Die Zeichen stehen auf Milch-Streik
In verschiedenen Ländern drohen Bauern, die Molkereien nicht mehr zu beliefern
War es die angeblich die weltweit stark gestiegene Nachfrage, welche die Preise für Milchprodukte im vergangenen Jahr steigen ließ, fallen die Preise nun wegen einer angeblichen Überproduktion, nachdem die EU die Quoten erhöhte. Wegen gesenkter Abnahmepreise drohen nun sogar deutsche Milchbauern mit einem "Milchstreik". Mit einem Lieferstopp sollen die Molkereien unter Druck gesetzt werden, um einen kostendeckenden Preis zu erhalten. Deutlich zugespitzt ist der Konflikt schon in Spanien, auch dort wurden starke Preissenkungen vorgenommen, die aber, anders als in Deutschland, beim Verbraucher überhaupt nicht ankommen.
Der Discounter Aldi hatte in Deutschland angefangen und weitere Einzelhändler zogen nach und haben die Milchpreise inzwischen gesenkt. Seit dem 21. April bietet Aldi den Liter Vollmilch statt für 73 nur noch für 61 Cent an. Fettarme Milch kostet seither statt 66 nur noch 54 Cent. Lidl zog nach und da die beiden Discounter mehr als die Hälfte der gesamten Milch in Deutschland verkaufen, senkten alsbald auch Rewe und Edeka ihre Milchpreise.
Das freut natürlich den Verbraucher angesichts der allgemein gestiegenen Preise für Lebensmittel, kann allerdings für Milchbauern den Ruin bedeuten. Die Molkereien zahlen den Produzenten nur noch zwischen 30 und 35 Cent pro Liter. Das ist zu wenig, um auch nur kostendeckend Milch zu produzieren, sagt der Bundesverband der Deutschen Milchviehalter (BDM).
Der Bauernverband hat den Discountern den Kampf angesagt und reagierte mit einem Aktionstag in der vergangenen Woche. Der Verbandssprecher Gerd Sonnleitner erklärte, die Preissenkungen seien nicht durch das Angebot und die Nachfrage auf dem Markt begründet: "Ein paar Einkäufer entscheiden bundesweit über den Preis.“ Mit einem Nachfragemonopol werde die Marktmacht zum Schaden der Bauern missbraucht. Der Einzelhandel profitiere dabei von der Schwäche der Molkereien in Deutschland und das Verhalten der Discounter habe nichts mehr mit sozialer Marktwirtschaft zu tun, kritisierte er.
Der BDM will über Proteste vor Supermärkten hinausgehen. Seine 33.000 Mitglieder wollen im Notfall in einen "Milchstreik" treten, um einen Preis von 40 Cent durchzusetzen. Tatsächlich wäre das aber kein Streik, wie in vielen Medien gerne berichtet wird, sondern die Bauern drohen mit einem Lieferstreik. Wie wichtig dieser Streit für die Bauern ist, zeigt sich daran, dass die Milch 2007 ihre wichtigste Einnahmequelle darstellte. Nach Angaben des BDM habe eine Mitgliederbefragung ergeben, dass 88 % zu einem solchen Machtkampf bereit seien. Diese Geschlossenheit stimme den Verband zuversichtlich, erklärte der Vorstandsvorsitzender Romuald Schaber. Das weitere Vorgehen hänge nun von den Preisverhandlungen zwischen den Molkereien und dem Lebensmitteleinzelhandel ab. "Wir wollen nun den Molkereien noch einmal eine Chance geben", sagte er, dass ein Milchpreis zustande komme, der auch die Erzeuger fair entlohne. Um die gestiegenen Kosten aufzufangen, müsse der Preis angehoben werden, ein weiterer Preisrückgang würde für viele Betriebe das Aus bedeuten.“
Für die Situation macht der BDM auch die "nicht zu überbietende Arroganz des EU-Ministerrat" verantwortlich, weil dieser die Erhöhung der Milchquoten um weitere zwei Prozent beschlossen hatte. Das sei nicht nur schlecht für die Milchbauern, sondern langfristig auch für die Verbraucher in Europa. Dass Indien und China die zusätzliche Produktion aufsaugen würden, sei falsch. China habe in den ersten acht Monaten 2007 sogar fast 20 % weniger Milchprodukte importiert als zuvor. China wird gerne allgemein für Preissteigerungen verantwortlich gemacht, doch das ist falsch, wie auch die Financial Times mit Blick auf die Handelsbilanz erklärt. Sie macht eine verfehlte Politik der Industrieländer für die Probleme verantwortlich.
Nach Ansicht des BDM ging es bei der Erhöhung der Milchquote schlicht darum, den im letzten Jahre gestiegenen Milchpreis unter Druck zu setzen. "Dies geschieht auch im Interesse der großen Molkereikonzerne, die darin die Chance sehen, auf Kosten der Milcherzeuger weltweit Marktanteile zu erobern“, sagte der BDM-Vorsitzende.
Tatsächlich kann es langfristig keinen Preis geben, der unter den Herstellungskosten liegt, weil damit die Produktionsbasis zerstört wird. Dass die Preise für Treibstoffe und für Futtermittel, auch wegen der verstärkten Herstellung von sogenanntem Biosprit, stark gestiegen sind, bezweifelt niemand. Dazu kommt auch eine starke Spekulation an den Börsen mit Weizen, Soja, Reis, Mais und anderen Nahrungs- und Futtermitteln, welche die Preise weiter in die Höhe schießen ließen. Folglich muss die Milch teuer werden, wenn sie kostendeckend hergestellt werden soll.
Auch in anderen europäischen Ländern denken die Bauern an Streiks
Anders als in Deutschland verhalten sich nämlich die Molkereien in Österreich. Nach Androhungen von Protesten wollen die Molkereien beim Nachbarn die Erzeugerpreise halten, die 2007 um 13 Prozent auf durchschnittlich 37,8 Cent je Kilo Milch gestiegen sind. So fanden Bauernvertreter dort sogar lobende Worte: "Die Molkereien haben dem Druck der Supermärkte standgehalten", meint Ewald Grünzweil, Vertreter der Milchbauern.. Diskutiert wird aber auch in einigen anderen europäischen Ländern, ob die Idee des Lieferstreiks in Deutschland aufgegriffen wird. Ein positives Echo gibt es aus der Schweiz, wo es schon eine Milchstreik-Webseite gibt, von der aus die Maßnahme propagiert wird. Auch in den Niederlanden und in Dänemark wird über die Aktionsform diskutiert. Auf sehr fruchtbaren Boden fällt die Idee für einen Lieferstreik bisher in Spanien. Sie wird mit einer Großdemonstration am Mittwoch in Santiago do Compostela vorangetrieben. Kommt es nicht bald zu einem befriedigenden Ergebnis drohen drei Bauernverbände mit einem allgemeinen Lieferstopp. Hier ist der Streit schon deutlich zugespitzt. Im März stürmten mehr als 2000 Milchbauern eine Molkerei von Puleva in Lugo und richteten einigen Sachschaden an. Die Molkerei war mit der Senkung des Abnahmepreises um sechs Cent pro Liter vorgeprescht. Auch der Marktführer Pascual und Leche Celta zogen nach, weshalb auch deren Anlagen gestürmt wurden. Der Konflikt konzentriert sich vor allem auf den Westen des Landes, denn in Galizien, Leon, Asturien und Kantabrien werden etwa 55 Prozent der gesamten Milch in Spanien produziert Dass hier die Abnehmer ihre Monopolstellung nutzen, um möglicherweise auch über Absprachen die Abnahmepreise zu drücken, wird allseits vermutet und dafür gibt es etliche Hinweise. Nach der "einseitigen Entscheidung" der großen Abnehmer erhalten die Milchbauern nur noch 39 Cent pro Liter, womit auch sie unter den Herstellungspreisen liegen, die zwischen 40 und 42 Cent pro Liter lägen, sagte Miguel López, Vorsitzender der Bauernvereinigung COAG.
Dass etwas faul an der Preisgestaltung ist, zeigt sich in Spanien besonders deutlich. Milchprodukte gehören zu den Produkten, deren Preise für die Endverbraucher am stärksten gestiegen sind. So wurde die Milch allein im vergangenen Jahr um 31 Prozent teuerer und gehört zu den Produkten, welche die Inflation deutlich anheizen, die in Spanien insgesamt schon bei knapp fünf Prozent liegt. So kosten ein Liter entrahmte H-Milch im Supermarkt heute sogar im "Angebot" noch 99 Cent (siehe Bild) und die entrahmte Frischmilch kommt auf 1,23 Euro. Damit ist die Milch im spanischen Staat sogar noch deutlich teurer als vor den Preissenkungen in Deutschland. Die Gewinnmarge ist also deutlich größer. Angesichts solcher Preise ist es verständlich, wenn die Produzenten und die Verbraucher kaum nachvollziehen können, warum die Molkereien trotz steigender Produktionspreise die Abnahmepreise unter die Produktionspreise senken. Setzt man die Preise ins Verhältnis zur Kaufkraft, ist Milch in Spanien ein Luxusgut. Der Mindestlohn beträgt im Monat gerade 665 Euro. In einem französischen Supermarkt (Luftlinie nur einen Kilometer von dem spanischen Markt entfernt) kostet die entrahmte H-Milch heute 76 Cent (siehe Bild) und hier ist der Mindestlohn fast doppelt so hoch. So ist verständlich, wenn der Konflikt nun auf dem besten Weg zur Eskalation ist. Angesichts neuer Proteste, bei denen Bauern mit Barrikaden in der letzten Woche den Zugang zu einer Anlage des Großproduzenten Rio blockierten, kündigte Rio und Lactiber an, einigen Kooperativen ab dem 1. Mai keine Milch mehr abzunehmen. Daraufhin versprach die Agrarunion (UUAA) eine "schlagkräftige" Reaktion, wenn sich die Molkereien nicht an die bestehende Abnahmeverträge hielten. Die Molkereien sollten "vorsichtig" mit ihrem einseitigen Vorgehen sein, warnten deren Vertreter.
Auch die Bauernvereinigung Asaja ist davon überzeugt, dass die Molkereien die Proteste nun nur als Ausrede für ihre Politik benutzen. Tatsächlich handele es sich um "eine Strategie zur Gewinnmaximierung". Niemand glaube das Märchen, dass der Konsum stark eingebrochen sei und eine Überproduktion vorherrsche, sagte deren Sprecher Antonio Turrado. Ohnehin würden in Spanien nur etwa zwei Drittel der benötigten Milch selbst produziert. Es gehe nun darum, die Produzenten in die Knie zu zwingen, um ihnen "jeden Preis diktieren zu können". Da die Molkereien ihre Produktion nicht einstellen, ist das folgende Szenario vorgezeichnet. Noch mehr Milch wird aus dem Ausland herbeigeschafft, was die Bauern wiederum mit Blockaden der Molkereien und Sabotageaktionen verhindern werden. Straßenblockaden und Angriffe auf die Tanklaster wird es dann ebenfalls verstärkt geben, wobei zum Beispiel Milch aus Frankreich im Abwasserkanal landet, wie es schon im März geschah. Kürzlich haben die Bauern gleich vier Tanklaster sabotiert und 50.000 Liter Milch auslaufen lassen, die vor drei verschiedenen Molkereien in Galizien standen. Das wird die Polizei auf den Plan rufen und so entsteht ein allgemeiner Aufschrei, der letztlich auch die Regierung zum Handeln zwingen wird, etwas gegen die Preistreiberei zu unternehmen.