Die Verbrennung eines Menschen bei lebendigem Leib ist nicht zu rechtfertigen
Der IS inszeniert sich als "Lord of fire" und verbrennt den gefangenen jordanischen Piloten. Das ist die bewährte brutale Shock-and-Awe-Methode der Dschihadisten. Giftig ist das Verbrennungsvideo aber aus anderen Gründen
Dass sie zum Tode verurteilt werden, wahlweise gekreuzigt oder dass ihnen die Glieder abgehackt werden. So lautet die Reaktion einer der großen geistlichen Autoritäten des sunnitischen Islam auf die Meldung von der Verbrennung des jordanischen Piloten Muath al-Kasasbeh bei lebendigem Leib durch IS-Milizen. Nach Auffassung des Großimams der al-Azhar-Moschee Scheich Ahmad Mohammad al-Tayyeb verdienen die Gewalttäter des proklamierten "Islamischen Staates" diese vom Koran vorgeschriebene Bestrafung, weil sie Gott und seinen Propheten Muhammad bekämpfen.
Indessen ist in mehreren Twitterzirkeln, und wahrscheinlich auch auf verschiedenen Facebookseiten und Dschihadforen, eine Diskussion darüber im Gange, inwiefern der IS das Verbrennen seines Gefangenen mit Ableitungen aus religiösen Quelltexten begründen kann. So wird im Kurztext-Account des Journalisten und IS-Spezialisten Hassan Hassan auf eine Online-Fatwa verwiesen, die das Verbrennen von Glaubensabtrünnigen bei lebendigem Leib rechtfertigt. Irgendwo in den Zirkeln findet sich auch ein Verweis auf eine Hadithstelle: auf Abu Dawud, Hadith #2669 und die darin zitierte Aussage:
He said: It is not proper to punish with fire except the Lord of fire.
Kampf um "Hearts and Minds" einer frustrierten Jugend
Allerdings dürften die Auslegungen darüber, wer der "Lord of Fire" ist, und in welcher Beziehungen die Vertreter des "Islamischen Staates" zu ihm stehen, genauso wenig zu einem klaren Verständnis eines besonders inszenierten Mordes beitragen wie der Kontertanz der Hadithe oder das ewige Zitaten-und Quellengemisch aus Koran-und Hadithfragmenten, das bei solchen Gelegenheiten im Heißluftballon nach oben steigt.
Interessanter wäre es für Politiker, Öffentlichkeitsarbeiter und für Vertreter religiöser Gemeinschaften genau hinzuschauen, an wen sich das "Verbrennungsvideo" adressiert und mit welchen Mitteln.
Das 23minütige Video, das der IS im Internet veröffentlicht hat, erklärt, wie die Dschihadisten ihren Kampf um "Hearts and Minds" einer frustrierten Jugend führen. Und das ist nicht mit Primitivität abzutun. Ob das Video die Ermordung des jordanischen Piloten authentisch wiedergibt, kann von dieser Stelle nicht verifiziert werden. Es kann sich genauso gut um eine Fiktion handeln.
Auf seine bewiesene Echtheit in allen Einzelheiten kommt es aber gar nicht an. Als Echtheitskern, mit dem das Video operiert, genügt, dass nichts dafür spricht, dass Muath al-Kasasbeh noch lebt. Nicht ausgeschlossen ist, dass er schon vor Wochen ermordet wurde, wie dies heute in manchen Berichten zu lesen war. Die jordanische Regierung verhielt sich bei den Austausch-Verhandlungen entsprechend zurückhaltend.
Ein Bündel an Gegenerzählungen
Worauf es den Machern des Films ankommt, ist die Sicht des IS zu erzählen. Dies machen sie so, dass der Film, der die Verbrennung eines Piloten zum Höhepunkt hat, wie eine dramatisch hochgepitchte Dokumentation funktioniert. Sie liefert spiegelbildlich die Gegenerzählung zu dem, was dem Publikum von den Nachrichtensendern - Tagesschau, BBC, CNN, n-24 ect. - an Kontext zu Bildern von Treffen mit Politikern, Kriegseinsätzen und Angriffen geboten wird.
Am Anfang des Videos sind Bilder vom Treffen des Königs Abdullah mit anderen Staatsmännern - natürlich darf Obama in Großaufnahme nicht fehlen - und stolze Demonstrationsbilder von Kampfjets, die starten und später angreifen, zu sehen. Später dann die Gewalt der Raketen, der Einschlag von abgefeuerten Raketen in ein Gebäude, aufgenommen von der Bordkamera. Dazu werden aber, im Unterschied zu den TV-Nachrichten, Bilder von den Getroffenen dazwischen geschnitten, in einer Serie von verstörenden Einblendungen, die sich steigern, immer öfter und immer grausiger tauchen sie auf: Bilder von den Getroffenen, verkohlte Kinderleichen, verkohlte Kinderköpfe.
Im Gegenschnitt erscheint dann das Gesicht und der Oberkörper des Piloten des abgestürzten Kampfjets, gekleidet in der orangenen Guantanamo-Gefangenenuniform. Er, den ein Hollywood-Thrillerregisseur nicht professioneller hätte ausleuchten können, sitzt zunächst in einem abgedunkelten Raum als Angeklagter und gesteht. Er gibt Details über den Einsatz der "arabischen Brüderstaaten" beim Kampf gegen den IS preis. Eingeblendet werden Grafiken, die zeigen, wie viele Maschinen jeweils unter welcher arabischer Flagge gegen den IS eingesetzt werden. Die optische Aufbereitung ist dem zeitgenössischen TV-und Netzpublikum vertraut. Aber: die Rollen der Guten und Bösen sind hier vertauscht.
Es wird Gerichtstag gehalten gegen den Piloten des jordanischen Kampfjets. Am deutlichsten wird seine Schuld für den Zuschauer sichtbar, als der Pilot in einer Einstellung, die dem Bild eines besonders grausig verkohlten Kinderkopfes folgt, an einem Schutthaufen vorbeigeht, um sehr langsam vor seine Richter, eine Reihe makellos uniformierter, vermummter Soldaten, zu treten. Dabei schaut er immer wieder auf den Schutthaufen.
Der Schutt ist, wie der Zuschauer bald merkt, der Rest eines zerbombten Hauses. Damit das auch ganz klar wird, zeigt das Video in dazwischen geschnittenen Einblendungen die Bilder von Suchmannschaften, die nächtens im Steingeröll nach Überlebenden suchen und Leichen finden. Genau dafür muss der Gefangene dann büßen. Das ist der sadistische Höhepunkt, auf den das Demütigungs-Video zusteuert.
Dabei wechselt das Genre, an dem sich das Video orientiert, von einer Art dokumentarischem Drama mit Zitaten aus Nachrichtenberichten zum Action-Musikclip. Selbstverständlich ohne die Musik, die man früher dazu erwartet hätte. Die Bilder sind so geschnitten, als ob sie für eine Speed-Metal-Band bereitet würden. Zu hören ist aber Naschid in der Version, wie sie die Dschihadisten lieben, Sound, der immer das Ärgste und Roheste befürchten lässt. So auch diesmal. Die Sequenz, die die Demütigung des Piloten und den Sadismus zum unerträglichen Ende führt, beginnt mit dem lauten Zischen, mit dem die Lunte angezündet wird, die zum Käfig führt, in dem der Pilot gefangen ist. Der Pilot geht in Flammen auf. Wer dies anschaut, hat lange mit den Bildern zu kämpfen. Und ist im Grunde heillos damit überfordert.
Das Zurschaustellen dessen, was vom politischen Mainstream vergraben wird
Der Punkt ist nicht, dass der Film dramatisch gekonnt gemacht ist ("slick", heißt es dazu in US-Magazinen), sondern, dass er mindestens ebenbürtig mit allen konventionellen Bewegtbildern aus der professionellen Medien-Berichterstattung mithält, aber anders als diese eine ganze Motivserie von Gegenerzählungen aufrollt - genau das, was in den dominierenden veröffentlichen Reden, Meinungen, Berichten zur Seite geschoben, versteckt und begraben wird.
Dass sich Versuche der Video-Gegenpropaganda, wie sie zum Beispiel in den USA und Frankreich unternommen werden, dagegen bieder ausnehmen, liegt auch daran, dass sie der guten Absicht so sehr treu bleiben, dass die Sache zum durchschaubaren Kitsch gerät (der sich laut Milan Kundera dadurch auszeichnet, dass "die Scheiße fehlt") und, anders als die IS-Produktionen, mit keinem starken Gefühl arbeiten können.
Man kann davon ausgehen, dass sich Jugendliche, nicht nur in muslimischen Ländern, von der IS-Filmproduktion ganz anders angesprochen fühlen. Weil dort Widersprüche schärfer herausgestellt werden. In regierungsfreundlichen Publikationen aller Länder werden sie noch (?) abgedunkelt.
Jugendarbeitslosigkeit und das Problem der Islamisten nach Morsis Experiment
In den arabischen Ländern wird sich die Attraktivität des IS - die in der Kontinuität der al-Qaida Rhetorik steht, die ebenfalls gut mit Gegendarstellungen etwa zum Palästina-Konflikt und zum Irakkrieg punkten und rekrutieren konnte - auch in Kreisen der Islamisten verbreiten. Nach dem gescheiterten "arabischen Frühling", dem Scheitern des politischen Versuchs der Muslimbrüder und deren Verbot, ist der Moment dafür günstig. Dazu kommt die Jugendarbeitslosigkeit, die anscheinend niemand ernsthaft auf der politischen Rechnung hat, so dass man in die Behebung dieses Problems genau so viel Geld stecken würde wie in den Anti-Terrorkampf.
An diesem Punkt kommt dann die Religion erneut ins Spiel. Die hohen religiösen Autoritäten haben sich opportun und rückgratlos verhalten und damit Chancen vertan, sich als Anlaufstationen bei staatlicher Repression anzubieten. Sie haben sich exemplarisch im bevölkerungsreichsten Land der Region, in Ägypten, durch das tatenlose Beiseitestehen bei den zum Teil brutalen staatlichen Repressionsmaßnahmen für nicht wenige diskreditiert. Damit haben die IS-Botschaften und die Lockrufe der Dschihadisten neues Gehör bekommen.
Der IS kann für sich geltend machen, dass er geschafft hat, wovon Islamisten nur geträumt haben: die Errichtung eines Kalifats. Und, sehr wichtig, dass er - bislang - nicht durch Korrumpierbarkeit aufgefallen ist, sondern im Gegenteil sich als prinzipienfest, unkorrumpierbar zeigt. Das ist ein Trumpf, den der IS ausspielt, der relvant wird, wenn der IS auf religiösem Terreian behauptet, dass er den "authentischen Islam" vertritt, dagegen die "Mainstream-Islamautoritäten", eingerechnet die politischen Islamisten, nur einen "erfundenen, verwässerten Islam".
Geschichten erzählen: Der Lord-of-Fire-Islam des IS
Dass der IS auf die religiöse Schulung sehr viel Wert legt, wird in einem Guardian-Artikel von Hassan Hassan eindringlich und detailliert beschrieben. Dabei kommt dem "Alleinstellungsmerkmal" des IS bei den Scharia-Strafen eine große Rolle zu: Der Überraschungseffekt, den der IS damit erzielt, zum Beispiel beim tödlichen Hinunterschubsen von Homosexuellen von Hausdächern, gilt als "innovativ und attraktiv".
Ob sich nun mit der Interpretation, mit welcher der IS in einem Begleitschreiben den Mord an den Piloten rechtfertigt, etwas an der naiven Bewunderung für den "innovativen IS-Strafenkatalog" ändert, ist sehr zu hoffen.
Laut einem aktuellen Spiegelbericht gerät der IS im Fall der Verbrennung des Piloten in Erklärungsnot: der eingangs genannte "Lord of Fire" kann und darf nur Allah sein. Die Begründung des IS, soweit sie vom Spiegel zitiert wird, läuft darauf hinaus, den Auspruch des Propheten diesmal nicht wörtlich zu nehmen, so das Nachrichtenmagazin, das auf den Bruch mit der IS-Tradition der buchstäblichen Befolgung von fundamentalen Richtlinien hinweist.
Demnach nimmt sich der IS diesmal die Freiheit heraus, es so zu sehen: "Weil das Höllenfeuer unter Gottes Kontrolle steht, ist der Einsatz des Feuers gegen Feinde auf Erden noch lange nicht verboten."
Das klingt nach einem trotzigen Kind. Auch ein Ausspruch von Ibn Tamiya, der nach der Verbrennung des Opfers am Ende des Videos wiedergegeben wird, taugt für Islamkenner nicht als Rechtfertigung der grausamen Tat: "Wenn die Verstümmelung des Körpers sie zum Glauben führt oder dazu, dass sie ihre Feindschaft aufgeben, dann ergibt sich für uns daraus die Erlaubnis zur Bestrafung und zum gerechtfertigten Dschihad."
Aber, wie Hassan Hassan in seinem Bericht über die IS-Ausbildungslager mitteilt: die grotesk-brutalen Strafen des IS werden oft mit Anekdoten und Erzählungen aus der frühen Zeit des Islam an den Mann gebracht. Die Geschichten festigen die Überzeugungen, weniger die Sprüche. Um dies Überzeugungsarbeit zu aufzuweichen, braucht es vermutlich nicht nur eine bessere Korankenntnis, sondern auch die überzeugenderen Gegenerzählungen. Die haben mit den Aussichten der Jugend zu tun, mit Sozialpolitik und mit der Art des Umgangs der Politiker mit der Jugend und mit Weltbildern, die nicht in ihre Konzepte passen.