Die Todesstrafe ist ein infames System

Robert Meeropol, der Sohn des vor 50 Jahren zum Tode wegen angeblicher Spionage verurteilten Rosenberg-Ehepaares, über die Todesstrafe in den USA

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Vor etwas mehr als 50 Jahren, am 5. April 1951, wurden in den USA Julius und Ethel Rosenberg zum Tode verurteilt. Die US-Regierung warf ihnen vor, dass sie der UdSSR die Pläne zum Bau einer Atombombe zugänglich machen wollten. Die Exekution fand 1953 statt.

Zu diesem Zeitpunkt war Robert Meeropol, einer von zwei Rosenberg-Söhnen, sechs Jahre alt. Im Alter von 0 bis 6 hieß er Robert Rosenberg, von 6 bis 21 Robert Meeropol, und als Erwachsener behielt Robert den Namen seiner Adoptiveltern bei. "Wir wollten uns nicht unangenehmen Fragen auszusetzen", erklärt Robert Meeropol heute. Er ist seit vielen Jahren in den USA, wo in den Gefängnissen 3700 Verurteilte auf ihre Exekution warten, an herausragender Stelle gegen die Todesstrafe aktiv. Bereits gegen den Vietnam-Krieg war Meeropol auf die Straße gegangen. Er gründete in den 90er Jahren den Rosenberg Fund for Children, den er hauptberuflich leitet.

Ihre Eltern wurden im Frühjahr 1951 verurteilt. Was war das für eine Zeit?

Robert Meeropol:: Die Festnahme meiner Eltern geschah kurz nach Beginn des Korea-Krieges. Hingerichtet wurden sie kurz vor seinem Ende. Während dieser Zeit befand sich der Kalte Krieg auf einem Höhepunkt. Es war die nach dem Senator Mc Carthy benannte Ära, in der abweichende Meinungen von Intellektuellen, Künstlern oder politisch aktiven Menschen automatisch unter Kommunismus-Verdacht fielen und verfolgt wurden. In dieser Zeit der Kriegsstimmung, in der in den USA damit gerechnet wurde, dass jede Stunde der Atomkrieg mit der Sowjetunion ausbrechen könnte, wurden meine Eltern angeklagt, als kommunistische Agenten dem Feind die Bombe gegeben zu haben. Das ist wohl der schlimmste politische Kontext, den man sich vorstellen kann.

: Können Sie sich an Ihre Eltern in dieser Zeit erinnern?

Robert Meeropol:: Ich war gerade drei Jahre alt geworden, als meine Eltern festgenommen wurden. Ich kann mich nur vage an sie und unsere Wohnung auf der Lower East Side in Manhattan erinnern. Ich weiß, dass ich sie dann häufig im Gefängnis besucht habe. Sing Sing war kalt, grau und unheimlich. Ich war verwirrt, wusste, dass etwas Fürchterliches passiert, und dass es schlimmer werden würde.

Auf welcher Grundlage waren ihre Eltern angeklagt?

Robert Meeropol:: Meine Eltern waren KP-Mitglieder und angeklagt, gegen Ende des 2. Weltkrieges vorgehabt zu haben, der Sowjetunion das Geheimnis der Atombombe zu verraten. Der Vorwurf lautete "Verschwörung zum Zwecke von Spionage". Das wird oft als Spionage oder Hochverrat interpretiert. Aber Anklage und Urteil ergingen wegen des Vorwurfs der "Verschwörung" (conspiracy). Für eine Klage wegen Verschwörung reicht es aus, wenn zwei oder mehr Menschen zusammenkommen, um etwas Verbotenes zu planen. Es muss also ein Plan für eine Aktion nachgewiesen werden und nicht, dass tatsächlich etwas unternommen wurde. Es überrascht bis heute viele Leute immer wieder, dass es deshalb eine Hinrichtung gab. Aber so war es.

Wie sehen Sie das heute, 50 Jahre später?

Robert Meeropol:: Als Kind meiner Eltern habe ich natürlich eine spezifische Sicht der Dinge. Ich behaupte nicht, eine objektive Quelle zu sein. Aber im Fall Rosenberg gibt es keine objektiven Quellen. 1995 gab die National Security Agency NSA, die mit unter anderem mit der Entschlüsselung von Geheimdaten betraut ist, Abschriften einer Reihe von angeblich abgehörten Nachrichten frei. Die NSA behauptete, diese ab 1944, während des 2. Weltkriegs also, zwischen der sowjetischen Mission in New York und Moskau abgefangen zu haben. Es handelte sich um doppelt verschlüsselte Codes. Die NSA behauptete, diese Codes zwischen 1944 und 1948 geknackt und entdeckt zu haben, dass es in den USA Spione gab, die über New York Informationen nach Moskau weiterleiteten. Eine dieser Spionagegruppen oder Einzelpersonen soll den Decknamen "First Antenna" gehabt haben, was, wieder der NSA zufolge, die Spur auf meine Eltern und schließlich zu ihrer Festnahme führte. Aber das NSA-Material ist in vielerlei Hinsicht fragwürdig. Ich behaupte nach wie vor, dass es keine gesicherten Beweise gibt, dass meine Eltern für die Sowjetunion spioniert haben.

Inwiefern ist das Material fragwürdig ?

Robert Meeropol:: Nur ein paar Merkwürdigkeiten: es war die Bundespolizei FBI, die damals einen Zusammenhang zwischen "Antenna" und meinem Vater behauptete. Fast 50 Jahre später ist es aber die NSA, also eine ganz andere Institution, die behauptet, Beweise für seine angebliche Spionagetätigkeit zu haben. Man müsste der NSA blindlings glauben, dass sie elektronische Übertragungen akkurat entschlüsselt und interpretiert hat. Außerdem liegen nur magere 80 Seiten Material vor, und darin fällt wiederum zweierlei auf. Erstens wird ein Agent namens "Antenna" erwähnt, aber er macht militärisch-industrielle Spionage. An einem Punkt sagt er sogar, von der Atomforschung wisse er nichts. Komisch: der angebliche Meisterspion weiß gar nichts.

Zweitens heißt es laut Material, "Antennas" Ehefrau mache keine Spionagearbeit, ja, sie habe nicht einmal einen Codenamen. Sieht man sich das NSA-Material genau an, dann kommt man zu dem Schluss, dass die US-Regierung zwei Menschen für etwas hingerichtet hat, das sie nicht getan haben. Der eine, mein Vater also, machte etwas anderes, der andere, meine Mutter, gar nichts.

Weshalb sind dann Ihre Eltern von den obersten Behörden der USA hingerichtet worden ?

Robert Meeropol:: Das ist nur im historischen Rückblick zu verstehen. Es war der Höhepunkt des Kalten Krieges und einer antikommunistischen Kriegshysterie in den USA. Durch den "Fall Rosenberg" und die Hinrichtung meiner Eltern versuchten sich große US-Politiker zu profilieren.

Wie ordnen Sie die Todesstrafen-Praxis in den USA heute ein, nachdem der kommunistische Feind längst nicht mehr existiert ?

Robert Meeropol:: Die Todesstrafe in den USA ist viel älter als die kommunistische Bewegung. Wir müssen schon weiter zurückgehen und über den Zusammenhang mit Sklaverei und Rassismus nachdenken. Erschütternd ist die überdurchschnittlich große Anzahl von Afroamerikanern in den Todeszellen. Letztendlich dient die Todesstrafe auch heute noch dazu, die Schwarzen dort zu halten, wo sie sind. Insofern ist sie ein bloßer Ersatz für die Lynchjustiz.

Es ist heute der dunkelhäutige Kriminelle auf der Straße, das den außengesteuerten Kommunisten als Feindbild ersetzt hat. Ein weiterer Zusammenhang besteht zur Gewalttätigkeit in unserer Gesellschaft. Es ist absurd: nach jedem neuen Schulmassaker werden Rufe nach der Gewaltlosigkeit laut, zu der unsere Jugend erzogen werden müsse. Dabei sind die USA eine militaristische Großmacht sondergleichen. Wir haben in den letzten zwei Jahrhunderten so viele Kriege geführt und gewonnen wie keine andere Großmacht. Gewalt lohnt sich, lautet die Botschaft an unsere Jugend.

Völlig makaber wird es, wenn ein Präsident wie George Bush, der Rekordhalter bei Hinrichtungen, ist, von Frieden und Gewaltlosigkeit spricht. Die Todesstrafe und die Drohung damit werden heute von den Behörden gezielt genutzt: sie soll einschüchtern, zu den gewünschten Aussagen vor Gericht führen, zu Deals mit Staatsanwälten führen und die Kooperation mit den Behörden erzwingen.

Welche Hoffnung setzen Sie auf die Bewegung gegen die Todesstrafe ?

Robert Meeropol:: Die allergrößte! Die Bewegung gegen die Todesstrafe wächst seit Mitte der 90er Jahre ständig an. Nicht so sehr, weil sich die Stimmung in der Bevölkerung rasant geändert hat, das ist noch nicht der Fall, sondern weil sich viel mehr Todesstrafen-Gegner aktiver als bisher engagieren. Die Gegnerschaft zur Todesstrafe war bislang moralisch und religiös geprägt, was bis auf die Quäker-Bewegung im amerikanischen Revolutionskrieg zurückgeht.

Ab Mitte der 90er Jahre setzten wir, die wir seit Jahrzehnten politisch dagegen argumentieren, auf eine neue Strategie. Wir argumentierten, dass die Todesstrafe Unschuldige treffen kann, und wir kritisieren seitdem recht erfolgreich, dass das Todesstrafen-System nicht perfekt sein kann. Wir setzen also auf den Perfektionsgeist vieler Amerikaner: wenn etwas nicht perfekt ist und damit Unschuldige treffen kann, dann sollte man es abschaffen. Illinois hat als Reaktion ein Todesstrafen-Moratorium verhängt, die nationale Rechtsanwaltsvereinigung fordert einen vorläufigen US-weiten Bann, und die Clinton-Regierung ordnete die Überprüfung von Todesstrafen-Fällen auf Bundesebene an. Aber es wird noch Jahre dauern, bis die Todesstrafe endlich abgeschafft wird.

Neben Aktivitäten gegen die Todesstrafe engagieren Sie sich auch für Kinder. Weshalb haben Sie den "Rosenberg Fund for Children" gegründet ?

Robert Meeropol:: Was Angst und Eingeschüchtert-Sein bedeuten, habe ich als Kind am eigenen Leib erlebt. Dabei hatten mein Bruder und ich noch das Glück, dass wir nach der Hinrichtung unserer Eltern vom Ehepaar Meeropol adoptiert wurden. Außerdem wuchsen wir in einem linken Milieu auf, wie das heute nicht mehr vorstellbar ist, richtig umsorgt. Schon während der Haft von Ethel und Julius Rosenberg richtete der Anwalt einen Fonds für uns ein. Mit der Gründung des "Rosenberg Fonds for Children" Anfang der 90er Jahre versuchen wir, die Bedürfnisse von Kindern zu befriedigen, deren Eltern - ähnlich wie meine - wegen ihres progressiven Engagements von den Behörden verfolgt wurden: von Sommerkursen über Reisen bis hin zur Therapie. Wir kümmern uns zum Beispiel um den Sohn von Mumia Abu Jamal, einem afroamerikanischen Journalisten, der wegen angeblichen Polizistenmordes hingerichtet werden soll. Mumias Sohn hat dieselben Probleme, die ich und mein Bruder damals hatten. Es ist ein schrecklicher Albtraum, der nicht zu enden scheint. In eine Todeszelle eingesperrt zu sein, trifft nicht nur das Opfer, sondern auch dessen Verwandte und Freunde. Die Todesstrafe ist ein infames System.