Die deutsche Position zu Palästina: Zweimal auf der falschen Seite der Geschichte?
- Die deutsche Position zu Palästina: Zweimal auf der falschen Seite der Geschichte?
- "Die Politik Israels gegenüber den Palästinensern ist durch und durch rassistisch"
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Die Bundesrepublik und Europa kauften sich mit der bedingungslosen Unterstützung Israels und der Missachtung palästinensischer Rechte vom Holocaust frei, sagt der Historiker Ilan Pappé. Kritiker würden heute zunehmend mundtot gemacht
Kein Zweifel besteht daran, dass Nazi-Deutschland auf der falschen Seite der Geschichte stand. Es bedurfte enormer internationaler Anstrengungen, um Deutschland nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs auf die andere Seite der Geschichte zu bringen.
Eine gute Art, dies zu tun, war die Stärkung der demokratischen Basis Deutschlands in der Post-Nazi-Zeit, die Neugestaltung der Lehrpläne in den Schulen und der Fokus auf den Kampf gegen Rassismus im Herzen des Kontinents. Zugleich wurden die einheimische Rüstungsindustrie und Waffenexporte reguliert, um einen möglichst umfassenden Wiederaufbau zu gewährleisten.
Ein wichtiges Element dieses Restitutionsprozesses, das vom deutschen politischen System immer noch als entscheidend angesehen wird, ist die bedingungslose Unterstützung Israels. Eine Position, die den Eindruck erweckt, der deutsche Staat könne sich erneut verirren. Damit wird aber erneut abgewichen vom Prinzip der Menschlichkeit, wenn auch weit weniger dramatisch als in der Vergangenheit.
Es ist höchst beunruhigend und zutiefst enttäuschend, dass Deutschland als Staat – und hoffentlich nicht seine Gesellschaft – die moralischen Lehren, die es aus seiner dunklen Geschichte hätte ziehen sollen, nicht vollständig und ehrlich gezogen hat.
Deutschland, das heißt Westdeutschland bis in die späten 1980er-Jahre, und der Westen insgesamt, glaubten, dass der Weg zur deutschen Rehabilitierung und Wiederaufnahme in die Reihe der "zivilisierten Nationen" über die Legitimierung der Kolonisierung Palästinas führen müsse.
So verlangte der Westen innerhalb von drei Jahren nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs von der Welt gleichzeitig die Zustimmung für das neue Deutschland und die Schaffung eines jüdischen Staates auf einem Großteil des historischen Palästina, als ob diese beiden Forderungen logisch und, schlimmer noch, moralisch miteinander verbunden wären. So wurde Israel zu einem der ersten Staaten, die erklärten, es gebe ein "neues Deutschland", um im Gegenzug bedingungslose Unterstützung für seine Politik zu erhalten, begleitet von starker finanzieller und militärischer Hilfe aus Westdeutschland.
Einschüchterungsversuche, sobald Israels Politik kritisiert wird
Nach der Wiedervereinigung Deutschlands und der hegemonialen Rolle, die es seitdem in der EU-Außenpolitik spielt, wurde die deutsche Position zu Israel und Palästina zu einer Priorität erhoben und beeinflusst insgesamt die Politik des Kontinents. Erst in jüngster Zeit haben diejenigen von uns, die sich für Palästina engagieren, bemerkt, auf welch abschüssigem Weg der deutsche Staat einmal mehr auf die falsche Seite der Geschichte rutscht.
Es war unvermeidlich, dass große Teile der deutschen Zivilgesellschaft, vor allem der jüngeren Generation, erfolgreich zwischen dem Eingedenken der Nazi-Vergangenheit und den moralischen Fragestellungen der Gegenwart, seien sie nun national oder international, navigieren würden. Tatsächlich hat die Vergangenheit eine nachwachsende Generation moralisch bewusster Deutscher hervorgebracht, die sich mit anderen im Westen zusammenschließt und für Menschen- und Bürgerrechte kämpft, wo immer sie verletzt werden.
Für jeden Deutschen, der auch nur einen Funken Anstand in sich trägt, wäre es unmöglich, die rassistische israelische Politik aus dieser moralischen Diskussion auszuschließen. Das unvermeidliche Ergebnis war das Entstehen einer starken deutschen Solidaritätsbewegung mit dem palästinensischen Volk und seinem gerechten Kampf um Befreiung und nationale Selbstbestimmung.
Wie auch anderswo, insbesondere nach der ersten Intifada, und erst recht in diesem Jahrhundert, reagierte Israel mit Kampagnen auf den Wandel der öffentlichen Meinung in Europa. Als der Solidaritätsimpuls zu einer massiven sozialen Bewegung anschwoll, die durch Initiativen wie BDS ("Boycott, Divestment, Sanctions") angeregt und gefördert wurde, zog Israel förmlich in den Krieg. Man setzte Antisemitismus und Islamophobie als Waffen ein, um das deutsche politische System dazu zu bringen, alles zu tun, um die kritischen Stimmen der Zivilgesellschaft zum Schweigen zu bringen.
Ich habe das Ergebnis dieser Kampagne erlebt. Immer wieder wurden meine Vorträge in Deutschland im letzten Moment abgesagt. Die Organisatoren mussten mich und andere Redner:innen an andere Veranstaltungsorte verlegen, die mit wenig Zeit für die erneute Bekanntmachung organisiert werden mussten, was der Hauptzweck dieser Einschüchterungsversuche von oben war.
Die deutsche Politik wurde noch tiefer in den moralischen Abgrund gezogen, als der Deutsche Bundestag am 17. Mai 2019, also vor fast drei Jahren, eine Resolution verabschiedete, in der die BDS-Bewegung als antisemitisch verurteilt wurde. Staatliche Institutionen in Deutschland werden aufgefordert, keine Aktivitäten der BDS-Bewegung oder anderer Gruppen zu unterstützen, die "antisemitisch sind und/oder den Boykott von Israelis und israelischen Unternehmen und Produkten fordern".
Dieser ungewöhnliche Schritt des Parlaments wurde einvernehmlich von allen politischen Parteien unterstützt: den Unionsparteien (CDU und CSU), den Sozialdemokraten (SPD), der Liberalen Partei (FDP) und der Partei Bündnis 90/Die Grünen.
Die verzerrte Logik dieses Beschlusses beruht auf der Gleichsetzung von Antisemitismus mit Kritik an Israel und dem Zionismus. Seitdem werden akademische und kulturelle Veranstaltungen abgesagt, die mit Palästina in Verbindung stehen oder – was noch drakonischer ist – von Personen organisiert werden, die als pro-palästinensisch bekannt sind. Darüber hinaus drohen deutschen Bürgern der Verlust ihres Arbeitsplatzes und die Gefährdung ihrer Karriereaussichten, wenn sie an pro-palästinensischen Demonstrationen oder anderen Solidaritätsveranstaltungen teilnehmen.