Die Zukunft des Körpers
Seite 4: Körperkult und Körperdesign
Irgendwie scheinen wir aber trotz aller Verunsicherungen derzeit vom Körper gebannt zu sein. Selbst bei der Mensch-Computer-Schnittstelle, die bislang als Höhepunkt der Entfremdung galt, weil höchstens Auge, Finger und Ohren mit den Daten der Computer in Kommunikation standen, hat sich durch neuartige VR-Schnittstellen eine Veränderung ereignet: plötzlich kann der Körper in seinen Bewegungen und seinen inneren Erregungen zur Schnittstelle werden. Es läßt sich von einer Wende zum Körper sprechen, von einer Umwertung, die sich schon seit langem, mindestens seit Nietzsche, angebahnt hat, die aber jetzt erst wirklich durchgebrochen ist. Die Erklärung für den Körperkult auf der einen und die Thematisierung des Körpers als wesentliches Element im wissenschaftlichen und technischen Diskurs auf der anderen ist einfach. Immer dann, wenn etwas gefährdet ist, wenn etwas bislang Selbstverständliches sich auflöst, kommt es zu einer heftigen Überbewertung und will man sich seiner versichern. Plötzlich ist nicht mehr der Geist, der heute mehr und mehr als ein Effekt des Gehirns, also selbst als ein Körperteil gilt, dasjenige, das eigentlich Menschliche, sondern der Körper wird zum Mysterium, zur einzigen Verankerung in der Wirklichkeit.
Am Leitfaden des Körpers zu denken, ist erst eine jüngste Erfindung, ermöglicht durch die zunehmende Freisetzung der Menschen von den körperlichen Grenzen, durch die wissenschaftliche Erfassung des Lebendigen und durch die zivilisationskritische Wertschätzung und Konstituierung des Natürlichen. Nicht mehr das Heilen, die Erhaltung der Gesundheit bzw. der Leistungskraft, das Hinausschieben des Todes und das Vermeiden von Krankheiten oder das Verbessern der gegebenen Potentiale sind Orientierungerahmen für unser Körperverständnis. Heute geht es, auch wenn es nur prinzipiell, noch nicht tatsächlich möglich ist, um die Neugestaltung des biologischen Körpers sowie um die Ablösung von ihm durch die Schaffung von neuen, künstlichen Körpern. Es geht nicht mehr nur darum, Instrumente für den Körper zu schaffen, die dessen Funktionsspektrum erweitern, oder den Körper je nach kulturellen Vorlieben zu disziplinieren und äußerlich zu gestalten: hinter der Beschäftigung mit dem Körper steht heute das Begehren, den fossilen Körper des traditionellen menschlichen Typs neu zu erfinden. Nachdem die Menschen versucht haben, diese Aufgabe durch die Konstruktion von Robotern und durch die Anfügung von Prothesen, durch chirurgische und medikamentöse Eingriffe, durch Körpertechniken und durch die Implantation von Organen und Geweben vorzubreiten, steht jetzt die Aufgabe an, den neuen Körper, einschließlich des Gehirns, entweder als Fleisch oder in einer anderen Substanz zu verwirklichen und diese Arbeit nicht mehr dem "blinden Uhrmacher", also der Evolution, zu überlassen.
Stelarc- ein Künstler als Cyborg
Man spricht von Cyborgs, von Mischwesen aus biologischen Menschenkörpern und technischen Apparaturen, die diese ergänzen, von Mensch-Maschine-Systemen, die beide Komponenten untrennbar miteinander verbinden. Was in Science-Fiction-Geschichten und -Filmen mit den entsprechenden computererzeugten Visualisierungstricks der staunenden Öffentlichkeit als Zukunft vorgeführt wird, versucht etwa der australische Künstler Stelarc schon jetzt an sich auszuprobieren: die Verwandlung in einen Cyborg.