Die USA sind der unvorhersagbarste Akteur der Welt
Die außenpolitische Risikoanalyse des Council on Foreign Relations offenbart einige interessante Einblicke in die amerikanische Perspektive
Jährlich gibt der Thinktank Council on Foreign Relations einen Bericht über die aktuellen außenpolitischen Konflikte heraus, mit denen die US-Regierung im jeweils folgenden Jahr konfrontiert sein wird. Aufgrund der Befragung von Experten stellt das zum Thinktank gehörende Center for Preventive Action den Preventive Priorities Survey heraus, um der Politik zu helfen, die Konfliktprävention und Krisenbewältigung richtig einzustufen. Normalerweise stehen dabei die Risiken im Vordergrund, die im Ausland für die USA bestehen oder erwachsen. Der Autor des Berichts stellt diesen in eine neue Perspektive ein und thematisiert zudem die Risiken, die der Welt von den USA erwachsen und die sich die USA selbst machen.
Paul B. Stares, der Direktor des Center for Preventive Action, ist keineswegs kritisch gegenüber der US-Politik eingestellt. Sein in diesem Jahr erschienenes Buch "Preventive Engagement: How America Can Avoid War, Stay Strong, and Keep the Peace" macht schon im Titel klar, dass es ihm darum geht, wie die USA groß und dominant bleiben können. Jetzt stellt er die Unberechenbarkeit der US-Politik unter dem neuen Präsidenten Donald Trump heraus, dessen politisches, vielleicht auch persönliches Prinzip es ist, für Überraschungen sorgen zu können und sich nicht zu viel in die Karten schauen zu lassen, auch nicht von seinen Ministern.
Paul Stares macht also schon mal klar: Die USA sind heute der unvorhersagbarste Akteur in der Welt - und das hat ein tiefes Unbehagen verursacht." Man habe bislang auf die Welt geschaut und überlegt, wo die größten Quellen der Unsicherheit sind. Aber jetzt gebe es kein großes Vertrauen mehr, "wie wir in einer beliebigen Situation reagieren werden, geht man davon aus, wie dieser Präsident beurteilt wird."
Hervorgehoben wird von Stares der möglicherweise drohende militärische Konflikt mit Nordkorea sowie ein Krieg mit dem Iran oder einer zwischen dem Iran und dem US-Verbündeten Saudi-Arabien. Das sind nach Stares die am stärksten brodelnden Krisen derzeit, bei denen es unklar ist, wie die US-Regierung vorgehen wird: "Ich glaube, die meisten Experten würden sagen, das sei keine kluge Strategie: Sie kann zurückschlagen oder zu einer Fehleinschätzung, einem Missverständnis und so weiter führen." Allerdings sehen die meisten der befragten Experten einen militärischen Konflikt mit Nordkorea als weitreichend, aber nur als mäßig wahrscheinlich ein. Trotzdem würde ein militärischer Konflikt eben höchstwahrscheinlich in einen Atomkrieg münden. Stares meint allerdings, dass die Entwicklung der nordkoreanischen Atomwaffen, die Androhung militärischer Gewalt seitens der US-Regierung und die persönlichen Angriffe von Donald und Trump und Kim Jong-un gefährliche Faktoren sind.
Mit dem Iran vermehren sich die Risiken, in einen militärischen Konflikt zu geraten. Trump will den Atomdeal mit dem Iran beenden, was bedeuten könnte, dass Iran in die Entwicklung von Atomwaffen einsteigt. Daneben entwickelt der Iran ebenso wie Nordkorea sein Raketenarsenal. Dazu kommt der Einfluss des Iran im Irak und in Syrien.
Weltweit sehen die 436 befragten Regierungsangehörigen und außenpolitischen Experten den nördlichen Teil der Weltkugel, also Nordamerika, Europa, Russland, China, Nordkorea, Philippinen, Vietnam und natürlich den Nahen Osten, abgesehen von Saudi-Arabien, als besonders problematisch an. Südamerika oder Afrika oder Australien gelten als unproblematisch. Erstaunlich ist auch, dass die Ukraine ebenso wie Saudi-Arabien nur als mittlere Priorität eingestuft wird. Ein Wiederaufflammen der Kämpfe in der Ukraine habe nur ein mittleres Risiko für die USA, es wird auch selbst als mäßig wahrscheinlich eingestuft. Der Islamische Staat kommt gar nicht mehr vor, auch die Situation im Irak gilt nicht als sonderlich besorgniserregend.
Neben dem Nordkorea- und Iran-Konflikt werden weitere Konflikte als sehr bedrohlich dargestellt und in die höchste Priorität erhoben: ein möglicher Krieg zwischen China und anderen Nachbarländern über jeweils beanspruchte Gebiete des Südchinesischen Meers, ein großer Terroranschlag oder Cyberangriff auf die USA, wachsende Instabilität in Afghanistan, eine militärische Konfrontation der Nato mit Russland und eine "gewaltsame Widerherstellung der Regierungskontrolle in Syrien". Als weniger bedrohlich wird im Gegensatz zum Vorjahr der Konflikt zwischen der Türkei und den Kurden sowie die Lage in Libyen betrachtet. Auch dem Konflikt zwischen Israel und den Palästinensern wird keine große Bedeutung zugemessen. Die Umfrage fand freilich vor der Anerkennung von Jerusalem als Hauptstadt Israels durch Trump statt.
Dagegen gelten der Krieg im Jemen, die Kämpfe in Somalia und 'Konflikte zwischen Regierungstruppen und bewaffneten Rohingya zwar als sehr wahrscheinlich, aber ohne großen Einfluss auf die USA. Humanitäre Krisen, die nicht unmittelbar die USA berühren, gelten als wenig wichtig, was auch die Perspektive der "Experten" und der amerikanischen Politik entlarvt. Humanitäre Krisen wie die Versorgungskatastrophe im Jemen oder der "Genozid" in Myanmar an der muslimischen Minderheit haben nur dann Bedeutung, wenn geostrategische Interessen der USA ins Spiel kommen.