Wer wollte Sinn Fein abhören?

Wanze im Wagen nordirischer Spitzenpolitiker gefunden.

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Bei einer Pressekonferenz gestern Abend sah sich die britische Regierung unvermittelt mit einem Überwachungsskandal in Nordirland konfrontiert. Gary Adams, Parteipräsident von Sinn Fein, und Martin McGuinness, Erziehungsminister, wollten eigentlich über das politische Programm von Sinn Fein in der neugebildeten Regierung Nordirlands informieren. Stattdessen wurden Bestandteile eines Überwachungssystems präsentiert, das versteckt in einem von Adams und McGuinness regelmässig benutztem Wagen installiert gewesen war.

Erstaunlich ist die Machart der "Wanze", denn diese besteht aus mehreren Komponenten und ist ausgesprochen groß, wenn man in Betracht zieht, dass es für solche Aufgaben heute wesentlich kleinere und smartere Sicherheits-Gadgets geben sollte.

Ein Mikrophon und eine Sende-und Empfangsantenne waren im Dach des Ford Mondeo untergebracht, im Rahmen hinter dem Rücksitz ein Mobiltelephon und eine GPS-Einheit mit wiederaufladbaren Batterien. Das System konnte aus der Ferne an- und ausgeschaltet werden und bezog während der Fahrt Strom von der Autobatterie. Es könnte also seit längerer Zeit in dem Wagen installiert gewesen sein. Es war möglich, stimmaktiviert Gespräche mitzuhören und die genaue Position des Wagens mittels GPS zu verfolgen. Wenn auch das System selbst Freunde von James Bond-Technologien enttäuscht, so muß der Einbau keine leichte Sache gewesen sein. Die Monteure müssen sich sicher gewesen sein, über Stunden ungestört arbeiten zu können, um die Anlage so einzubauen, dass sie auch bei normalen Reparaturen und Services nicht entdeckt werden würde.

Die beiden Spitzenpolitiker von Sinn Fein benutzten den Wagen seit ca. einem Jahr, u.a. auch bei Gesprächen mit IRA-Repräsentanten vor ca. 2 Monaten, wobei es um die entscheidende Frage der Abrüstung ging. Das Ergebnis dieser Verhandlungen, die Ankündigung der IRA eine Verbindungsperson für die Abrüstungskommission einzusetzen, hatte den Weg zur Regierungsbildung geebnet. Adams wird nun bemüht sein, maximales politisches Kapital aus dem Fund der Überwachungsanlage zu ziehen. Mehr oder weniger direkt wird die britische Regierung verantwortlich gemacht. Wie nicht anders zu erwarten, hält sich diese vorerst bedeckt. Offiziell wurde von der Regierung nisher nur verlautbart, dass alle geheimdienstlichen Abhöraktionen im Rahmen der Gesetze und unter ministerieller Aufsicht verlaufen.

Laut The Guardian habe ein Sprecher von Downing Street Nr.10 aber auch angedeutet, das Überwachungssystem könne genausogut zum Schutz der nordirischen Politiker wie zur Überwachung gedacht gewesen sein. Damit hätte er eigentlich implizit die Beteiligung der Regierung zugegeben. Nach der britischen Gesetzeslage müssen Überwachungsmaßnahmen gegenüber Personen, die im öffentlichen Leben stehen, von Ministern selbst genehmigt werden, entweder vom Home Office oder dem Nordirland-Minister. Unter speziellen Notstandsgesetzen aber, die in Nordirland noch in Kraft sind, haben die Geheimdienste weit größeren Spielraum in der Einschätzung, wann sie die ministerielle Zustimmung tatsächlich brauchen.

Deshalb werden gleich mehrere nachrichtendienstliche Einheiten der Regierung verdächtigt, die Anlage eingebaut zu haben, von MI5, zu MI6, über GCHQ bis hin zu der ganz geheimen 14 Intelligence Company und der Force Research Unit. Die politische Gegenseite, radikalere Protestantenparteien, verdächtigen hingegen Splittergruppen der IRA, die den bewaffneten Kampf nicht aufgeben wollen, ihre eigenen politischen Repräsentanten zu bespitzeln. Trotz vieler ungeklärter Fragen sind sich Beobachter darin weitgehend einig, dass die Entdeckung der Wanze den politischen Prozess wahrscheinlich nicht ernsthaft gefährden wird. In einem Konflikt, in dem es bereits viele Tote gegeben hat, ist Überwachung wohl ein vergleichsweise harmloses Delikt.