"Die Versorgung der Wirtschaft hat oberste Priorität"
Die neu strukturierte Deutsche Rohstoffagentur residiert nun in Berlin
Anfang des Jahres beschlossen 12 Großkonzerne, eines ihrer drängendsten Probleme selbst in die Hand zu nehmen. Unter Federführung des Bundesverbandes der Deutschen Industrie einigten sich Aurubis, BASF, Bayer, BMW, Chemetall, Daimler, Evonik Industries, Georgsmarienhütte Holding, Bosch, Stahl-Holding-Saar, ThyssenKrupp und Wacker Chemie auf die Gründung einer "Rohstoffallianz", die im April als GmbH ins Handelsregister eingetragen wurde.
Der Zweck der Gesellschaft ist schriftlich fixiert:
Die Sicherung der Versorgung der Gesellschafter mit kritischen Rohstoffen unter enger Einbindung der Rohstoffpolitik der Bundesrepublik Deutschland, insbesondere durch Entwicklung von und Beteiligung an Explorationsprojekten sowie durch weitere Maßnahmen, die den präferierten Zugang der Gesellschafter zu kritischen Rohstoffen fördern.
Zweck der "Rohstoffallianz"
"Der zweite kalte Krieg"
Als Geschäftsführer der Gesellschaft fungiert der frühere Eon-Vorstand Dierk Paskert, strategischer Vordenker ist allerdings Ulrich Grillo, Vorstandsvorsitzender der Duisburger Grillo-Werke und seit kurzem designierter Nachfolger von Hans-Peter Keitel als Präsident des erwähnten Bundesverbandes der deutschen Industrie.
Für Grillos Nominierung soll der Umstand, dass er spätestens seit Gründung der Rohstoffallianz über "einen industriepolitischen Namen" verfügt, keine ganz unwichtige Rolle gespielt haben.
Der Familienunternehmer beschäftigt sich seit vielen Jahren mit dem Thema Rohstoffe und bemüht manch kantigen Vergleich, um die Öffentlichkeit auf die dramatische Gesamtsituation einzustimmen. Der weltweite Wettbewerb um die Gewinnung von Metallen oder seltene Erden sei im Grunde "ein zweiter kalter Krieg". Deutschland aber experimentierte noch mit 3D-Modellen herum.
Das Modell "3D", also dass wir nur von Dienstleistungen, Dichtern und Denkern leben, wird nicht funktionieren. Wir brauchen die Industrie. Als Exportweltmeister benötigen wir Rohstoffe. Wir stehen am Anfang der Wertschöpfungskette. Wenn wir nicht an die Rohstoffe herankommen, verlieren wir nach und nach alle Stufen der Wertschöpfungskette. Damit wir uns also nicht das Wasser abgraben, brauchen wir eine strategische Außenwirtschaftspolitik.
Ulrich Grillo im August 2008
Als alarmierend schätzt Grillo den Umstand ein, dass sich die deutsche Wirtschaft in einem "asymmetrischen Systemwettbewerb" behaupten und als soziale Marktwirtschaft gegen den "modernen Kommunismus mit kapitalistischen Elementen" (gemeint ist China) antreten muss. Dieser Wettbewerb werde nicht nur mit ungleichen Mitteln, sondern auch mit unterschiedlichem Tempo geführt.
Beistand der Politik
Das hartnäckige Werben um politische Unterstützung blieb nicht lange ungehört. Nachdem die Europäische Union "14 economically important raw materials" identifiziert hatte, stellte das Bundeswirtschaftsministerium im Oktober 2010 die Eckpfeiler einer nationalen Rohstoffstrategie vor.
Zeitgleich wurde die Deutsche Rohstoffagentur unter dem Dach der Bundesanstalt für Geowissenschaften und Rohstoffe mit Sitz in Hannover gegründet. Beifall gab es unter anderem von Ulrich Grillo, damals noch Vorsitzender des BDI-Ausschusses Rohstoffpolitik. Die Agentur sei "ein wichtiges Element unserer nationalen Rohstoffstrategie", befand Grillo.
Nur zwei Monate später gaben das Sächsische Staatsministerium für Wissenschaft und Kunst und das Bundesministerium für Bildung und Forschung grünes Licht für die Gründung eines Helmholtz-Instituts für Ressourcentechnologie an der Technischen Universität Freiberg. Im September 2011 veröffentlichte die KfW-Bankengruppe, die unter der Rechtsaufsicht des Bundesfinanzministeriums steht, eine Studie mit dem eminent langen, aber eben auch aussagekräftigen Titel "Kritische Rohstoffe für Deutschland. Identifikation aus Sicht deutscher Unternehmen wirtschaftlich bedeutsamer mineralischer Rohstoffe, deren Versorgungslage sich mittel- bis langfristig als kritisch erweisen könnte".
Am Dienstag vergangener Woche eröffnete Bundeswirtschaftsminister Philipp Rösler dann persönlich den neuen Sitz der inzwischen ausgebauten Rohstoffagentur in Berlin-Spandau. In nun weitaus zentralerer Position soll die Agentur als "Informations- und Beratungsplattform für mineralische und Energierohstoffe" dazu beitragen, die Planungssicherheit deutscher Unternehmen bei der Rohstoffversorgung zu optimieren.
Die Agentur hat darüber hinaus die Möglichkeit, deutschen Unternehmen regional und international den Weg zu den begehrtesten Rohstoffen zu weisen. Seit Juli 2012 gibt es eine Kooperation mit dem Deutschen Industrie- und Handelskammertag, der gern Kontakte zu den deutschen Industrie- und Handelskammern und den Deutschen Auslandshandelskammern "zur gegenseitigen Information und Unterstützung" herstellt.
Für uns hat die Rohstoffversorgung der deutschen Wirtschaft oberste Priorität. (…) Der Ausbau der DERA und ihre Ansiedlung in Berlin sind ein konsequenter Schritt, der gemeinsam vom Wirtschaftsministerium und der Bundesanstalt für Geowissenschaften und Rohstoffe initiiert wurde. Damit wollen wir eine engere Vernetzung von Politik und Wirtschaft bei diesem wichtigen Zukunftsthema gewährleisten.
Philipp Rösler, 28. August 2012
Ulrich Grillo war bei der feierlichen Eröffnung der neuen Rohstoffagentur natürlich zugegen.
Imagerisiken
Die Agentur nimmt ihre Arbeit ernst und versorgt interessierte Unternehmen durch ihre Rohstoffliste mit zahlreichen Informationen über Preise und Herkunftsländer. Demnach sind seltene Erden praktisch nur in China zu bekommen (97 Prozent). Platin wird dagegen zu 77 Prozent in Südafrika gefördert. Kobalt findet man vorzugsweise im Kongo, Tadschikistan verfügt über Antimon und die Mongolei produziert Fluorit.
Der Rohstoffagentur geht es aber nicht nur um Quellen und Verfügbarkeit, sondern – im Sinne der Außendarstellung der deutschen Wirtschaft – auch um weniger materielle Aspekte. Zwar sei die Rückverfolgung der Materialien in vielen Fällen ausgeschlossen, trotzdem gelte es, "ererbte" Umwelt- und soziale Risiken zu vermeiden.
Imagerisiken und der damit verbundene Verzicht auf Rohstofflieferungen aus bestimmten Regionen oder von Anbietern können demnach auch Beschaffungskonflikte hervorrufen, wie beispielsweise im Falle des Abbaus von Coltan, das durch Kriege und soziale Unruhen in der Demokratischen Republik Kongo in die Schlagzeilen geraten ist.
DERA-Rohstoffliste 2012
Im Fall von Kasachstan hatte die Agentur keine Probleme, eine Rohstoffpartnerschaft zu forcieren. Wirtschaftsminister Rösler traf im Februar seinen Amtskollegen Asset Issekeshev, während sich Bundeskanzlerin Angela Merkel mit Kasachstans 95,5-Prozent-Präsidenten Nursultan Nasarbajew über die Grundlinien einer intensiveren Zusammenarbeit verständigte.
Der Länderbericht von amnesty international verrät deutschen Investoren, wenn sie es denn wissen wollen, einiges über "ererbte" soziale und politische Risiken in Kasachstan, und tatsächlich gibt es Alternativen. Denn die deutsche Kanzlerin ließ sich 2012 auch schon in der Mongolei blicken - und gerade erst wieder in China. Hier allerdings, um die einflussreichen Gesprächspartner davon zu überzeugen, ihre Rohstoffexporte nicht zu reduzieren und überhaupt dem "Ressourcenimperialismus" abzuschwören, den der unvergessene Staatssekretär a.D. Friedbert Pflüger, nunmehr Direktor des European Centre for Energy and Resource Security am King’s College London, beim Marktführer feststellen musste.
Ulrich Grillo war übrigens auch im Reich der Mitte.
Neuer Imperialismus?
Rohstoffsicherung ist für ein rohstoffarmes Land wie unseres ein wichtiges Thema.
Ulrich Grillo, designierter BDI-Präsident
Deutschland ist kein rohstoffarmes Land.
Jens Gutzmer, Direktor des Helmholtz-Instituts für Ressourcentechnologie an der TU Freiberg
Gold und Kupfer in der Lausitz, Zinn im Vogtland, Wolfram und Indium im Erzgebirge, Schiefergas in Niedersachsen – auch hierzulande gibt es offenbar noch immer erhebliche Rohstoffvorkommen, die bis auf weiteres vor allem Wissenschaftler und Buchautoren inspirieren.
"Deutschland ist kein rohstoffarmes Land", folgert Jens Gutzmer, Direktor des Helmholtz-Instituts für Ressourcentechnologie an der TU Freiberg. "Wir haben bloß vor 20,25 Jahren entschieden, dass wir uns nicht mehr um die heimischen Rohstoffe kümmern." Christoph Seidler sieht das ähnlich. Seine zunächst verbale Schatzsuche "Deutschlands verborgene Rohstoffe" erscheint in diesen Tagen auf 252 Seiten.
Dass insbesondere der Bedarf an seltenen Erden, der 2012 weltweit bei knapp 200.000 Tonnen liegen soll, nicht aus eigener Produktion gedeckt werden kann, ist trotzdem unstrittig. Die Rohstoffagentur rechnet in freundlicher Formulierung mit einer "unzureichenden Versorgungslage" besonders bei Europium, Terbium und Dysprosium und sieht bereits die Weiterentwicklung der grünen Technologien bedroht. Der Weltmarkt sei "extrem angespannt", und der hauseigene Rohstoffexperte Dr. Peter Buchholz warnt: "Die Preise für Neodym sind zwischen 2005 und 2011 um mehr als das Dreißigfache, für Dysprosium um mehr als das Fünfzigfache gestiegen." Bis sich die Menschheit im Weltraum umschauen kann (Ran an die Rohstoffe im Weltraum), wird es allerdings noch dauern.
Nicht-Regierungsorganisationen wie PowerShift oder Oxfam sorgen sich bis dahin weniger um den Rohstoffnachschub für die deutschen und europäischen Unternehmen als um die Ausbeutung der Entwicklungsländer und eine ungetrübte Fortsetzung der "imperialen Lebensweise". Die Forderung nach Freihandelszonen und besonderem Schutz für ausländische Investoren schadet nach ihrer Einschätzung nicht allein der wirtschaftlichen Situation in den betroffenen Ländern, sondern begünstigt in den Industrienationen überdies den sorglosen Umgang mit wertvollen Ressourcen.
Die EU versucht auf aggressive Weise, ihre wirtschaftlichen Interessen durchzusetzen, ohne Rücksicht auf die Bedürfnisse von Entwicklungsländern. Im schlimmsten Fall führt die "Rohstoffinitiative" zu Ressourcenraub, der Entwicklungsländer in eine neue Spirale der Armut treibt.
David Hachfeld, Handelsexperte bei Oxfam Deutschland, Januar 2011
Nicht ausgeschlossen also, dass sich die deutsche und europäische Rohstoffpolitik künftig immer offenkundiger am ständig kritisierten, vor der Welthandelsorganisation WTO verklagten Widerpart China orientiert. Die schonungslose Ausbeutung der verbliebenen Ressourcen wäre ebenso inbegriffen wie die Geschäftspartnerschaft mit Diktatoren aller Couleur, sofern sie das Blättchen mit den Umwelt- und Sozialstandards im eigenen Altpapier entsorgen.
Ulrich Grillo, der langjährige China-Kritiker, möchte das gar nicht: "Unsere Antwort auf diese Praktiken soll, darf und kann nicht sein, es genauso zu machen." Aber eigentlich sieht er die Sache auch eher sportlich.
Am Schwarzen Brett einer Benzinpumpenfabrik in Peking hing einmal folgende Fabel: "Jeden Morgen erwacht in Afrika eine Gazelle. Sie weiß, sie muss schneller rennen als der schnellste Löwe, oder sie wird gefressen. Jeden Morgen erwacht in Afrika ein Löwe. Er weiß, er muss schneller rennen als die langsamste Gazelle, oder er wird verhungern. Egal, ob Löwe oder Gazelle – Bei Tagesanbruch muss man rennen."
Ulrich Grillo, designierter BDI-Präsident