Die einsame Stimme der Opposition

Barbara Lee ist die einzige US-Kongressabgeordnete, die gegen die "Use-of-Force"-Resolution stimmte.

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Nach den Terroranschlägen in New York und Washington beschloss am 14. September der US-Kongress ein 40 Milliarden-Dollar-Paket zum Kampf gegen den Terrorismus und ermächtigte in einer so genannten "Use-of-Force"-Resolution den Präsidenten, über die Art und den Umfang der Gewaltanwendung gegen die Terroristen praktisch alleine zu entscheiden. Er muss noch nicht einmal - wie bei Desert Storm - nach 60 Tagen dem Kongress Bericht erstatten. Das bedeutet eine Aktion mit offenem Ende ohne weiteren Einfluss des Repräsentantenhauses. Im Mittelpunkt der Resolution steht der Einsatz der US-Truppen und entsprechend lautet der Titel auch: A joint resolution to authorize the use of United States Armed Forces against those responsible for the recent attacks launched against the United States.

Der Präsident wird ermächtigt, entsprechend der "War Powers Resolution" auch militärische Mittel einzusetzen, Einschränkungen sind nicht enthalten:

"That the President is authorized to use all necessary and appropriate force against those nations, organizations, or persons he determines planned, authorized, committed, or aided the terrorist attacks that occurred on September 11, 2001, or harbored such organizations or persons, in order to prevent any future acts of international terrorism against the United States by such nations, organizations or persons."

Der Senat hatte die Resolution schon ohne Gegenstimme beschlossen, im Kongress stimmten 420 Abgeordnete dafür - und eine einzige dagegen. Barbara Lee, eine Abgeordnete der Demokraten aus Kalifornien, lehnte als einzige die Resolution ab. Sie ist eine ungewöhnlich mutige Politikerin, die sich auch in der Vergangenheit immer wieder eine eigene Meinung leistete und sie öffentlich kund tat, egal wie stark ihr der Wind der öffentlichen Meinung ins Gesicht blies.

Sie lässt keinen Zweifel daran, wie sehr sie die Terroranschläge ablehnt, aber nichts desto weniger hält sie eine Reaktion der Vergeltung, eine kriegerische Reaktion für falsch und ruft zur Besonnenheit auf:

"Ich habe heute ein schweres Herz, ein Herz, das mit trauernder Sorge für die Familien und Lieben der Getöteten und Verwundeten dieser Woche gefüllt ist. Nur ein kompletter Narr oder ein extrem grausamer Mensch würde die Trauer nicht verstehen, die unser Volk und Millionen in aller Welt beherrscht. Der 11. September hat die Welt verändert. Unsere tiefsten Ängste suchen uns heim. Dennoch bin ich überzeugt, dass ein militärischer Einsatz weitere Anschläge des internationalen Terrorismus gegen die Vereinigten Staaten nicht verhindern wird. Diese Resolution wird beschlossen werden, obwohl wie alle wissen, dass der Präsident auch einen Krieg ohne sie führen kann. Wie schwierig diese Abstimmung auch sein mag, einige von uns müssen auf Zurückhaltung drängen. Unser Land ist in Trauer. Einige von uns müssen sagen: Lasst uns für einen Moment zurücklehnen und die Implikationen unser Handlungen von heute überdenken, damit die Dinge nicht außer Kontrolle geraten."

Sie warnt davor, jetzt im Taumel der Trauer und Wut Fehler zu machen, die unabsehbare Konsequenzen hervorrufen könnten. Die 55jährige schwarze Abgeordnete, zu deren Wahlkreis u.a. Berkeley und Oakland gehören, steht zu ihrer Entscheidung. Sie hat großen Zweifel, ob militärische Schläge gegen den Terror sinnvoll sind und obwohl sie genau weiß, wie viel einfacher es gewesen wäre, mit dem Mainstream zu stimmen, nimmt sie die Wut und Ablehnung auf sich, die ihre einsame Stimme nun auslöst. Aus dem Anrufbeantworter ihres Abgeordnetenbüros ertönen endlose Beschimpfungen und Drohungen, das Faxgerät spuckt seitenlange Hassbotschaften aus. Auf ihrer Website steht keine Email-Adresse mehr.

Barbara Lee betrachtet sich selbst als Patriotin, und jetzt als vaterlandslose Gesellin beschimpft zu werden - was viele tun - verletzt sie sehr. Selbst in ihrem extrem liberalen und toleranten Wahlkreis gibt es hitzige Debatten über ihre Gegenstimme und viele unterstellen, sie hätte sich damit gegen die Einigkeit der Nation gestellt. Aber Barbara Lee ist sich sicher, das Richtige getan zu haben, sie hat ihre Entscheidung gründlich vorher überdacht und mit vielen Menschen ihrer Umgebung diskutiert, auch mit einer engen Mitarbeiterin, die eine Cousine verlor, die Flugbegleiterin in eine der entführten Maschinen war.

Die Kongress-Abgeordnete hat nach ihren Gewissen entschieden, wie es im Grunde alle Abgeordneten tun sollten. Erstaunlich ist eigentlich, dass nur eine unter 421 Repräsentanten bei einer so weit reichenden Resolution zu einem anstehenden Krieg Zweifel hat und diese Bedenken deutlich artikuliert.

Barbara Lees Gewissen ließ sie 1998, als sie gerade erst frisch in den Kongress eingezogen war, bereits gegen ihren Parteikollegen und damaligen Präsidenten Clinton stimmen, als es um die anstehende Bombardierung des Iraks ging. Damals stimmten 4 weitere Abgeordnete mit ihr gegen die Strafaktion. 1999 war ihre Stimme die einzige, die sich bei der Abstimmung gegen den Kosovo-Einsatz im Kosovo erhob.

Sie sieht sich selbst nichts als Pazifistin, aber sie glaubt nicht, dass militärische Lösungen jedes Mal der beste Weg sein sollen, nur weil es eine überwältigende Mehrheit behauptet. Sie beruft sich auf Wayne Morse, einen der beiden Senatoren, die 1964 gegen die Resolution stimmten, die Präsident Johnson ermächtigte, den Vietnamkrieg zu beginnen. Sie zitiert Morse, der damals sagte: "Ich glaube, dass die Geschichtsschreibung später berichten wird, dass wie einen gravierenden Fehler gemacht haben."

Die Frage bleibt natürlich, ob die Wähler in ihrem Distrikt ihren Mut und ihre Aufrichtigkeit bei der nächsten Abstimmung honorieren werden. Sie ist in ihrer Heimat sehr beliebt, ihr Einsatz für Minderheiten, internationale AIDS-Programme, mehr Zusammenarbeit mit Afrika und für ein Ende des Embargos gegen Kuba haben ihre Beliebtheit bisher nicht gefährdet. Aber ihr "unpatriotisches" Verhalten könnte nun das Ende ihrer politischen Karriere bedeuten.