Die Wahrheit über George W. Bush in 30 Sekunden
Mit einem rasanten Online-Wettbewerb wollen Bush-Kritiker eine zweite Amtszeit verhindern
Nichts weniger als die Wahrheit über George W. Bush sollen die Wähler erfahren. In einem Clip von maximal 30 Sekunden Länge. Mit oder ohne Ton. Hauptsache, die Botschaft wirkt. Denn Präsident Bush darf unter keinen Umständen eine zweite Amtszeit bekommen. Meinen zumindest die Macher des Spot-Wettbewerbs bushin30seconds.org.
Die Vorauswahl trifft die Web-Gemeinde, die Endauswahl obliegt einer prominent besetzten Jury, die Musiker, Schauspieler, Regisseure, Produzenten, Wahlberater und Kommentatoren vereint. Mit von der Partie sind die Regisseure Michael Moore, Gus Van Sant und Michael Mann sowie die Sänger Michael Stipe (R.E.M.) und Eddie Vedder (Pearl Jam). Mit-Initiator der Aktion ist Moby, getragen wird sie von der Aktivistengruppe MoveOn.org, die erst kürzlich eine Geldspritze von Milliardär "George-Regime-Change-Soros" (vgl. Kampf der Giganten) bekommen hat.
Offiziell hat der Wahlkampf in den Vereinigten Staaten noch nicht begonnen. Was George W. Bush nicht davon abhielt, die Truppe im Irak medienwirksam mit einem toten Federvieh zu beglücken (vgl. Wag The Turkey). In den Vereinigten Staaten ist Thanksgiving eine nationale Institution, und Bush wollte sich diese Gelegenheit zur Image-Pflege nicht entgehen lassen. Unbeeindruckt von der Operation Truthahn rüsten die Macher des Spot-Wettbewerbs zum Gegenangriff. Im Visier haben sie eine weitaus prestigeträchtigere Institution: die alljährliche Rede des Präsidenten zur Lage der Nation.
Laut Verfassung soll der Präsident der Vereinigten Staaten den Kongress von Zeit zu Zeit über die Lage der Nation informieren und Maßnahmen vorschlagen, die er für notwendig und angemessen hält. Im Januar 2004 ist es wieder so weit, denn George Washington hielt die erste Rede dieser Art am 8. Januar 1790 - und seine 42 Nachfolger hielten sich mehr oder weniger an diesen Zeitplan. Die Umsetzung variierte natürlich, Thomas Jefferson zum Beispiel fand leibhaftige Reden einer jungen Demokratie unangemessen und beschränkte sich 1801 auf die schriftliche Form. Erst 112 Jahre später kehrten die Präsidenten zur mündlichen Form zurück. Die erste Übertragung via Radio erfolgte 1923, seit 1947 wird die Ansprache im Fernsehen ausgestrahlt.
Besonders in Wahljahren wird die Ansprache des Präsidenten von Polit-Spots umrahmt. Die Investition lohnt sich, denn selten gibt es mehr Aufmerksamkeit. Kein Wunder, dass MoveOn.org genau hier den Stachel platzieren will: Ausgestrahlt wird der zum Sieger gekürte Clip zeitnah zur Rede des Präsidenten zur Lage der Nation. Der genaue Termin der Ansprache wird erst kurzfristig bekannt gegeben - deshalb legen sich auch die Veranstalter nicht fest auf einen exakten Termin.
Noch bis zum 5.12. (Eastern Standard Time, also bis 05.59 a.m. MEZ am 06.12.03) konnten Bush-Entlarver ihre Beiträge einsenden. Wobei ein paar Regeln formaler und inhaltlicher Natur zu beachten waren. Beiträge einreichen durften zum Beispiel nur Personen über 15 Jahre, die entweder US-amerikanische Staatsbürger sind oder permanent in den Vereinigten Staaten leben. Liebend gerne würden die Veranstalter einen globalen Wettbewerb ausrichten, doch leider kollidiere dieser Wunsch sowohl mit dem Wahlgesetz als auch mit den Steuergesetzen der Vereinigten Staaten.
Inhaltlich sind die Clip-Macher vollkommen frei. Theoretisch jedenfalls, denn praktisch muss der Clip TV-tauglich sein. Mit anderen Worten: Obszönitäten und andere Grobheiten sind tabu. Ebenfalls tabu sind direkte Wahl-Empfehlungen. Der Sponsor des Wettbewerbs, der MoveOn.org Voter Fund ist nämlich eine politische Organisation, die den Regeln von Abschnitt 527 (Section 527 des US-amerikanischen Steuer-Gesetzes unterliegt. Als solcher ist ihr nicht gestattet, Botschaften unters Volk zu bringen, in denen Formulierungen wie 'wählen sie Kandidat xy' oder 'wählen sie auf gar keinen Fall Kandidat xy' auftauchen. Mit anderen Worten: die Wettbewerbs-Beiträge dürfen alles mögliche über Präsident Bush und seine Regierung verbreiten, dürfen aber niemanden explizit auffordern, für oder gegen Bush zu stimmen. Um den Entlarvern in spe auf die Sprünge zu helfen, haben die Veranstalter ein paar Kritikpunkte an Bush zusammengestellt.
Schummeln verboten
Vom 15. bis 31. Dezember hat das Publikum die Qual der Wahl. Maximal fünf Sterne können pro Clip vergeben werden. Zu bewerten sind vier Aspekte, und zwar mit unterschiedlicher Gewichtung: Gesamteindruck (40% der Gesamtnote); Originalität von Konzept, Idee und Umsetzung (20%); Einprägsamkeit von Inhalt und Darstellung (20%); klare Botschaft (20%). Abstimmen dürfen nicht nur US-Bürger, sondern jeder mit Web-Zugang, wobei pro Mail-Adresse und Clip maximal eine Stimme abgegeben werden kann. Wer erwischt wird beim Versuch, mehrfach abzustimmen, verliert sein Wahlrecht. Nach Abschluss der Online-Wahlen werden 15 Favoriten ermittelt und Anfang Januar 2004 der Jury zur Endauswahl vorgelegt. Der Sieger-Spot wird im Fernsehen ausgestrahlt. Ein Preisgeld ist nicht vorgesehen - der Sieger erhält lediglich eine Videokassette mit der Fernseh-Fassung seines Clips. Aber was ist schon Geld gegen 30 Sekunden Ruhm? Und was ist eine Fernseh-Ausstrahlung gegen einen weltweit wirksamen Webauftritt? Dabei sein ist in diesem Fall alles.