Die Ukraine vor den Präsidentschaftswahlen
Hat der "Euro-Maidan" die Ukraine seit 2014 wirklich Richtung Demokratie und Rechtsstaatlichkeit gebracht? Das ist leider mehr als zweifelhaft
Optimisten erklären, in den vergangenen fünf Jahren habe es mehr positive Veränderungen in der Ukraine gegeben als in den 23 Jahren der Unabhängigkeit zuvor. Sie verweisen auf Reformen im öffentlichen Beschaffungswesen, des Energiesektors, der Polizei oder etwa die Dezentralisierung. Dutzende Aktivisten würden nunmehr dem Parlament angehören und versuchen, die verkrustete politische Kultur von innen aufzubrechen. Dies sei doch ein Erfolg, vor allem, wenn man die ukrainische Volksvertretung mit den Pendants im postsowjetischen Raum vergleiche. Und nicht zuletzt: Der Ausgang der Präsidentschaftswahlen am 31. März sei offen, was von den meisten anderen Ländern im GUS-Raum wahrlich nicht behauptet werden könne!
Die Botschaft der Optimisten ist: Die Fortschritte sind ermutigend, wenngleich noch unzureichend. Die Ukraine ist aber auf den richtigen Weg - was noch deutlicher wäre, wenn Russland keine so hinderliche Rolle spielen würde, um es zurückhaltend auszudrücken.
Das Bild der Optimisten ist aber eher Wunsch als Wirklichkeit. Das kann man an einer atemberaubenden Story gut illustrieren - über die in westlichen Medien übrigens kaum berichtet wurde …
Der Fall "Privat Bank"
Die Privat Bank war mit über 30.000 Mitarbeitern in 3202 Niederlassungen und Büros das bei weitem größte Kreditinstitut des Landes und verfügte über gut ein Drittel der Spareinlagen der Bürger der Ukraine. Der 2014 von der neuen Maidan-Führung eingesetzte Finanzminister Alexander Shlapak hatte lange Jahre führende Positionen bei der Privat Bank inne gehabt.
War es ein Zufall, dass genau diese Bank in den ersten Monaten nach dem Machtwechsel Ende Februar 2014 etwa 40% der IWF-Milliarden erhielt, die ukrainischen Banken überwiesen wurden, um sie zu stabilisieren? Dieser Prozentsatz war höher als der Marktanteil des Kreditinstituts.
Im Dezember 2016 musste die ukrainische Nationalbank die Privat Bank aufgrund eines Bilanzlochs in Milliardenhöhe dennoch unter ihre Obhut nehmen. Die Zentralbank erklärte die fehlenden Milliarden damit, die Privat Bank habe mindestens 95% ihrer an Unternehmen ausgereichten Kredite an Gesellschaften vergeben, die in enger Verbindung zu den Bankeigentümern standen. Diese Kredite wurden oft nicht bedient und Milliarden landeten auf Umwegen auf Konten der Eigentümer. Faktisch sprang die öffentliche Hand ein, um Milliarden auszugleichen, die bei Milliardären gelandet waren.
Bei diesen handelte es sich um Hennadij Boholjubow und Ihor Kolomoyskyi, die Gründer und Haupteigentümer der Privat Bank. Sie gehören seit langem - und nach wie vor - zu den reichsten Ukrainern. Konzentrieren wir uns auf Ihor Kolomoyskyi, der auch im jetzigen Präsidentschaftswahlkampf eine zentrale Rolle spielt.
Kolomoyskyi war nach dem Machtwechsel in der Ukraine Ende Februar 2014 zeitweise Gouverneur der wichtigen Region Dnipro sowie Finanzier der Miliz "Dnepro-1", die sich an den Kämpfen im Donbas beteiligte, was ihm in patriotischen Kreisen politisches Ansehen und weiteren Einfluss sicherte. Kolomoyskyi ist auch Eigentümer wichtiger Medienunternehmen, er hält u.a. einen 70%-Anteil am Fernsehkanal "1+1", dem zweitwichtigsten Sender der Ukraine.
Beobachter bezweifelten bereits über ein Jahr vor der Übernahme durch die Nationalbank, ob die Privat Bank in Anbetracht ihrer Geschäftspolitik eine Zukunft besitzt. Im Dezember 2015 stellten lettische Behörden darüber hinaus fest, dass die Rigaer Filiale des Kreditinstituts eine wichtige Rolle bei dem "Verschwinden" von über einer Milliarde US-Dollar aus Banken Moldaus gespielt habe.
Gleichwohl stellte die ukrainische Nationalbank der Privat Bank kurze Zeit vor deren Insolvenz Milliarden zur Refinanzierung zur Verfügung. Von denen 1,8 Mrd. verschwanden. Konnten das fragwürdige Geschäftsgebaren sowie die nahende Pleite der Privat Bank den Aufsichtsbehörden entgangen sein? Aber sie "entgingen" auch "PricewaterhouseCoopers", die die Bücher der Privat Bank seit 2007 geprüft und gebilligt hatte. Die Wirtschaftsprüfungsgesellschaft gehört mit 223.000 Mitarbeitern in 157 Staaten zu den vier größten Unternehmen ihrer Art überhaupt. Für die grobe Fahrlässigkeit bzw. kriminelle Energie wurde niemand strafrechtlich zur Verantwortung gezogen: weder die Eigentümer, noch die Manager der Privat Bank, noch Verantwortliche der ukrainischen Aufsichtsbehörden oder gar Wirtschaftsprüfer.
Das liegt nicht zuletzt am ukrainischen Generalstaatsanwalt Juriy Lutsenko. Dieser traf sich im November 2017 heimlich mit Kolomoyskyi in Amsterdam, was lediglich durch Zufall von einem ukrainischen Studenten entdeckt und gefilmt wurde. Von dieser vielleicht anekdotischen Begebenheit abgesehen: Die Mängel der ukrainischen Justiz sind systemischer Natur. So wurde z.B. keiner der Journalistenmorde der vergangenen Jahre aufgeklärt, niemand musste hinter Gittern wegen der Toten auf dem Maidan im Januar/Februar 2014. Und Interpol nahm den früheren Präsidenten Wiktor Janukowitsch im Mai 2017 von ihrer Fahndungsliste, da ukrainischen Behörden lediglich lautstarke Vermutungen, aber keine ernsthaften Untersuchungen über seine möglicherweise strafrechtlich relevanten Vergehen angestellt hatten. Wären im Falle von Ermittlungen deutlich geworden, dass auch die neue Führung in Korruptionsnetzwerke verstrickt ist?
Die öffentlichen Aufwendungen für die Privat Bank überstiegen schließlich die Ausgaben für die ukrainischen Streitkräfte, der "bail out" kostete deutlich über 5% der Wirtschaftsleistung des Landes, insgesamt 5,6 Mrd. US-Dollar.
Die ukrainischen Steuerzahler und internationalen Geldgeber konnten zunächst eine berechtigte Hoffnung hegen, dass sich die Milliardenverluste durch die Bankenpleite deutlich verringern ließen. Kolomoyskyi und Boholjubow, die Haupteigentümer, hatten Ende 2016 schriftlich zugesichert, die Kredite der Bank an mit ihnen verbundenen Unternehmen bis zum 1. Juli 2017 zu restrukturieren. Hierfür gab und gibt es jedoch keine Anzeichen. Den beiden Oligarchen verbundene Unternehmen beschritten stattdessen den Rechtsweg, um die Zentralbank und die Regierung zu zwingen, die Nationalisierung der Privat Bank rückgängig zu machen. Kolomoyskyi gab und gibt an, aus politischen Gründen widerrechtlich enteignet worden zu sein.
Präsident Petro Poroschenko - ebenfalls ein Milliardär - und Kolomoyskyi waren sich 2016 bei der Absteckung von Claims ins Gehege geraten und sind seither verfeindet. Die rechtlichen Auseinandersetzungen um die Privat Bank sind noch immer nicht abgeschlossen. Die Chancen Kolomoyskyis, den Konflikt zu seinen Gunsten zu lösen, sind in den vergangenen Monaten aus zwei Gründen deutlich gestiegen:
1. Der "High Court" in London, eines der höchsten britischen Gerichte, befasste sich seit Herbst 2017 mit Fragen um die Privat Bank. Im November 2018 erklärte der High Court jedoch, für Verfahren um die verschwundenen Milliarden nicht zuständig zu sein. Genau auf diesen Beschluss haben Kolomoyskyis Anwälte hingearbeitet. Der Fall sollte ausschließlich vor ukrainischen Gerichten verhandelt werden. Der Oligarch geht zu Recht davon aus, die ukrainische Justiz lasse sich besser unter Druck setzen oder kaufen als etwa die englische.
2. Zwei der drei aussichtsreichsten Bewerber um das Präsidentenamt (am 31. März sind bekanntlich die Wahlen) sind mit Kolomoyskyi verbunden. Es handelt sich um Wolodymyr Selenskyj und Julija Timoschenko. Die Verbindungen bestehen unbestreitbar, wie eng sie sind, ist aber umstritten. Selenskyi und insbesondere die im politischen Kampf langjährig erprobte Timoschenko sind sicher keine bloßen Erfüllungsgehilfen des Oligarchen, aber ein durchaus wahrscheinlicher Sieg einer der beiden Präsidentschaftskandidaten stärkt Kolomoyskyi, das ist klar. Und sei es nur, weil sein wichtigster Widersachen Poroschenko ausgebootet wird. Kolomoyskyi galt bereits Mitte 2018 als der fünfmächtigste Ukrainer, noch vor Ministerpräsident Wolodymyr Hrojsman. Kolomoyskyis Chancen weiter nach oben zu rücken stehen gut.
Nach dieser einstimmenden Story wenden wir uns den Grundlagen von Gesellschaft und Staat zu.
Die ukrainische Wirtschaft
Die Ukraine befand sich aufgrund langjähriger Misswirtschaft und der Selbstbereicherung der Eliten bereits 2013 in einer sowohl akuten als auch strukturellen ökonomischen Krise. Die Wirtschaft brach 2014/15 scharf ein, nicht zuletzt aufgrund des Krieges im Osten des Landes. 2017 und 2018 gab es ein deutliches Wachstum.
Die Ukraine ist jedoch, ebenso wie 2013, nach wie vor der einzige Nachfolgestaat der UdSSR mit einem niedrigeren Pro-Kopf-Einkommen als 1991. In keinem europäischen Land sind die Löhne niedriger als in der Ukraine. Darum verlassen jährlich etwa eine Million Menschen das Land, um in Russland, Polen oder anderen Ländern zu arbeiten - und vielleicht auf Dauer zu leben. Die Überweisungen der Emigranten machten 2018 mit ca. 13 Mrd. US-Dollar etwa zehn Prozent des ukrainischen BIP aus, mit steigender Tendenz. Der Wirtschaftsaufschwung der vergangenen zwei Jahre liegt also nicht zuletzt an den Geldern, die "Gastarbeiter" in die alte Heimat überweisen. Die Kosten der Emigration sind hoch: Familien werden zerrissen und das Land blutet demographisch aus.
Die Investitionstätigkeit bleibt unzureichend, sodass auch für die kommenden Jahre kein "Wirtschaftswunder" zu erwarten ist. Und die ausländischen Direktinvestitionen sind nach wie vor nicht nur auf einem sehr niedrigen Niveau, sie weisen trotz der Assoziierung an die EU außerdem eine sinkende Tendenz auf. Sie sind sogar deutlich niedriger als zwischen 2011 und 2013.
Der Zufluss ausländischen Investitionskapitals betrug 2017 nach Russland 25,3 Mrd. US-Dollar, in die Ukraine gelangten nur 1,9 Mrd. US-Dollar. Hiervon kamen 506 Millionen aus Zypern, wobei es sich aller Wahrscheinlichkeit nach um ukrainische und russische Schwarzgelder handelt (der Anteil zypriotischer Gelder ist bei den ausländischen Direktinvestitionen Russlands ähnlich hoch …). Russische Investitionen in die ukrainische Wirtschaft überstiegen diejenigen aus Deutschland übrigens um mehr als das Dreifache.
Die "Story" sowie die ökonomische Bestandsaufnahme sind ernüchternd. Könnten die Ukrainer nicht trotz alledem der Ansicht sein, ihr Land befinde sich auf dem richtigen Weg?
Zufriedenheit der Bevölkerung mit dem politischen System
Das US-Meinungsforschungsinstitut "Gallup" veröffentlichte am 21. März 2019 die Ergebnisse einer Umfrage, die in 160 Ländern durchgeführt wurde. Demnach vertrauen nur 9% der Ukrainer der Regierung ihres Landes. Dies ist der niedrigste Vertrauenswert, der weltweit festgestellt wurde. Die 9% liegen noch unter dem Prozentsatz, der von Gallup in den Jahren der Präsidentschaft des gestürzten Wiktor Janukowitsch ermittelt wurde. Und die ukrainische Führung war unter ihm zweifelsohne sowohl korrupt als auch unfähig.
Nach Gallup erwarten lediglich 12% der Ukrainer ehrliche Wahlen. Auch dieser Satz unterschreitet die Werte, die in den Jahren vor dem Maidan ermittelt wurden. 91% der befragten Ukrainer halten die Korruption in der Regierung für weit verbreitet. Auch bei dieser Frage erzielte die Führung unter Janukowitsch bessere Werte.
Das amerikanische "International Republican Institut" (IRI) kommt zu ähnlich desaströsen Ergebnissen: Bei allen zwölf Umfragen seit 2015 erklären unter 20% der Befragten, die Ukraine entwickele sich die "richtige Richtung", durchschnittlich über 70% geben hingegen an, ihr Land gehe in die "falsche Richtung". Aber der Präsident und die Regierung des Landes sind doch durch Wahlen eindeutig legitimiert, oder? Die Antwort muss lauten: Ja, aber …
Nehmen wir die Präsidentschaftswahlen vom Mai 2014: Petro Poroschenko gewann sie bereits im ersten Wahlgang mit absoluter Mehrheit. In allen vorhergehenden ukrainischen Präsidentschaftswahlen hatte es hingegen eine Stichwahl geben müssen. Das Ergebnis war aber nicht so eindeutig wie es jetzt scheinen mag: Denn Poroschenko und die zweitplatzierte Julija Timoschenko erzielten zusammengenommen weniger Stimmen als allein Wiktor Janukowitsch bei der Präsidentschaftswahl 2010. Des Rätsels Lösung: Die Wahlbeteiligung war im Westen und in der Mitte des Landes nicht besonders hoch, im Süden und Osten jedoch sehr niedrig. 2004 hatten über 28 Millionen Menschen ihre Stimme abgegeben, 2014 waren es weniger als 18 Millionen. So sieht keine Aufbruchsstimmung aus.
Mitte April 2014, also etwa sieben Wochen nach dem Machtwechsel in Kiew, stellte das US-amerikanische Meinungsforschungsinstitut Pew folgende Frage: "Übt die gegenwärtige Regierung in Kiew einen guten oder schlechten Einfluss auf die Entwicklung in der Ukraine aus?" Im Osten der Ukraine gaben 67% der Befragten zur Antwort, die Führung übe einen schlechten Einfluss aus, im Westen des Landes immerhin 28%.
Fassen wir zusammen: Ob die ukrainische Führung durch Wahlen demokratisch legitimiert ist, muss mit einem "Ja, aber" beantwortet werden. Zudem schlagen spätestens seit 2015 Präsident und Regierung eine Ablehnung entgegen, die weltweit einmalig sein dürfte, insbesondere im Osten des Landes. Womit wir beim nächsten Thema wären.
Nationalistische Politik
Der Maidan von Anfang 2014 war kein "faschistischer Putsch", sondern von einer breiten Volksbewegung getragen, wenngleich die Ablehnung des Machtwechsels im Süden und Osten des Landes deutlich überwog. Gewaltbereite Neonazi-Stoßtrupps spielten in den Kämpfen in Kiew aber eine wichtige, wenn nicht zentrale Rolle. Und ihre Bedeutung stieg aufgrund des Krieges in der Ostukraine noch weiter an.
Rechtsradikale sind eine kleine Minderheit und können bei Wahlen nur wenige Prozente erringen. Aber sie verfügen über tausende gewaltbereite und bewaffnete Kämpfer. Und ihre Anhänger sind hochgradig mobilisierbar. Rechtsradikale Formationen können wohl mehr Menschen auf die Straßen bringen als jede Partei oder Koalition von Nichtregierungsorganisationen.
Teile der Staatsmacht und Neo-Nazis befinden sich seit dem Maidan in einer wechselseitig vorteilhaften Symbiose. So ist Vadim Troyan Polizeichef Kiews. Er war stellvertretender Kommandeur der bewaffneten Neo-Nazi "Asow"-Einheiten im Rang eines Obersten. Darum können Rechtsradikale teilweise außerhalb der Gesetze agieren. Der ukrainische Innenminister Arsen Awakow, der als zweit- oder drittmächtigster Mann der Ukraine gilt, hält seine schützende Hand über bewaffnete Rechtsradikale. Sie erhöhen sein Drohpotenzial und somit seinen Einfluss.
Auch einige Oligarchen haben enge Verbindungen zur extremen Rechten, etwa Ihor Kolomyoskyi, unser "Held" der Story. Oligarchen und Teile der politischen Führung nutzen und schüren einen radikalen Nationalismus, weil er ihre Interessen weniger bedroht als wirkliche Reformen. Diese nämlich brächen ihre Macht.
Die Bevölkerung ist offensichtlich mit überwältigender Mehrheit der Ansicht, es gebe keine wirklichen Reformen. Die Führung betreibt eine hyper-nationalistische Linie - die im Süden und Osten der Ukraine weithin entschieden abgelehnt wird -, um hiervon abzulenken.
Wie sieht die nationalistische Linie praktisch aus? Ein paar Beispiele: 2015 erklärte das ukrainische Parlament die paramilitärischen Einheiten "Ukrainische Aufstandsarmee" sowie die "Organisation Ukrainischer Nationalisten" zu "Freiheitskämpfern". Beide existierten zwischen 1942 und 1956 und werden im Süden und Osten des Landes im Allgemeinen verabscheut. Die beiden Einheiten waren auch an der Ermordung hunderttausender Juden und zwischen 70.000 und 100.000 Polen beteiligt oder hierfür verantwortlich. Äußerungen "öffentlicher Verachtung" für die beiden genannten Einheiten wurden zu Straftaten erklärt.
Im Januar 2018 wurde "Stalingrad", ein international mit Preisen ausgezeichnetes Buch des renommierten britischen Historikers Antony Beevor, vom ukrainischen Markt verbannt. Seit 2016 untersagt ein Gesetz den Import "anti-ukrainischer" Literatur. Was war Beevors Vergehen? Eine einzige Passage seines Buchs, in dem die Ermordung von 90 jüdischen Kindern durch eine ukrainische Gruppe erwähnt wird.
Greifen wir weitere, noch grundsätzlichere Beispiele heraus: Die Ukraine war bislang multiethnisch geprägt: Im Westen spielten Ungarn, Rumänen und teils Polen eine regional sehr wichtige Rolle, im Süden und Osten Russen. Die Bedeutung des Russischen nimmt zwar seit 1991 ab, es ist aber weiterhin ähnlich bedeutsam und verbreitet wie das Ukrainische. Die gegenwärtige Kiewer Führung möchte das Land aber forciert "ukrainisieren", was an der Sprachenpolitik deutlich wird: Seit März 2017 müssen 75% der Programme nationaler Fernsehsender auf Ukrainisch ausgestrahlt werden sowie mindestens 50% der Programme der regionalen Fernseh- und Radiostationen. Dies betrifft insbesondere russischsprachige Medien, aber auch die der anderen Minderheiten.
Ebenfalls 2017 trat ein neues Schulgesetz in Kraft. Demnach kann in den ersten vier Klassen weiterhin in den Sprachen unterrichtet werden, die neben dem Ukrainischen offiziell im Land zugelassen sind. Ab der fünften Klasse jedoch soll Ukrainisch Unterrichtssprache sein. Nur einige Fächer sollen weiterhin in den Minderheitensprachen unterrichtet werden können, aber nur in Sprachen der EU, d.h. nicht mehr auf Russisch. Dabei wurde von den etwa 15.000 Schulen in der Ukraine ohnedies lediglich in 581 auf Russisch unterrichtet, in 75 auf Rumänisch, in 71 auf Ungarisch und in fünf auf Polnisch.
Derzeit berät das ukrainische Parlament einen Gesetzesentwurf, der "die Leugnung der russischen Aggression gegen die Ukraine" zu einem Strafbestand erklären würde. In diesem Fall drohen mehrjährige Haftstrafen. Die Rebellion in der Ostukraine wurde durch Russland zweifellos befeuert, sie besaß und besitzt aber darüber hinaus innerukrainische Ursachen. Ein beträchtlicher Teil der Bevölkerung im Osten und Süden verabscheute und verabscheut die nationalistische Politik Kiews. Diese Kritiker sollen noch stärker eingeschüchtert werden.
Die Politik der scharfen anti-russischen Abgrenzung sowie der Ukrainisierung ist einer großen Minderheit der Bevölkerung ein zentrales Anliegen, v.a. im Westen des Landes. Sie wird im Osten und Süden des Landes aber ähnlich entschieden abgelehnt. Die nationalistische Politik verhindert eine Versöhnung innerhalb eines nach wie vor zwischen Ost und West gespaltenen Landes. Aber erfüllt sie für die Elite nicht ihren Zweck, nämlich von wirklichen Veränderungen abzulenken? - Eine beträchtliche Minderheit der Bevölkerung will zweifellos die Ukrainisierung. Auf diese Wähler baut Poroschenko in seinem Präsidentschaftswahlkampf.
Umfragen des Kiewer Soziologischen Instituts und des (kremlkritischen) Lewada-Zentrums geben aber Anlass zu Hoffnung: Im Februar 2019 besaßen 57% der Ukrainer eine positive oder sehr positive Sicht auf den russischen Staat, in der westlichen Ukraine 41%, in den südlichen und östlichen Landesteilen zwischen 70% und 75%. Das sind die höchsten Werte seit fünf Jahren. Dabei ist es in der heutigen Ukraine nicht ungefährlich, Sympathien für Russland zu äußern.
Wie reagiert der Westen auf die Entwicklungen in der Ukraine? Auch hierzu ließe sich viel sagen, konzentrieren wir uns auf einen Sektor.
Die westlichen Geldgeber und die Ukraine
2014 verweigerte die ukrainische Zentralbank dem IWF genaue Angaben über die Weiterleitung der an die ukrainischen Banken ausgereichten Mittel, obwohl die Regeln des Währungsfonds dies erforderten. Der IWF nahm es hin.
Brüssel handelte ähnlich fahrlässig: Die EU-Kommission beschloss im März 2014, die Ukraine bis 2020 mit 11,2 Mrd. Euro zu unterstützen. Im Dezember 2016 musste der Europäische Rechnungshof konstatieren, er sei nicht in der Lage festzustellen, wie die Mittel verwendet worden seien. - Vielleicht ist ein wenig in der Privat Bank versenkt worden?
Das Misstrauen der westlichen Geldgeber gegenüber der ukrainischen Führung wuchs. So erklärte der IWF zwar im April 2017, der Ukraine eine weitere Milliarde US-Dollar zur Verfügung zu stellen. Der Währungsfonds verschärfte gegenüber Kiew jedoch zugleich seine Bedingungen für darüber hinaus gehende Zahlungen und mahnte einen entschiedeneren Kampf gegen die Korruption an. Und die EU machte die in Aussicht gestellte Visaabschaffung von der Erfüllung detaillierter Forderungen in der Korruptionsbekämpfung abhängig.
Der IWF stellte der Ukraine zwischen Frühjahr 2014 und Ende 2018 schließlich statt der vereinbarten 17,5 Mrd. US-Dollar "lediglich" 11,6 Mrd. US-Dollar zur Verfügung. Kiew erhielt aufgrund der Übereinkommen mit dem Währungsfonds jedoch Zugang zum internationalen Kapitalmarkt, um dort Kredite aufzunehmen. Ein Staatsbankrott, der zeitweise möglich schien, ist somit zumindest für dieses Jahr abgewendet.
Im November 2018 beklagte Goesta Ljungman, die Vertreterin des IWF in der Ukraine: "Bislang ist kein hochrangiger Offizieller wegen Korruption verurteilt worden." Dies hat System: Die 2017 in der Ukraine verabschiedete "Justizreform" sieht u.a. vor, die Zeit für Ermittlungen von bis zu 15 Jahren auf sechs Monate zu verkürzen und "erfolglose" Ermittlungen bereits nach einem Jahr zu beenden. Es ist nach wie vor klar, ebenso wie vor dem Maidan, welche Ermittlungen erfolglos sein werden …
Das ukrainische Verfassungsgerichtshof setzte im Februar 2019 noch einen drauf: Es hat zentrale Teile der Anti-Korruptionsgesetzgebung für verfassungswidrig erklärt, sodass zahlreiche trotz allem mittlerweile anhängige Verfahren im Nichts enden.
Formularende Die Mehrzahl der westlichen Entscheidungsträger misstraut der ukrainischen Führung, und zwar in zunehmendem Maße. Die Vorbehalte werden aber nur zurückhaltend deutlich, letztlich stützt der Westen Kiew.
Im Dezember 2018 überwies die EU der Ukraine 500 Millionen Euro als erste Tranche einer Finanzhilfe über mehr als eine Milliarde Euro. Die Rückzahlung des Kredits mit einem Zinssatz von 1,25 Prozent wird 2033 fällig.
Zum Schluss
Warum steht der Westen letztlich hinter Kiew? Dies ist eine große und berechtigte Frage. Sie hinreichend zu erörtern dürfte vielleicht Ihre Geduld - und ehrlich gesagt auch meine jetzt zur Verfügung stehende Kraft und Zeit - überfordern. Halten wir nach dieser langen Analyse folgendes fest:
Ende 2004 hatte sich die Ukraine bereits scheinbar auf den Weg Richtung Reformen und Rechtsstaat gemacht, durch die sogenannte Orange-Revolution. Die Ukraine blieb jedoch ein schlecht regiertes Land mit großen sozialen Ungleichgewichten, mangelnder Rechtsstaatlichkeit und grassierender Korruption, die über das in Russland übliche Niveau wohl noch hinausging.
2014 gab es erneut bei vielen Millionen Ukrainern die Hoffnung auf einen wirklichen Umbruch. Das Zeitfenster, in dem wirkliche Reformen möglich gewesen wären, hat sich vermutlich geschlossen. Viele Aktivisten und reformorientierte Politiker haben in den vergangenen Jahren resigniert. Es sieht nach einer Wiederholung von Orange aus, nicht nach einem "Happy End".
Aber am 31. März gibt es Präsidentschaftswahlen, am 21. April die vermutlich erforderliche Stichwahl. Werden sie etwas zum Positiven verändern? Ich halte es für möglich. Auf jeden Fall verspricht es spannend zu werden. In Kürze folgt eine weitere Analyse, die sich dem ukrainischen Präsidentschaftswahlkampf widmet.
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