Die anonymen Anpacker
Der "Bürgerkonvent" mahnt Reformen an - spielt aber selbst mit verdeckten Karten
Mit triefend patriotischen Fernsehspots und Zeitungsanzeigen überzieht der so genannte "Bürgerkonvent" die im Stillstand gefangene Republik. Schließlich hat man den Wiederaufbau, die Wiedervereinigung und kürzlich sogar die Oderflut bewältigt - warum soll es dann nicht mit der Steuerreform, Gesundheitsreform und Rentenreform funktionieren? Doch die selbsternannten Retter der Republik spielen nicht mit offenen Karten.
Zur besten Sendezeit wird der Zuschauer an historische Momente der Bundesrepublik erinnert. Mit bedeutungsschwangeren Bildern von Oderflut, Wiedervereinigung und Wiederaufbau und einer inbrünstigen Sprecherstimme wird all das beworben, was Deutschland auszumachen scheint. Bundeswehrsoldaten beim Sandsackschleppen, jubelnde Bürger am Brandenburger Tor - der Bürgerkonvent zündet in seinen Werbespots ein Emotionsfeuerwerk. So schön war die Vergangenheit, und dank dem Bürgerkonvent wird die Zukunft wieder genauso schön:
"Es wurde genug über unsere Probleme geredet - lösen wir sie jetzt endlich. Wir haben die Erkenntnis, den Willen und die Kraft. Deutschland ist besser als jetzt."
Kaum zu glauben, nicht einmal zwei Monate ist der Verein alt, der Deutschland mit einer Werbekampagne überzieht, die für reichlich Gesprächsstoff sorgt. Die Frage liegt nahe: Wer steckt dahinter? Woher kommen die sechs Millionen Euro, die die Organisation pro Jahr veranschlagt? Und wer bestimmt, wie sie ausgegeben werden?
Erster Anlaufpunkt ist die Homepage der Organisation. Unter buergerkonvent.de findet der interessierte Bürger einen Einblick in die Denkweise des Bürgerkonvents. Er liest von der "verkrusteten Staatsgesellschaft", vom "orchestrierten Aufschrei der Profiteure der bestehenden Verhältnisse" und von der Zukunftsblindheit des deutschen Volkes. Diagnose und Analyse der Konventler: Die Politiker biegen sich die Wahrheit zurecht, um gewählt zu werden, Kleinstaaterei lähmt Deutschland, der Staat muss Schulden abbauen.
"Aufklärung" ist das Haupt-Schlagwort, als ob die Bürger noch nichts von den Kritikpunkten gehört hätten. "Substanzielles Sparen ist wichtiger denn je" - und der Bürgerkonvent lebt es vor: Er spart an konkreten Informationen. Was er zu tun gedenkt, behält der Konvent für sich. Wer sich über die Ziele informieren will, solle sich doch bitte das Buch des Konvent-Sprechers Professor Meinhard Miegel für 22 Euro kaufen.
Die Legende von den Bürgern
Ein Anruf in der Geschäftsstelle bringt nicht weiter. Der Sekretär am anderen Ende der Leitung weiß leider nur, dass der Konvent noch nicht viele Mitglieder hat, unter 500 seien es. Wie es möglich ist, dass diese junge Organisation eine Medienkampagne auf die Beine stellt? "Das geht, in dem sich Bürger zusammenschließen, um etwas zu erreichen." Wer diese Bürger sind - kein Kommentar.
Also auf zum Bonner Bundeskanzlerplatz, wo der Bürgerkonvent sein Zuhause an repräsentativem Ort gefunden hat. Ein schöner Hochhauskomplex, in dem früher die PDS residierte und heute ein Mercedes-Stern das Dach verschönert. Die Einmischer sind im 11. Stock untergekommen, wo sie von drei engen Räumen aus die neue Bürgerbewegung organisieren. Über Mitglieder schweigt man sich weitestgehend aus. Auf Nachhaken dann doch ein Name: Vordenker Ralf Dahrendorf hat sich dem Bürgerkonvent angeschlossen. Informationsmaterialien sind vor Ort Mangelware, eine Satzung des Vereins nicht zu erhalten. Dafür ist die Aussicht auf Villa Hammerschmitt, Post-Tower und den "Langen Eugen" einmalig. Stress mit seinen Nachbarn hat der Bürgerkonvent nicht - das Bürohochhaus steht zu großen Teilen leer.
Inzwischen kursieren inoffizielle Mitgliederlisten: Otto Graf Lambsdorff, Peter Glotz, Rupert Scholz, dazu Hans-Olaf Henkel und Roland Berger. Es ist nachvollziehbar, warum der Konvent nicht mit diesen Namen hausieren geht. Wie soll eine partei- und interessenungebundene Organisation entstehen, wenn Parteipolitiker und Wirtschaftslobbyisten das Sagen haben, Vertreter gerade des Systems, das die empörten Bürger so kritisieren?
Initiativen, wohin man schaut
Derartige Kampagnen sind kein Novum. So hatte sich die deutsche Werbebranche den Geist von Roman Herzogs "Es muss ein Ruck durch Deutschland gehen" zu Herzen genommen und die Kampagne "Deutschland packt's an" gegründet. Mit aufmunternden Fernsehspots versuchten die Berufskreativen Deutschland neuen Schwung zu verleihen - mit bekanntem Ergebnis.
Auch kleine Bürgerinitiativen zur Besserung des gesellschaftlichen Klimas in Deutschland gibt und gab es zuhauf. Ende des letzten Jahres gab es dank "Steuerlüge" und Kanzlersong sogar eine ganze Schwemme von solchen Gruppen, die allerdings bald wieder einschliefen. Übrig geblieben ist das "Projekt Neue Wege", das ein halbes Jahr nach Gründung schon fleißig Regionalgruppen gründet, sich mit politischen Konzepten allerdings noch etwas schwer tut. So skizziert eine Arbeitsgruppe den paradiesischen Zustand einer kapitalgedeckten Rente mit niedrigen Beiträgen und einer Mindestverzinsung. Wie man dahin gelangen soll, bleibt aber völlig offen.
Wohlklingender formuliert finden sich ähnliche Aussagen auf Seiten des Bürgerkonvents. "Wir mischen uns ein" ist eine Lieblingsphrase - sie steht sogar auf den Briefbögen. Doch wie das funktionieren soll, ist unklar, wie auch der Aufbau der ganzen Organisation. Zwar kann man sich auf der Homepage eine Beitrittserklärung herunterladen, doch Mitglied wird man damit noch lange nicht. Man kann seine Adresse hinterlassen und eintragen, mit wie viel Geld man die hehren Ziele denn unterstützen will.
Und Geld ist schon reichlich geflossen: Zeitungen sprechen von 3 Millionen Euro, die bereits eingesammelt worden seien. Der geschäftsführende Vorstand Professor Gerd Langguth , Politikwissenschaftler aus Bonn, möchte die Zahl nicht bestätigen. Er sagt lediglich, dass es "erhebliche Beträge" sind. Daneben bemüht er sich, seine Organisation möglichst kleinzureden. Man wolle keine Großorganisation oder einen Bundesvorstand. Bürger können regionale Gruppen bilden, doch das Ganze klingt sehr unverbindlich. "Wir wollen weg vom Obrigkeitsdenken und hin zum Bürgerdialog." Als ersten Erfolg seiner Organisation wertet er die eine Million Besucher der Webseite. Am Werbeaufwand gemessen ist diese Zahl alles andere als beeindruckend.
Geheimniskrämerei und Interessen
Gleichzeitig strickt der Konvent kräftig an seiner Gründungslegende. Immer wieder ist die Rede von "Bürgern", die "zusammengekommen" seien, eine echte Gründungsversammlung scheint es gar nicht gegeben zu haben. Stattdessen geriert sich die Organisation, als habe man mal eben am Stammtisch einen Hut herumgehen lassen und voll Verwunderung einige Millionen darin gefunden.
Warum die Geheimniskrämerei? Langguth, früher für die CDU im Bundestag, dementiert jede parteipolitische Verbindung. Ein Schelm, der Böses dabei denkt, dass Professor Meinhard Miegel, Sprecher des Bürgerkonvents, früher Berater des CDU-Spitzenpolitikers Kurt Biedenkopf war. Rolf Dahrendorf und Otto Graf Lambsdorff sind als Altvordere der FDP ebenfalls keine unbeschriebenen Blätter der Bundespolitik. Interessant dürften jedoch die wirtschaftlichen Verflechtungen sein: Wer verschenkt Millionen, ohne sich einen Nutzen hiervon zu versprechen?
Es wäre blauäugig zu vermuten, dass eine Bürgerbewegung keine politischen Interessen hätte. Auch wenn im Bürgerkonvent keine aktiven Politiker vertreten sein sollen, sind alle bislang bekannt gewordenen Mitglieder sind der politischen Klasse zuzurechnen. Auch die Richtung ist klar: mehr Eigenverantwortung der Bürger und Abbau des Sozialstaates. Wenn der Bürgerkonvent eine Volksbewegung werden will, ist ihm ein Mehr an Transparenz dringend anzuraten.