Die Welt bleibt ein gefährlicher Platz
Die US-Regierung bereitet die Nato-Länder auf neue Kriegszüge vor und beschwört die permanente Bedrohung
Mit Erfolg konnte US-Verteidigungsminister Rumsfeld offenbar die Nato-Verteidigunsminister auf künftige militärische Aktionen gegen den internationalen Terrorismus einschwören. Wie schon in den USA mit Dauerwarnungen vor Terroranschlägen praktiziert (We're at war), sollen nun auch die Europäer mit der Beschwörung von Angst bei der Stange gehalten werden, schließlich könne jeder Zeit ein terroristischer Angriff mit chemischen, nuklearen oder biologischen Massenvernichtungsmitteln auf jede europäische Stadt stattfinden.
Rumsfeld suchte gestern auf der Nato-Tagung Stimmung für eine Weiterführung der militärischen Aktionen zu machen. Nachdem bin Ladin, auf den sich die US-Strategie noch unlängst mit der Veröffentlichung des Videos als Personalisierung des Terrornetzwerkes konzentriert hatte, untergetaucht ist, fehlt ein erkennbarer Feind. Allein schon wegen der Medien, die Kriege begleiten, müssen Kriege medienlogisch gegen einen personalisierten Feind geführt werden, um öffentliche Unterstützung zu erhalten.
"The experiences of September 11th remind us that enemies of freedom seem always with us. And if we are to defend freedom, we must remain constantly on guard, ready for surprises, ready to fight today's wars even as we prepare to defend our people and our way of life from new and different and unexpected threats." - Rede von US-Verteidigungsminister Rumsfeld vor der Nato am 18.12.
Offensichtlich wurde bereits als nächstes Ziel Somalia ausersehen, nachdem Jemen bereitwillig noch schnell militärisch gegen ein Dorf vorgegangen ist, in dem sich angeblich Mitglieder von Al-Qaida aufhalten sollen. Zur Debatte steht auch noch der Sudan. Erst einmal sucht man sich also Länder aus, in denen die für die technisch weit überlegene "Koalition" keine große Gefahr bei einem Fernkrieg besteht und die in der Staatengemeinschaft kaum auf Beistand hoffen können. Man kann davon ausgehen, dass die erfolgreiche Strategie der Bombardierung aus der Luft auch im nächsten Kriegsgebiet zum Einsatz kommen wird. Zerfallene Staatengebiete oder arme Länder, die militärisch nicht hochgerüstet sind, stellen in diesem Sinne bessere Angriffsziele dar als militärisch gefährlichere "Schurkenstaaten" wie der Irak oder Syrien oder gar Verbündete wie Saudi-Arabien, zumal hier auch mit mehr Widerstand aus der Staatengemeinschaft zu rechnen wäre.
Die US-Regierung besteht darauf, beim Kampf gegen den Terrorismus freie Hand zu haben. Das Recht auf Selbstverteidigung, das keiner Begründung zu bedürfen scheint, werden natürlich mehr und mehr nicht nur die USA oder Israel, sondern auch andere Länder wie Russland, China, Indien oder Pakistan für sich einfordern, um ungehindert gegen Feinde vorgehen zu können. Die USA haben gewissermaßen das breite militärische Vorgehen gegen Gruppen nobilitiert, die als Terroristen bezeichnet werden, aber auch gegen Staaten, in denen sie sich aufhalten. Ob sich die dadurch losgetretene Herabsenkung der Kriegsbereitschaft in Grenzen halten wird, kann sich schon schnell am schwelenden Konflikt zwischen Indien und Pakistan nach dem Terrorangriff auf das indische Parlament herausstellen.
Gleichwohl, die US-Regierung scheint entschlossen zu sein, den einmal begangenen Pfad auch weiter zu gehen. Und wie immer im Krieg erzeugt die Bedrohung zwar eine größere Einheit und eine Stärkung der kriegsführenden Parteien, aber diese Stimmung muss auch permanent aufrechterhalten werden. Gegenwärtig ist das Problem der US-Regierung weniger, wie sonst üblich, die Größe der eigenen Verluste oder die Kritik an einem übermäßig brutalen Vorgehen gegen die Feinde, sondern das Fehlen der terroristischen Bedrohung. Die Erinnerung an den Anschlag auf das WTC muss daher aufrecht erhalten werden, um zu demonstrieren, dass "die Welt ein gefährlicher Platz bleibt", wie Rumsfeld betonte. Gefährdet werden die Staaten nach Rumsfeld von einem ganzen Spektrum asymmetrischer Bedrohungen, auf die man sich vorbereiten müsse: "neue Formen des Terrorismus, Cyberangriffe, Angriffe auf Weltraumsysteme und Informationsnetzwerke, neue konventionelle Waffen und "access denial"-Möglichkeiten, Marschflugkörper, Raketen und nukleare, chemische und biologische Massenvernichtungswaffen." Gefährlich sei vor allem, dass Terrorganisationen sich Massenvernichtungsmittel verschaffen wollen.
" In the wake of September 11th, we face two, equally important challenges: First, to prosecute the war on terrorism to its full and successful conclusion, pressing on until terrorists with global reach have been stopped. And second, to prepare now for next war, a war which could be very different from the war on terrorism we fight today." - Rede von US-Verteidigungsminister Rumsfeld vor der Nato am 18.12.
In dieser Hinsicht waren Afghanistan und Al-Qaida allerdings nicht sehr ergiebig, aber als Bedrohungsszenarien für die Zukunft sind Massenvernichtungswaffen sicher gute Mittel. Wo deren Einsatz, wie bei den Anthrax-Briefen in den USA, allerdings nicht den strategischen Interessen dient, scheint man mit der Aufklärung hingegen nicht zu schnell voran kommen zu wollen. Trotz des kürzlich veröffentlichten Videos ist die Beweislage für die Schuld bin Ladins oder anderer Personen allerdings ebenfalls noch dünn, zumal wenig darüber bekannt zu sein scheint, wie Al-Qaida wirklich organisiert ist. Rumsfeld will jedenfalls mit dem Verweis auf die Bedrohung durch Massenvernichtungsmittel auf die "Verbindung zwischen Staaten mit Massenvernichtungswaffen und terroristischen Netzwerken" nicht nur die ZIele künftiger Angriffe offenhalten, sondern auch die Bedrohung durch eine Überbietungslogik präsent halten. Die Anschläge vom 11.9. könnten so nur ein Vorspiel dessen sein, was "auf uns zukommen könnte, wenn die Feinde der Freiheit die Möglichkeit erhalten, unsere Nationen mit Waffen von zunehmender Macht anzugreifen." Überdies könne man nie wissen, wer, wann und wo in Zukunft zuschlagen werde.
Und um diese Dauerbedrohung, die auch die konventionelle Aufrüstung wie den geplanten Raketenabwehrschild legitimieren soll, möglichen zaudernden Europäern deutlich vor Augen zu führen, sagte Rumsfeld: "Die Terroristen und ihre Unterstützerstaaten haben sowohl ihren Einfallsreichtum als auch ihre bösartige Verachtung des menschlichen Lebens demonstriert. Wenn wir auf die Zerstörung schauen, die sie in den USA verursacht haben, können wir uns die Zerstörung vorstellen, die sie in New York, London, Paris oder Berlin mit nuklearen, chemischen odet biologischen Waffen bewirken können." Wer insgesamt noch zögerlich, dem hielt Rumsfeld vor: "Die Mission definiert die Koalition. Die Koalition defininiert nicht die Mission."
Russland scheint sich jetzt, trotz der Aufkündigung des ABM-Abkommens, immer stärker an der amerikanischen Politik auszurichten. Mittlerweile ist die russische Regierung, wie der Verteidigungsminister Iwanow verlautbaren ließ, bereit, sich auch an einer "Zerstörung internationaler Terrorstrukturen" zu beteiligen, wenn Beweise vorgelegt werden. Auf die Nato selbst ist er allerdings weniger gut sprechen. Russland habe mit Großbritannien und den USA in einer bislang unbekannten Größenordnung Geheimdiensrinformationen ausgetauscht: "Bei der Nato gibt es niemanden für den Austausch von Informationen. Sie besitzt selbst im Fall von Afghanistan keine Struktur mit einer Ernst zu nehmenden Aufklärung oder Entscheidungsfähigkeit, was bei den USA und Großbritannien aber der Fall ist."