Die Volksparteien haben das Volk belogen und betrogen

Jetzt bekommen sie die Quittung und wundern sich - Der Niedergang der Volksparteien ist unvermeidlich, Teil 6

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Seit die Herrschaft der Volksparteien sich zu voller Blüte entfaltete, geht es den Völkern deutlich schlechter. Das Elend rührt nicht in erster Linie von den Volksparteien, aber ihr Vordringen hat die Gesamtlage verschlechtert.

Die Volksparteien haben wesentlich dazu beigetragen, dass die politischen Verhältnisse erstarrten. Nichts funktioniert mehr richtig. Ob man nun auf den Wohnungsmarkt, den Flughafenbau, die Privatisierung von Autobahnen, den katastrophalen Zustand der Schulen, die massenhafte Schließung öffentlicher Schwimmbäder, das totale Chaos bei der Bundesbahn, den Betrug durch die Autoindustrie, den Notstand bei der Alten- und Krankenpflege, die sich ausbreitende Kinderarmut, die Unfähigkeit, die großangelegte Betrügereien der Großbanken einzudämmen, etc., etc. betrachtet: Wo immer sie die Gelegenheit dazu haben, manifestieren die Volksparteien ihr absolutes Unvermögen, eine Politik zu verwirklichen, in deren Mittelpunkt die Interessen der breiten Bevölkerung stehen.

Die vermeintliche Volksherrschaft hat dem Volk ein in reinen Formalismen erstarrtes politisches System gebracht, in dem das Volk nichts zu sagen hat und das in Wahrheit eine Herrschaft über das Volk darstellt, hinter deren scheindemokratisch polierter Fassade soziale Ungerechtigkeit, Chancenungleichheit, Armut und soziales Elend sich ständig und unaufhaltsam weiter ausbreiten. Dem breiten Volk in allen entwickelten Demokratien geht es von Jahr zu Jahr immer schlechter.

Die Menschen wenden sich in Scharen von der Politik ab - von der demokratischen Politik und hören nach und nach auf, deren Vertreter zu wählen. Gut die Hälfte aller Wahlberechtigten geht in vielen Ländern nicht einmal mehr wählen. Nahezu in allen Demokratien ist ein Trend zur Wahlenthaltung festzustellen. Tendenz steigend.

Als die Bürger sich im 18. und 19. Jahrhundert gegen Absolutismus und Adelsherrschaft erhoben, verbanden sie mit der Forderung nach Demokratie den Menschheitstraum von Gleichheit, Freiheit und Brüderlichkeit nach Jahrhunderten der Ungleichheit, Unfreiheit und Unterdrückung. Dem privilegierten Adel setzten sie den Gedanken entgegen, dass ein politisches System nichts wert ist, wenn es nicht der größtmöglichen Zahl der Menschen das größtmögliche Glück bietet.

Das ist das Urversprechen aller Demokratie. Eine Demokratie, in der es den Menschen schlechter als vorher und von Jahr zu Jahr immer schlechter geht - gleich in welcher Hinsicht -, ist keinen Pfifferling wert.

In allen Demokratien geht es den Menschen wesentlich besser als in den vordemokratischen Systemen. Aber in den entwickelten Demokratien geht es ihnen wieder wesentlich schlechter als noch in den frühen Demokratien. In den entwickelten Demokratien geht es wieder bergab. Die Verhältnisse verschlechtern sich dramatisch.

Die frühen Jahre der sich entwickelnden Demokratien waren Zeiten des Aufbruchs und der Zukunftshoffnung für nahezu alle Menschen. Sie brachten Freiheiten, von denen viele Bürger lange kaum zu träumen wagten: Freiheit der Meinungsäußerung, eine freie Presse, generell einen freien Zugang zu Informationen, Versammlungsfreiheit, Freizügigkeit, Freiheit der Religionsausübung, Rechtsstaatlichkeit und viele Menschen- und Bürgerrechte mehr. Sie sind und bleiben für immer und ewig die grandiosen Errungenschaften der Demokratie.

Aber unter der demokratischen Oberflächenstruktur haben sich im Laufe der Jahrzehnte Formen der politischen Willensbildung und der politischen Herrschaft herausgebildet und verfestigt, die dem Geist demokratischer Herrschaft krass entgegenstehen.

Die Machteliten haben sich in den Demokratien und ihren Volksparteien wie Krebsgeschwüre festgefressen und die Kontrolle über die Prozesse der politischen Willensbildung in ihre Hände genommen und usurpiert. Das Volk hat nur noch wenig und immer weniger mitzubestimmen. Die Demokratie findet weitgehend ohne das Volk und im Laufe der Jahrzehnte unter den Volksparteien zunehmend auch gegen das Volk statt.

Die entwickelten Demokratien halten ihre Versprechungen nicht

Die entwickelten Demokratien der Gegenwart lösen so gut wie keine der Menschheitshoffnungen ein, derentwegen so viele Menschen auch heute noch felsenfest und unerschütterlich an die Segnungen der Demokratie glauben.

Ohne Zweifel: Die Menschenrechte und die Bürgerrechte, der Rechtsstaat sind heute in den meisten Demokratien verankert. Und das soll nicht gering geachtet werden. Ohne diese Freiheitsrechte wären die demokratischen Systeme der politischen Willensbildung schon lange überhaupt nichts mehr wert. Natürlich sind die Menschen-, Freiheits- und Bürgerrechte ein hohes Gut, das nicht zur Disposition steht und niemals stehen soll.

Aber es geht um die Prozesse der politischen Willensbildung und um die politische Herrschaft in der Demokratie. Es geht darum, wer die Macht ausübt und auf wessen Kosten er das tut. Und da bestehen nicht bloß mehr oder minder belanglose Defizite.

Das gesamte System der demokratischen Repräsentation ist in das Gegenteil seiner selbst mutiert. Die Staatsgewalt geht nicht mehr vom Volk aus, und sie wird auch nicht mehr für das Volk und schon gar nicht vom Volk ausgeübt. Das Volk spielt in den entwickelten Demokratien nur noch eine untergeordnete Rolle - als Legitimationsbasis für die Ausübung von Herrschaft, als Quelle endlosen Schröpfens und als Staffage für die politische Show, die für die Volksparteien so sehr viel wichtiger als politische Inhalte geworden ist.

Das führt dazu, dass alle Kräfte des politischen Systems im Ergebnis die Lage des Volks progressiv verschlechtern. Darin unterscheiden sich die entwickelten Demokratien nachhaltig von den demokratischen Idealen der frühen Jahre.

Als die modernen Demokratien entstanden, herrschte eine begeisterte Aufbruchsstimmung: Es ging bergauf - wirtschaftlich, politisch, kulturell und in jeder anderen nur denkbaren Hinsicht. Doch nach den Anfängen des hoffnungsvollen Aufbruchs ist das System gekippt und hat sich ins Gegenteil seiner selbst verkehrt. Das Kapital hat seine Herrschaft in Stein gemeißelt und wird sie nicht mehr aus der Hand geben. Und die Volksparteien haben ihnen die Meißel dafür geführt.

Deshalb lässt sich dieser über Jahrzehnte schleichende Prozess auch nicht einfach wieder zurückdrehen. Die Kräfte, die ihn in Gang gesetzt haben, haben ja die Machtstrukturen grundlegend umgebaut. Und diejenigen Kräfte, die im Verlauf dieses Prozesses Macht errungen haben, zeigen keinerlei Neigung, sie leichtfertig wieder aus der Hand zu geben.

Die Folge ist: Nur wenigen geht es gut, der breiten Bevölkerung geht es zunehmend schlechter. Die untere Schicht der Bevölkerung wächst und wächst und wächst, und die mittlere Schicht schrumpft und schrumpft… Die Kluft zwischen Arm und Reich klafft tiefer und wird weiter immer tiefer klaffen. Große Teile der Bevölkerung leben in bitterer Armut. Selbst in relativ reichen Ländern wie Deutschland.

In allen entwickelten Demokratien wächst die Armut. Kinder aus armen und bildungsfernen Schichten haben deutlich schlechtere Chancen als Kinder aus bürgerlichen Familien. Eine wachsende Zahl von Bürgern kann sich und ihre Familien von ihrer Hände Arbeit nicht oder kaum noch ernähren. Altersarmut breitet sich aus, weil viele Rentner von ihren Renten nicht mehr leben können.

Der Mittelstand wird in einem sich über Jahrzehnte erstreckenden Prozess buchstäblich zwischen den Fronten zerrieben - als direkte Folge des demokratischen Systems; denn er ist die einzige verbliebene große Sozialschicht, die einstweilen noch ohne gar zu großes Risiko ausgesaugt werden kann. Doch wie lange noch? Die Unterschicht ist weitgehend zerschröpft und muss sogar vom Staat alimentiert werden. Und die oberste Oberschicht lässt sich nicht ohne ein für die politische Kaste viel zu hohes Risiko anzapfen. Davor schreckt die ach so demokratische Politik zurück. Die wahren Herrscher im System bleiben unangetastet. Der Abstand der wirklich Reichen vom Rest der Bevölkerung ist in den letzten Jahrzehnten mit der tatkräftigen Hilfe der Volksparteien geradezu exponentiell gewachsen. Er hat längst Ausmaße erreicht, die alle Vorstellungen sprengen.

Dies kann man ausnahmsweise nicht den demokratischen Systemen der entwickelten Welt zur Last legen. Aber man kann ihnen und den in ihnen über Jahrzehnte herrschenden Volksparteien zur Last legen, dass sie der Ausbreitung einer Plutokratie nicht Einhalt gebieten. Was für verlogene Scheißparteien sind eigentlich die Sozialdemokratien aller Länder, die es genüsslich in ihren mitregierenden Volksparteien mitverantworten, dass immer größere Teile der Bevölkerung verarmen und die nicht bloß gelangweilt dabei zuschauen, sondern es aktiv mitverantworten?

Die entwickelten Demokratien tun nichts dagegen, dass die Herrschaft der Superreichen die fromme Mär widerlegt, wir lebten in einer Leistungsgesellschaft; denn die wirklich Reichen aller Länder haben ihre Vermögen nicht durch Leistung und schon gar nicht durch Arbeit, sondern durch Erbschaft erworben. Und sie erhalten und mehren es auch nicht durch Leistung und Arbeit. Ihr Kapital erhält und mehrt sich ganz von selbst - wenn auch mit tatkräftiger staatlicher Förderung. Die "Demokraten" in den herrschenden Volksparteien sind nicht viel mehr als ein williger Helfer der Plutokratie. Einem einzigen Prozent der Bevölkerung gehört mehr als den ärmeren 99 Prozent der Menschen.

Die entwickelten Demokratien sind keine Leistungsgesellschaften

Die Superreichen des Geldadels arbeiten nicht und sie leisten nichts. Sie lassen ihr Kapital arbeiten. Sie sind keine Unternehmensgründer und auch keine Unternehmenslenker. Sie sind Anleger und verwalten das Vermögen, das ihre Väter und Großväter geschaffen haben.

Doch Geldvermehrung durch Vermögensverwaltung ist keine Leistung. Die Geldelite ist auch keine Leistungselite. Die Politik der Volksparteien hat diese gigantische Umverteilung von unten nach oben auf jeden Fall nicht verhindert. Im Gegenteil, sie hat nach Kräften mitgeholfen, sie wachsen und gedeihen zu lassen.

Wer mit seinem Vermögen Geld verdient, zahlt pauschal 25 Prozent Kapitalertragssteuer. Wer sein Einkommen durch Arbeit erzielt, zahlt hingegen bis zu 45 Prozent.

Das demokratische System schafft keine Gerechtigkeit. Es schafft krasse Ungerechtigkeit und lässt sich davon auch durch nichts abbringen. Die entwickelten Demokratien bestreiten inzwischen gar, dass sie überhaupt dafür zuständig sind, soziale Ungerechtigkeiten aus der Welt zu schaffen.

Die Superreichen tragen in immer geringerem Maße zum Gemeinwohl bei, obwohl sie für sich selbst doch so gern das Bild von der Lokomotive in Anspruch nehmen, die den Zug des allgemeinen Wohls in Fahrt bringt. Doch sind sie noch nicht einmal ein Bummelzug, sondern eine Riesenbremse.

1960 trugen die Gewinnsteuern der Kapitaleigentümer etwa 35 Prozent zu den Einnahmen des Staats bei, während die Massensteuern der arbeitenden Menschen nur ein bisschen mehr aufbrachten, nämlich 38 Prozent. Zwischen Kapital und Arbeit herrschte damals noch so eine Art fragiles Gleichgewicht.

Heute zahlt das Gros der Bevölkerung mit seinen Massensteuern 71 Prozent des gesamten Steueraufkommens. Die Gewinnsteuern liegen unter 20 Prozent. Also wächst der Reichtum des Geldadels ganz von selbst. Er braucht nicht einmal selbst etwas dafür zu tun. Er kann sich hinsetzen und dabei zuschauen, wie sein Vermögen blüht und unaufhörlich wächst. Und das wächst schneller als das Gras im Sommerregen dank der tatkräftigen Unterstützung durch die Volksparteien.

Die oberste Oberschicht ist fein ‘raus. Den Staat finanzieren die arbeitenden Menschen aus der Mittelschicht. Die Angehörigen der obersten Oberschicht tragen noch nicht einmal richtige Peanuts dazu bei. Doch wie lange wird das noch möglich sein, wenn die Mittelschicht weiter schrumpft? Denn deren Wohlstand sinkt.

Hier zeigt sich einmal mehr die selbstzerstörerische Eigendynamik der entwickelten Demokratien. Die einzige Bevölkerungsschicht, auf der das politische und wirtschaftliche System dauerhaft ruht, wird nach und nach von den Rändern her angefressen und aufgezehrt. Und das wird so lange gehen, bis die Mittelschicht im Kern vernichtet ist.

Die Armutsgefährdungsquote beträgt im Bundesdurchschnitt 15,8 Prozent. Sie wächst seit Jahren unverdrossen. Für eines der reichsten Länder der Welt ist das eine Schande. Es ist dies aber nicht das Werk eines finsteren Diktators, der sein Volk aussaugt. Es ist das Werk einer durch das System des demokratischen Parteienstaats ermöglichten, teils gewissenlosen, teils gleichgültigen und teils einfach auch nur hilflosen und unfähigen Politikerkaste, die sich ständig mehr mit sich selbst beschäftigt und der das eigene luxuriöse Hemd näher als die Hosen der breiten Bevölkerung ist.

Der Demokratie liegt der Glaube an eine Gesellschaft zu Grunde, in der die soziale Ungleichheit vor allem auf Leistung und Arbeit beruht, nicht auf Abstammung, Erbe und Kapital. In der Demokratie gerät sonst die proklamierte Gleichheit der Rechte aller Bürger in schreienden Gegensatz zur real existierenden Ungleichheit der Lebensverhältnisse. Ohne rationale Rechtfertigung lässt sich diese Ungleichheit nicht ertragen…

Der amerikanische Wirtschaftswissenschaftler Kenneth Rogoff spricht davon, dass heute längst wieder Vermögensmacht wie zu Zeiten der rücksichtslosen "robber barons" im 19. Jahrhundert, des entfesselten Raubtierkapitalismus und auf dem Höhepunkt der Ungleichheit herrscht.

Die Kluft zwischen arm und reich geht weltweit rasant auseinander. Die entwickelten Demokratien feiern die Wiederauferstehung des unkontrollierten Frühkapitalismus in abgewandelter, moderner Form.

Die demokratisch gewählten Entscheidungsträger in den herrschenden Volksparteien tragen die Hauptverantwortung für diese unheilvolle Entwicklung. Sie haben die entscheidenden Weichenstellungen durchgesetzt und die Unternehmenssteuern und die Steuern auf Kapitaleinkünfte und Vermögen radikal gesenkt. Sie sind eben nicht die Vertreter der Interessen ihrer Wähler, sondern die Handlanger der Plutokraten.

Die resultierende Strukturveränderung ist eine unmittelbare Folge fehlender Besteuerung von Unternehmen und Superreichen durch die Volksparteien sowie der Staatsverschuldung. Sie hat dazu geführt, dass heute viel zu viel Geld in der Welt im Umlauf ist. Und je mehr Geld zirkuliert, desto wichtiger wird es. Heute beherrscht die Geldwirtschaft die Realwirtschaft, statt ihr zu dienen.

Das politische System mit seinem umfangreichen Apparat und der Notwendigkeit für die Volksparteien, Wahlen zu gewinnen und das mit Wahlgeschenken zu finanzieren, haben die Finanzen der entwickelten Demokratien in aller Welt und auf allen Ebenen ruiniert.

Die politische Kaste mit ihren zehn- bis zwanzigtausend Personen verbraucht nicht nur für sich selbst große Geldmengen. Sie verursacht vor allem eine immense Fehlleitung von Steuereinnahmen. Das kostet das Volk weit mehr, als die Gegenleistung wert ist. Politische, wirtschaftliche und soziale Entscheidungen, deren Inhalt vom Primat des Machterhalts und Machtgewinns von Parteien bestimmt ist, können der breiten Bevölkerung nicht nützen. Sie schaden ihr immens.

Leere Hülsen im Gewande einer Demokratie

Es ist der Zeitpunkt gekommen, an dem die Menschen in den entwickelten Demokratien der Welt darüber nachdenken müssen, ob es Alternativen zu den erstarrten und verkrusteten Herrschaftsformen gibt, die sich ohne Fug und Recht noch immer als Demokratien bezeichnen.

Sie verfügen ja im besten Fall überhaupt nur noch über Spurenelemente der Demokratie-Ideale von einst und nennen sich nur Demokratien, sind es aber längst nicht mehr. Sie schmücken sich mit einem Namen, den sie längst nicht mehr verdienen. Sie sind leere Hülsen im Gewande einer Demokratie.

Antworten auf die großen Zukunftsfragen haben die Volksparteien aller Länder viel zu wenige. Sie sind von der Konstruktion her auf die kurzsichtige Perspektive angelegt, die in aller Regel selten länger als dem Ende der laufenden Legislatur und der nächsten Wahl geht. Bei den meisten Zukunftsfragen sind sie völlig ratlos.

In der politischen Mitte ist ein Vakuum entstanden, das die anderen Parteien füllen. In Stil und Sprache unterscheiden sich die Grünen mit Abstand am meisten von den Volksparteien, wenn es um die Auseinandersetzung mit der AfD geht. Wer, wie CSU, FDP und sogar Teile der SPD, AfD-Wähler umwirbt, verliert eigene Wähler - eine besonders hinterhältige List der politischen Vernunft.

Gesellschaftliche Herausforderungen und Probleme lassen sich in Zukunft nur über Lösungen definieren. Nur so haben die "Volksparteien" vielleicht noch eine Zukunft, wahrscheinlich aber auch so nicht mehr. Das wird ihnen auf jeden Fall sehr schwerfallen; denn der gesamte parlamentarische Zirkus ist von Fraktionszwang bis Debattenkultur auf parteipolitischen Konflikt gebürstet. Sie müssen sich den wirklichen Fragen stellen und sich stärker gegenüber jenen öffnen, die sich von ihnen immer weniger repräsentiert fühlen: junge Menschen, Frauen, Unternehmer und Menschen mit einer Migrationsgeschichte.

Doch ob es den politischen Parteien gelingen wird, diese Wende der demokratischen Kultur überhaupt zu bewerkstelligen, steht in den Sternen. Es bedürfte erheblicher Anstrengungen derjenigen, die in der Kultur des Besserwissens ("Wir haben die besseren Konzepte.") politisch sozialisiert wurden und nicht in einer lösungsorientierten Politikkultur. Mit den Volksparteien verlieren die Demokratien jedenfalls einen ihrer wichtigsten Pfeiler, und es kann durchaus sein, dass kein besserer nachwächst.

Schwachsinn: "Globalismus der Eliten hat die Arbeiterklasse zerstört"

Die Ultra-Rechten in den USA behaupten heute, dass Trumps Wahlsieg von einer sozialen Spaltung der amerikanischen Gesellschaft ausgelöst wurde. Auf der einen Seite stünden die Eliten: die gebildeten, wohlhabenden Anhänger des Freihandels und der kulturellen Freizügigkeit. Früher hätte man sie wohl als Angehörige der Bourgeoisie bezeichnet. Sie leben in den urbanen Zentren an der West- und Ostküste, und haben kulturell mehr mit Shanghai oder London gemein als mit der Mehrheit der einfachen Amerikaner im "fly-over country".

Der von diesen Eliten propagierte "Globalismus" habe die "amerikanische Arbeiterklasse zerstört und eine Mittelschicht in Asien geschaffen". Dagegen wollen die Ultra-Rechten "Konservative und Populisten" unter dem Banner eines "ökonomischen Nationalismus" vereinigen. Eine Variante dieser Theorie stammt von dem deutschen Politikwissenschaftler Wolfgang Merkel. Danach spaltet sich das politische Feld entlang einer "neuen Konfliktlinie" zwischen "Kosmopoliten" und "Kommunitaristen". Im Zentrum stehe die Frage, "wie stark die Grenzen des Nationalstaates geöffnet oder geschlossen" werden sollen.

Auf der einen Seite "sammeln sich die Kosmopoliten als Grenzöffner und Vertreter universaler Menschenrechte". Sie seien "Globalisierungsgewinner, besser gebildet und ausgestattet mit mobilem Human-, Sozial- und Kulturkapital". Auf der anderen Seite stehen "die Kommunitaristen", die "ein hohes Interesse an nationalstaatlichen Grenzen" haben. Sie seien "Globalisierungsverlierer mit vergleichsweise niedriger Bildung, geringem Einkommen und lokal-stationärem Human-, Sozial- wie Kulturkapital".

Hinter dieser, an den Haaren herbeigezerrten Gegenüberstellung steht die zutiefst reaktionäre Vorstellung von einem Gegensatz zwischen den liberalen Eliten, die frei und ungebunden um die Welt jetten und mit ihrer Obsession vom Freihandel und multikultureller Progressivität ihre Nation und das einfache Volk verraten haben, auf der einen und dem einfachen Volk auf der anderen Seite, das im Gegensatz zu den "mobilen" Eliten auf ihre "Heimat" und auf eine geschützte nationale Wirtschaft angewiesen sind.

Diese Interpretation folgt einfach blind den primitiven Deutungsmustern der Ultra-Rechten. Denn wenn die Irrationalität und Brutalität des globalen Kapitalismus erst einmal mit Kosmopolitismus, mit kultureller Differenz oder hybriden Identitäten assoziiert werden, scheint nur noch die nationale "Gemeinschaft" Schutz bieten zu können.

Dabei hat Freihandel überhaupt nichts mit kosmopolitischer Kultur oder mit den universellen Menschenrechten zu tun. Die Architekten des globalen Freihandels waren nationale Eliten, die schlicht die Interessen ihrer nationalen Wirtschaft zu vertraten. Das Rückgrat nicht nur der der deutschen Wirtschaft ist die exportierende Industrie - zahlreiche mittelständische Unternehmen und Großkonzerne wie Siemens oder VW, die auf einen offenen Weltmarkt angewiesen sind.

Die Besitzer dieser Unternehmen und die dort arbeitenden Menschen sind ökonomisch auch dann auf globalen Freihandel angewiesen, wenn sie einen völlig provinziellen Habitus pflegen, sogar etwas gegen Ausländer haben oder die "traditionelle Familie" verteidigen, vielleicht unterstützen sie auch die CSU oder sogar die AfD. Das eine hat mit dem anderen nichts zu tun.

Zwischen Globalisierung und Nationalismus besteht kein Widerspruch

Die globalisierte Wirtschaftsordnung ist gerade das Mittel, mit dem jedes Land seine nationale Position festigt und sich gegen andere Länder durchsetzt. Ein Widerspruch besteht vielmehr zwischen den Anforderungen des Kapitalismus (nämlich konstante Profite für die Kapitaleigner zu erwirtschaften) und dem, was sich die meisten Menschen unter einer gerechten Wirtschaft vorstellen (nämlich einen funktionierenden Sozialstaat und sichere, angenehme, gut bezahlte Jobs für alle).

Das basierte darauf, dass die deutsche Arbeiterklasse zum Wohle der nationalen Industrie Opfer brachte: in Form von "Lohnzurückhaltung", aber auch durch die neoliberale Transformation des Sozialstaates seit den 1990er Jahren. Die Gesellschaft, die dabei entstand, ist geprägt von Leiharbeit, prekärer Beschäftigung, wachsender Armut und sozialer Unsicherheit.

All das wäre ohne die wirtschaftsliberalen Reformen der rot-grünen Schröder-Regierung kaum möglich gewesen. Die Agenda 2010 und die explizit neoliberale Wendung der SPD rührten eben nicht daher, dass sie sich einem exzessiven "Globalismus" verschrieben hätte. Vielmehr erwiesen sich die Sozialdemokraten als gute deutsche Patrioten: Sie opferten die sozialen Interessen eines Großteils ihrer Basis, um die deutsche Wirtschaft, um die Nation, das nationale Kapital wieder stark zu machen.

Gerade deswegen ist es geradezu absurd, die "Kosmopoliten" als Sündenbock heranzuziehen, um die Krise der Sozialdemokratie in Europa zu erklären. Doch tatsächlich steht dahinter eine völlig andere Konstellation. Nach dem Zusammenbruch der bipolaren Welt und dem Ende der ideologischen Konfrontation zwischen Ost und West haben sich nach Überwindung der anfänglichen Orientierungslosigkeit nach und nach und immer stärker antidemokratische Autokratie und nationale Egoismen durchgesetzt.

In deren Gefolge etablierten sich allenthalben auf privater Ebene krassester Egoismus und auf nationaler Ebene unkontrollierte nationalistische Eigensucht mit deutlich faschistischen Zügen. Es ist wesentlich plausibler, die Existenz der angeblichen "Kommunitaristen" als eine Art Wiedererwachen der faschistischen und nationalsozialistischen Denkmuster der Vergangenheit, natürlich in zeitgemäß modernem Gewande, zu deuten und - ganz und gar unabhängig davon - den Niedergang der Volksparteien als einen Prozess zu deuten, der so gut wie ausschließlich darauf zurückzuführen ist, dass wachsenden Teilen der Bevölkerung immer klarer geworden ist, dass Volksparteien nichtsnutzige PR-Veranstaltungen darstellen, die stets den Mund zu voll nehmen, deren Horizont stets nur bis zum nächsten Wahltag reicht und die keins der vielen Versprechen halten, die sie stets in reichem Maße im Volk lancieren.

Rechtsextremismus ist weiterhin die Sammelbezeichnung für neofaschistische, neonazistische oder ultra-nationalistische politische Ideologien und Aktivitäten, deren gemeinsamer Kern die Orientierung an der ethnischen Zugehörigkeit, die Infragestellung der rechtlichen Gleichheit der Menschen sowie ein antipluralistisches, antidemokratisches und autoritär geprägtes Gesellschaftsverständnis ist. Daran ist aber auch absolut gar nichts Neues.

Politischen Ausdruck findet dies in Bemühungen, den Nationalstaat zu einer autoritär geführten "Volksgemeinschaft" umzugestalten. Der Begriff "Volk" wird dabei rassistisch oder ethnopluralistisch gedeutet. Da sich Rechtsextremisten in unterschiedlichen soziokulturellen Kontexten auf unterschiedliche Konzeptionen von Nation beziehen, unterscheidet sich die Definition des Rechtsextremismus in einzelnen Staaten.

Die Volksparteien haben den Karren mit großem verbalem Aufwand an die Wand gefahren und hampeln hilflos umher. Bloß: Lösungen haben sie so gut wie kaum gefunden.

Wie hat es überhaupt je dazu kommen können, dass die Wähler dies immer noch alles so widerstandslos, apathisch, ja gelangweilt über sich ergehen lassen? Im Gespräch zeigt sich jeder Einzelne zutiefst frustriert über die Irrungen und Wirrungen und die Perspektivlosigkeit der Politik. Doch wenn es darum gehen könnte, Konsequenzen zu ziehen, machen sie bei Wahlen immer noch ihr Kreuzchen an der Stelle, an der sie das schon meistens früher gemacht haben, oder vielleicht auch mal an einer anderen Stelle. Aber das macht auch nicht viel aus.

Die Wahlen gingen während der hohen Zeit der Volksparteien halt immer ähnlich aus. Im Prinzip änderte sich nie viel. Es ging immer nur um ein paar Prozent nach oben oder nach unten. Mal gewannen die einen und verloren die anderen, aber immer waren die Volksparteien mit von der Partie. Mal gewannen die anderen und verloren die einen. Politisch aber blieb meistens alles beim Alten. Empörung? Wut? Aufruhr? Revolutionäre Stimmung? Politikverdrossenheit? Ja, höchstens nach dem siebten Bier. Nur die Apathie großer Teile der Bürger nahm laufend zu. Und der Politik und den Volksparteien war das lange Zeit sogar noch recht bequem.

Die Wissenschaft hat für dieses Verhalten den Terminus "rationale Ignoranz" geprägt. Jeder Wähler weiß, dass er mit seiner Stimme nur einen minimalen Einfluss auf das Wahlergebnis hat. Könnte der einzelne Wähler eine Wahl entscheiden, wäre das gewissermaßen der Höchstnutzen, den die Entscheidung ihm bringen könnte.

Bei einer konkreten politischen Abstimmung stehen die Wähler vor dem Problem, einerseits mit verschwindend geringer Wahrscheinlichkeit die Wahl zu entscheiden (Nutzen) und andererseits beliebig viel Zeit investieren zu müssen, um sich tatsächlich zu jedem Thema eine Meinung zu bilden (Kosten).

Weil die eigene Stimme in der repräsentativen Demokratie der Volksparteien fast gar keinen Einfluss auf das Wahlergebnis und die daraus folgende Politik hat, lohnt es sich für den "homo oeconomicus" nicht, hohe Informationskosten auf sich zu nehmen. Was er an Informationen aufnimmt, hängt eher vom Unterhaltungswert der Nachricht als von deren politischer Bedeutung ab. Wenn die eigene Stimme in einem Millionenmeer von anderen Stimmen versinkt, dann ist diese Ignoranz auch ganz vernünftig, wenn es politisch um das große Ganze geht.

Völlig anders stellt sich das bei partikularen Interessen dar. Da geht es um die ganz persönlichen Vorteile. Da kann sich keiner Ignoranz erlauben. Landwirte wissen über Agrarsubventionen, Unternehmer über steuerliche Abschreibungsmöglichkeiten, über 65-Jährige genauer über Renten und Studenten über Studiengebühren ziemlich gut Bescheid.

Wenn aber nur Leute mit Partikularinteressen halbwegs informiert sind, die Masse der nur indirekt als Steuerzahler oder Konsumenten betroffenen Bürger aber fast gar nicht, dann lohnt es sich für Politiker, die ja gewählt werden wollen, sich weitgehend den Wünschen der betroffenen und informierten Minderheiten, ihrer Klientele, zu unterwerfen und für diese spürbare und möglichst große Vorteile durchzusetzen - auch und gerade zu Lasten schlecht oder gar nicht informierter Mehrheiten.

Rationale Ignoranz der Wähler führt in der Konsequenz zu einer Wirtschaftspolitik, die sich gegen das Gemeinwohl und gegen die Interessen der Gesamtbevölkerung richtet.