Die Zukunft des Körpers

Seite 2: Eintritt in den Cyberspace

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Computergestützte Techniken verändern überdies das Verhältnis zu unserem Körper und zu unserer Umwelt tiefgreifend und nachhaltig nicht nur durch die eher spektakulären Fortschritte der Gen- und Neurotechnologie, sondern auch durch neue Medien wie Virtuelle Realität und Computernetzwerke, die auf immer neuen Schnittstellen mit unserem Körper basieren, ihn immer direkter an technologische Systeme anschließen. Die technischen Systeme liegen sich um den Körper, hüllen ihn wie beim Datenanzug und dem Eye-Phone ein, um ihn zum Bestandteil eines Mensch-Maschine-Systems zu machen und seinen Körper in die virtuelle Welt des Cyberspace hereinzuholen.

Die noch recht primitiven immersiven VR-Techniken ließen bereits einen Sog entstehen, immer besser und weiter mit den künstlichen Welten in Kontakt zu kommen, immer perfektere Schnittstellen zu entwickeln, die einen in das Medium hineinziehen. Gegenwärtig wird auch von Medienkünstlern, die sich als Propheten des neuen Menschen gerieren, immer mehr die Ableitung von Hirnwellen benutzt, um Computerprogramme zu steuern. Die Einbeziehung von anderen körperlichen Zuständen wie dem Hautwiderstand, dem Herzschlag etc. wird erprobt, wodurch sich Erfahrungen intensivieren oder Reaktionen testen lassen.

Der Einflußbereich des Menschen reicht so weit wie seine sensorischen und motorischen Systeme. Ein über Techniken der Telepräsenz und Telemotorik in Echtzeit gesteuerter Roboter ist eine jetzt schon mögliche Extension des Körpers, der nicht mehr an der Haut aufhört oder organisch ist. Aber schon mit jedem Werkzeug wird der Körper einen Schritt weiter ein Instrument, verschärft sich der Bruch zwischen Gehirn und Körper und entlarvt sich der Körper als mangelhaftes Instrument. Ist einmal ein Mensch-Werkzeug-System als zerebrales Programm vorhanden, hat sich eigentlich bereits ein neuer Körper gebildet, eine Einheit aus dem biologischen Körper und seiner Extension, dem Werkzeug oder der Maschine. Der Körper endet jetzt am Werkzeug und der auf das Werkzeug projizierte Körper bildet sich im Gehirn ab, brennt sich in ihm ein. Das ist beim Erlernen des Fahrradfahrens nicht anders als bei dem des Autofahrens, des Bedienens einer neuen Maschine oder eines ferngesteuerten Roboters in der wirklichen Welt oder eines Avatars in der virtuellen Welt. Über Computerspiele und MUDs lernen heute schon die Kinder, sich in einer virtuellen Welt repräsentiert zu sehen und ihren virtuellen Stellvertreter zu gestalten und zu steuern.

Stahl Stehnslie und Kirk Woolford haben an der Medienhochschule Köln bereits das erste Modell für den Cybersex vorgestellt, für die Übermittlung von taktilen Empfindungen. Eingesperrt in die technischen Ritterrüstungen ist das noch nicht überzeugend, aber es weist den Weg, wie man den Körper über die audiovisuelle Schnittstelle hinaus in den Cyberspace einbeziehen und wie körperliche Intimität in ihm entstehen kann.

Der Cyberspace ist kein Fenster mehr zu einer anderen Welt, man kann in ihn hineingreifen und sich in ihm bewegen. Die Schnittstelle ist eine Tür, während der Körper selbst zur Computermaus wird. Zum Eintritt in den Cyberspace gehört, daß man seine körperliche Repräsentation neu gestalten oder zumindest aus einer Datenbank auswählen kann. Hier werden erste Erfahrungen damit gemacht, in einen anderen Körper zu schlüpfen, sein Geschlecht, seine Rasse oder gar seine Art zu wechseln, durch Körperrepräsentationen zu zappen, die nichts mehr Endgültiges haben, sondern nur noch Möglichkeiten sind.

Das Verlangen oder besser die Erwartung, die in der Epoche virtueller Realitäten virulenter denn je wurde, richtet sich darauf, zwischen mehreren Welten von jedem beliebigen Ort aus und zu jeder Zeit zappen und auch in beliebige Körper schlüpfen zu können, das eherne Band also zwischen körperlicher und personaler Identität aufbrechen, das Gefängnis des Körpers zumindest zeitweise verlassen zu können. Körper sind nicht nur naß, fragil, empfindlich und auf bestimmte äußere Bedingungen angewiesen, sie werden immer mehr als einschränkend empfunden. Sie sind zu langsam, haben zu wenig Input- und Output-Kanäle, schränken die möglichen Schnittstellen mit den global vernetzten Telekommunikationstechnologien ein.

Gleichwohl sind Körper jene organischen Schnittstellen, die uns auch Lust und Erregung vermitteln, die das mentale System reizen. Audiovisuelle Schnittstellen aber reichen für das Neurohacking nicht mehr aus. Die Menschen haben sich bereits zu sehr daran adaptiert. Sie wollen nicht mehr künstlichen Welten aus der Ferne beobachten, sondern mit ihrem Körper in diese eintreten, den Bildschirm und die vertraute Illusion durchschreiten: sie wollen da sein, das Bild, das Virtuelle bewohnen. Intime körperliche Interaktionen, die bislang auf physische Präsenz und daher auf räumliche Nähe angewiesen waren, stellen dabei selbstverständlich die größten Herausforderungen und Faszinationen dar.