Die Zukunft des zivilen elektronischen Widerstands
Email-Interview mit Ricardo Dominguez, Online-Aktivist der ersten Stunde und Mitentwickler der FloodNet-Technik für virtuelle Sit-ins
Tools, mit denen Server überflutet werden, sind nicht erst seit vergangener Woche im Einsatz. Das Electronic Disturbance Theatre (EDT), das während des Freiheitskampfs der Zapatistas gegründet wurde, ruft bereits seit Jahren zu "Attacken" auf Ziele im Regierungs-, Militär- und Wirtschaftsbereich auf - allerdings ganz offen und mit politischen Aussagen verbunden. Trotzdem ist die "gemäßigte" FloodNet-Technik des EDT schon vor den jüngsten verdeckten Angriffen in die Kritik geraten.
In den letzten Tagen hat die Programmfamilie des Tribal Flood Network (TFN), die vom deutschen Hacker Mixter entwickelt wurde, für Aufsehen gesorgt, da sie vermutlich neben Trin00, Stacheldraht und ähnlich gestrickten Applikationen für die Distributed-Denial-of-Service-Attacken (DDoS) der vergangenen Woche auf kommerzielle Sites wie Yahoo.com, Buy.com oder CNN.com (Douglas Rushkoff: Yahoos letztes Gefecht) Verwendung fand. Die Hintergründe der Attacken (Rätselraten um Hintermänner) sind zwar nach wie vor weitgehend unklar, nicht auszuschließen ist aber, dass die Angriffe auch ein Zeichen gegen die fort schreitende Kommerzialisierung des Internet gewesen sein könnten.
Erst vor wenigen Wochen feierte zudem die Künstlergruppe Etoy ihren Sieg über Etoys (Wie die Etoy-Kampagne geführt wurde - Ein Agentenbericht). Damals waren die wochenlangen Proteste eindeutig ein Zeichen gegen die Besitzansprüche der neuen kommerziellen Mächte im Netz. Während des von Etoy ausgerufenen Toywar wurde wiederholt das so genannte FloodNet eingesetzt. Dahinter verbirgt sich eine Technik, die letztlich ähnlich ausgerichtet ist wie die DDoS-Werkzeuge. Zumindest geht es bei beiden Applikationen um die Überlastung eines anvisierten Zielservers, auch wenn die Tools unterschiedlich funktionieren.
FloodNet wurde hauptsächlich vom Electronic Disturbance Theatre (EDT) für die Unterstützung der Zapatistas in ihrem Kampf gegen die mexikanische Regierung konzipiert. EDT ist eine Gruppe von Online-Aktivisten, die Ricardo Dominguez, Stefan Wray, Carmin Karasic und Brett Stalbaum ins Leben gerufen haben. Die Website der Hacktivisten ist momentan "außer Betrieb", da Etoys während der FloodNet-Aktionen im Dezember den Provider des Hosts von EDT, den New Yorker "Kunstaktions-Server" The Thing, zum Kappen der Leitungen zwang (Virtuelles Sit-in geht weiter).
Stefan Krempl fragte Ricardo Dominguez nach den Unterschieden zwischen TFN und FloodNet, nach dem Schicksal des EDT und des zivilen elektronischen Widerstands allgemein sowie nach der richtigen Mischung zwischen Online- und Offline-Protestkundgebungen.
Wie beurteilst Du die jüngsten Attacken und Serverblockaden?
Ricardo Dominguez: Sie wurden eher in traditioneller Hackermanier durchgeführt, im Verborgenen. Es wurden keine spezifischen Informationen zu einem Thema verteilt, keiner verband eine Botschaft damit. Es ging also um eine momentane Machtdemonstration.
Haben die Crasher Eure Idee "gestohlen"?
Ricardo Dominguez: Sie haben niemandem eine Idee geklaut - sie haben dem Fluss des Codes nur eine neue Biegung verpasst. Man darf nicht vergessen, dass die Zapatista-Netzwerke schon in 1994 ins elektronische Gewebe eingedrungen sind. Das Critical Art Ensemble hat 1995 dann weiter dazu beigetragen, die Theorie des zivilen elektronischen Widerstands zu definieren. Und die Netstrike-Bewegung in Italien entstand 1996 als eine Übung, die 1998 direkt zur Entwicklung des Zapatista-FloodNet und des EDT führten. 1999 dann die Geburt des internationalen Hacktivismus'. Jede Bewegung hat da von der anderen geklaut, das könnte man so unendlich weiter zurückverfolgen.
Siehst Du irgendeine politische oder ideologische Verknüpfung zwischen FloodNet und DDoS-Werkzeugen wie dem Tribal Flood Network?
Ricardo Dominguez: Das Tribal Flood Net funktioniert in der Tat ähnlich wie das Zapatista-FloodNet in der Hinsicht, dass eine Website nicht zerstört wird, keine wichtigen Daten gehackt werden. Das entspricht der Praxis des zivilen elektronischen Widerstands. Das Zapatista-FloodNet wird oder wurde allerdings nicht massenhaft verbreitet, wenn man bedenkt, wie viele einzelne Surfer gebraucht werden, um eine URL lahmzulegen. Das Ziel von FloodNet ist es, Informationen, eine Message zu verbreiten.
Unsere Aktionen sind auch transparent - beinahe durchsichtig. Jeder weiß, was wir wann, wo und warum machen. Jeder weiß, wer wir sind.
Wird die Art und Weise wie TFN und andere DDoS-Tools gegen wichtige Websites eingesetzt wurden, Eure Meinung über die weitere Verwendung von FloodNet beeinflussen?
Ricardo Dominguez: Nein, ich denke, dass schnellst möglich unterschiedliche Methoden des zivilen elektronischen Widerstands durch möglichst viele Gruppierungen zur Einsatzreife gebracht werden sollten. Und zwar auf einer möglichst großen Bandbreite und sowohl für den Online- wie den Offline-Aktivismus. Ohne Gewalt, aber mit der Repräsentation der Massen als Verunsicherungsfaktor im Kern jedes einzelnen Skripts.
Während der Etoy-Aktionen hatten wir ein Skript entwickelt, das Etoys mit einem einzigen "Schuss" zum Absturz hätte bringen können, eine taktische Kernwaffe, wenn man es so bezeichnen will. Aber wir hatten nicht das Gefühl, dass dieses Skript so wie das Zapatista FloodNet die Präsenz einer globalen Gruppe von Leuten wider spiegeln würde, die sich versammeln, um gegen das Schlechte zu demonstrieren. Wir rufen zu Verunsicherungen auf und zur Verteilung von Macht, aber nicht zur Zerstörung.
Wir haben schon dem EDT 1998 ins Stammbuch geschrieben: "Obwohl das Electronic Disturbance Theatre momentan ein Katalysator für die Fortentwicklung von Taktiken des zivilen elektronischen Widerstands ist, hoffen wir, uns bald im Hintergrund halten zu können und eine von vielen kleinen autonomen Gruppen zu werden, die Wege und Ziele des computerisierten Widerstands hoch halten und fort entwickeln."
War der Protest gegen Etoys Deiner Meinung nach ein Meilenstein im Bereich des politischen Aktivismus' im Netz?
Ricardo Dominguez: Die Etoy-Aktionen haben gezeigt, dass der zivile elektronische Widerstand eine extrem nützliches Werkzeug ist, wenn man es mit einem Gegner zu tun hat, der nur über eine digitale Präsenz verfügt. Das ist in der Tat ein zukunftsweisender Sieg für die Kleinen und Verstreuten, ähnlich wie es die Zapatistas als Teil ihrer Netzwerk-Kultur seit 1994 immer wieder gezeigt haben.
Wie viele Leute nehmen gewöhnlich an Euren virtuellen Sit-ins teil?
Ricardo Dominguez: An welchen? Für die Sit-ins gegen Etoys.com haben wir keine Zahlen. Es waren zu viele Websites auf der ganzen Welt, die FloodNet selbst installiert und eingesetzt hatten. Bei den mehr als 16 Sit-ins, die wir für die Zapatistas 1998 und 1999 gegen mexikanische Regierungs-Sites angeleiert hatten, waren es über 100.000 Surfer.
Warum habt Ihr Euch entschlossen, die EDT-Site in der Vorweihnachtsauktion von The Thing zur Versteigerung anzubieten, nachdem ihr das Angebot nach den Protesten über die Projekt-Site vom Netz nehmen musstet?
Ricardo Dominguez: Das Electronic Disturbance Theatre wollte Geld für das Chiapas-Medien-Projekt - das ist eine Gruppe, die den Zapatista-Gemeinden in Chiapas den Umgang mit Video und Computer zeigt - sammeln. Wir dachten, dass das einen guten Zweck erfüllen würde, da die Site eh nicht mehr online war.
Hat jemand die Site ersteigert?
Ricardo Dominguez: Nein, nicht dass ich wüsste.
Habt Ihr ein "Monopol" über die FloodNet-Technik?
Ricardo Dominguez: Am 1. Januar 1999 haben wir die Software zu Gunsten der Zapatistas frei gegeben. Seitdem wurden viele neue Versionen entwickelt.
Gegner der virtuellen Sit-ins kritisieren, dass es zynisch sei, sich einfach aus Protest vor den Bildschirm zu setzen, während andere in den Straßen gegen Tränengas kämpfen.
Ricardo Dominguez: Wir haben immer virtuelle Sit-ins zusammen mit Aktionen propagiert, die durch Demos in den Straßen ergänzt werden. Das Online-Element soll dabei nur ein weiteres Werkzeug sein, das für die Fokussierung der anstehenden Probleme genutzt werden kann. EDT hat nie die Idee vertreten, dass es um reine elektronische Protestkundgebungen geht. Uns ging es nur darum zu zeigen, dass virtuelle Sit-ins als Teil all der Taktiken verwendet werden sollten, die Aktivisten einsetzen. Der Online-Aktivismus sollte die traditionellen Mittel ergänzen, die Aktivisten weltweit nach wie vor verwenden.
Außerdem haben wir versucht zur Definition dessen bei zu tragen, was es bedeutet, wenn Individuen online ihren Platz einnehmen. Wir verstecken uns nicht hinter Hackernamen oder Pseudonymen - die Dot-mils, Dot-govs und Dot-coms wissen, mit wem sie es zu tun haben, was wir machen und warum wir es machen. Wir beschränken uns auch auf nicht-gewalttätige Aktionen.
Ich glaube, dass es eher zynisch ist zu behaupten, es zähle nur eine Form von Aktivismus und sonst nichts.
Wie die Zapatistas sagen: "Jeder Mensch folgt dem Aufruf zum Handeln mit den Mitteln, die er gerade in der Hand hat." Und das Internet scheint gerade das Werkzeug zu sein, das wir momentan zur Hand haben. Das Netz ist unser Medium gewesen, um den Kräften des Neoliberalismus' zuzurufen: "Es reicht!!" Und es war ein sehr effektives Werkzeug - aber eben auch nicht mehr als nur ein Werkzeug.
Wie sieht die Zukunft des Online-Aktivismus' aus?
Ricardo Dominguez: Neue Methoden der Gegen-Spionage, die tragbare Mikro-Webcams verwenden, werden sich verbreiten. Den Anfang haben schon Demonstranten während der Proteste gegen die WTO gemacht, die live vom Ort des Geschehens mit RealVideo berichtet haben. Neue Formen des FloodNet werden kontinuierlich weiter entwickelt werden. Und Aktivisten werden verstärkt auf Mittel der psychologischen Kriegsführung im Kampf gegen Regierungen und Unternehmen zurück greifen, so wie es Aktivisten etwa mit Hilfe von Stock Trading Boards geschafft haben, den Wert von Etoys an der Börse in den Keller zu fahren.