die Opposition muss radikal sein
Das Aufkommen entsprechender Krisenideologien und der geopolitischen Spannungen ist somit sicher. Es können hier parallelen zur den frühen 30er Jahren des 20. Jahrhunderts gezogen werden, als die Weltwirtschaftskrise von 1929 dem Faschismus den Weg bereitete. Mit dem Unterschied, dass bei dem gegebenen Stand der Destruktionskräfte ein Großkrieg einem Zivilisationsbruch gleichkäme.
Die Opposition gegen den drohenden Krieg müsste somit diese zunehmenden kapitalistischen Widersprüche reflektieren, die die Staaten in Konflikte treiben. Sie müsste - im besten Sinne des Wortes - radikal sein, das Problem also an der Wurzel packen. Dies bedeutete folglich, die Systemfrage zu stellen, die Opposition gegen die Kriegspolitik mit dem Kampf um eine grundlegende gesellschaftliche Alternative zum kapitalistischen Dauerchaos zu verbinden.
Nicht, weil es populär wäre. Das ist es gerade nicht, da selbst die politische Linke höchstens noch in sozialdemokratischen Kategorien denkt und die gesellschaftliche Entwicklung eher von konservativen oder reaktionären Bestrebungen geprägt ist.
Es ist aber schlicht überlebensnotwendig, die Systemfrage in aller Radikalität offensiv zu formulieren. Ob es die Menschen wahrnehmen wollen, oder nicht: Die Krise wird weiter ihre verheerende Wirkung entfalten, auch die deutsche Exportkonjunktur wird ihr Ende finden, da das Kapital gesamtgesellschaftlich eine Eigendynamik aufweist, deren zunehmenden Widersprüchen die Marktsubjekte ohnmächtig ausgeliefert sind.
Keine Rückkehr in die Vollbeschäftigung der 1970er oder 1950er Jahre
Konkret formuliert: Die Masse verausgabter Lohnarbeit in der Warenproduktion wird aufgrund konkurrenzvermittelter Rationalisierung weiter abschmelzen, auch wenn sich immer größere Bevölkerungsteile die Rückkehr in die Vollbeschäftigung der 1970er oder 1950er Jahre wünschen.
Das Kapitalverhältnis als gesellschaftliche Realabstraktion entfaltet auf den "Märkten" tatsächlich ein fetischistisches Eigenleben, das die sozialdemokratische Illusion einer "Beherrschung" oder "Zivilisierung" des Kapitalismus längst zerstört hat (Der Zustand Sozialdemokratischer Parteien bestätigt dies eindrucksvoll).
Das dumpfe Gefühl der Fremdbestimmung
Ein erster Schritt in die richtige Richtung bestünde gerade darin, sich diese Ohnmacht einzugestehen, ohne in Verschwörungstheorien zu versinken. Und gerade dieses dumpfe Gefühl der "Fremdbestimmung" durch eine gesamtgesellschaftliche Dynamik höchstmöglicher Kapitalverwertung, die die Subjekte unbewusst, marktvermittelt selber hervorbringen, bildet die Grundlage auch der imperialistischen Ideologie, wie der Krisentheoretiker Robert Kurz bemerkte:1
Jede Gesellschaft, die sich ihrer selbst nicht bewußt ist und sich in pseudo-naturgesetzlichen, selbstzweckhaften Denk- und Handlungsformen bewegt, benötigt die Idee eines als fremd und äußerlich gedachten "Bösen", um die verdrängten, nicht ins Bewußtsein integrierten Momente des eigenen Selbst zu bannen. Im rein oberflächlichen und politischen Sinne waren die "Reiche des Bösen" natürlich die imperialistischen Konkurrenten, die entsprechend schwarzgemalt wurden.
Robert Kurz, Schwarzbuch Kapitalismus
Eine krisenbedingte Zunahme von Widersprüchen und Verwerfungen lässt somit den Hass auf "imperialistische Konkurrenten" hochkochen.
Lohnarbeit und direkte Bedürfnisbefriedigung
Radikal, an die Wurzel gehend, lässt sich nun die Ursache der zunehmenden Krisentendenzen, der anwachsenden Kriegsgefahr im Kapitalismus eindeutig benennen. Es lässt sich klar sagen, was überwunden werden muss: die widerspruchsgetriebene Selbstbewegung des Kapitals, konkret die fetischistische Verwertung von Lohnarbeit als irrationaler Selbstzweck in der Warenproduktion.
Die Substanz des Kapitals ist ja eben die Lohnarbeit, die das Kapital in seiner Selbstbewegung durch Rationalisierungen aus dem Produktionsprozess verdrängt - diese autodestruktive Tendenz bildet den zentralen Widerspruch des Kapitalverhältnisses und der gegenwärtigen Krisenperiode mit ihren politischen, sozioökonomischen und ökologischen Verwerfungen.
Das Kapital ist die uferlose Akkumulation von toter verausgabter Lohnarbeit als irrationaler Selbstzweck. Alles andere - die Waren, die Konsumenten - ist nur Mittel zu diesem Zweck. Die tiefe Absurdität der gegenwärtigen Krise liegt somit gerade darin, dass das Kapital an seiner eigenen Produktivität erstickt.
Die technischen Voraussetzungen, die materiellen Grundbedürfnisse der Menschen zu erfüllen, sind längst gegeben, während die irrationale Verwertungsbewegung des Kapitals aufgrund des immer höheren Produktivitätsniveaus der Warenproduktion immer stärker ins Stocken gerät.
Es gilt somit, die gerade vom Kapitalismus hervorgebrachten Produktionskräfte von den Ketten der kapitalistischen Produktionsverhältnisse zu befreien. Nicht mehr die höchstmögliche Verwertung von Kapital, die Geldvermehrung als irrationaler Selbstzweck, sondern die direkte Bedürfnisbefriedigung der Bevölkerung muss zur Maxime einer neuen, postkapitalistischen Produktionsweise werden.
Die Kommunikationsmittel, um solch eine direkte Bedürfnisbefriedigung gesamtgesellschaftlich zu organisieren, sind in Gestalt der IT-Technologien längst gegeben.