Die ewige Wiedergeburt der bösen Muse
Das Haus der Geschichte in Bonn berühmt sich einer Nichthommage an das Lebenswerk von Leni Riefenstahl
Am 22.August 2002 feierte Leni Riefenstahl ihren 100. Geburtstag. Nun wird sie im Haus der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland in Bonn mit einer Ausstellung (13. Dezember 2002 - 2. März 2003) gewürdigt, die keine Hommage sein will. Doch wie soll die angekündigte kritische Präsentation gelingen, ohne das politische Ideal dieser Ästhetik gleich mit zu feiern?
So wenig die Riefenstahl eine Dokumentarfilmerin war, so unmöglich ist es, lediglich das zu dokumentieren, was vor allem eins erzielen wollte: Wirkung. Heraus kam eine Ausstellung des schlechten Gewissens, ein vorgeblich heftig diskutierter Kompromiss von musealen Beiratsentscheidungen. Die braune Fracht wurde also in einen schmalen Gang verräumt, in Vitrinen eingesargt, und allein eine Breker-Skulptur zeugt als vorübergehender Koloss von Bonn von der verdrängten Monumentalität der riefenstählernen Träume.
Propagandistische Aufrüstung durch hybriden Schönheitskult
Das Haus der Geschichte repräsentiert die bundesrepublikanische Nationalkultur, die nun auf der Außenfassade von einem Plakat mit Hakenkreuzadler geschmückt wird. Strafanzeige wegen der Präsentation des Symbols, das anderenorts in Mini-Pixelgröße ohne weiteres die Staatsanwaltschaft auf den Plan ruft, ist bereits gestellt. Wütende Proteste am Eröffnungsabend waren die angekündigte Begleitmusik der kritischen Würdigung. Aber ist das mehr als die passende Ausleuchtung des Personenkults um Leni, an dem die narzisstische Freundin des Führers wohl nicht weniger gearbeitet hat als an ihren Filmen?
Unzweifelhaft waren Riefenstahls einschlägige Filme propagandistische Aufrüstungen, die Faschismus, Führerkult und überlegene Stärke von "Herrenmenschen" ohne den geringsten Anflug von Kritik glorifizierten. Dass diese Ästhetik in späteren Jahren bis hin zu den Reklamewelten von Wolfgang Joop und Calvin Klein zur künstlerischen Inspirationsquelle wurde, spricht längst nicht für die Riefenstahl, sondern belegt die anhaltende Faszination von Bildern, die sich auf dem schmalen Grat zwischen faschistischem Größenwahn und vitalistisch inszeniertem Körperkult, Willenskraft und antikisierender Pseudoromantik bewegen. Leni versprach in ihrem hybriden Schönheitskult die volle Dröhnung und vermittelte nicht nur den Nazis Schauder des Entzückens über so viel mythentriefende Selbstherrlichkeit unbeugsamer Menschen.
Provokativ blieb die Riefenstahl allein deshalb, weil ihre Werke jenseits ihrer erklärten Propagandafunktion nicht in die Mottenkiste der ästhetischen Belanglosigkeit verräumt werden konnten. Luis Bunuel und René Clair etwa verzichteten darauf, Lenis Parteitagsfilme zur Anti-Nazi-Propaganda zu verschnippeln:
"Riefenstahls Bilder waren so verdammt gut und eindrucksvoll, dass man genau den umgekehrten Effekt von dem erzielt hätte, was wir beabsichtigten. Es wäre ein richtiger Bumerang gewesen. Das Publikum wäre überwältigt worden und hätte das Kino mit dem Gefühl verlassen, dass Deutschlands Macht nicht zu widerstehen sei."
Diesem Eindruck der genialen Faktur ihrer filmhistorischen Schnitte konnte sich auch andere wie Jean-Luc Godard, der von Leni porträtierte Mick Jagger oder Jean Cocteau - "Wie könnte ich nicht Ihr Bewunderer sein, da Sie das Genie der Kinematografie sind?" - nicht entziehen. Während ihr Margarethe Mitscherlich noch attestierte, vom Männlichkeitswahn besessen zu sein, gerät auch Alice Schwarzer im Blick auf den Vornazi-Film "Das blaue Licht" (1932) ins Schwärmen: "...die Symbolik des phallischen Berges überstrahlt Riefenstahl mit der Symbolik der vaginalen Grotte. 100 Prozent Mann und 100 Prozent Frau." Doch die Riefenstahl war in ihrer großen wilden Zeit alles andere als ein platonisches Doppelwesen, das sich in die folgenlose Harmonie ewiger Schönheit flüchten könnte.
Professionelle Verdrängerin
Mit den nationalsozialistischen Verbrechen und Ideologien will die Regisseurin angeblich zwar nichts zu tun gehabt haben: "Ich habe niemals einen Massenmord gesehen, ich habe niemals ein Konzentrationslager gesehen, ich habe niemals von Eichmann gehört" und auch "keine Propagandafilme für Goebbels gedreht", erklärte sie 1960 der FAZ. Eyes wide shut?
Wusste Sie wirklich nicht, woher ihre 60 Sinti- und Roma-Komparsen für "Tiefland" kamen? So clair-voyant sie einerseits die faschistische Ästhetik erkannte und prägte, so blind will sie andererseits für die barbarischen Hintergründe der von ihr geschaffenen Filmfassaden gewesen sein? Leni ist eine professionelle Verdrängerin, die sich nach dem Ende ihrer glühenden Bewunderer auf das elfenbeinerne Altenteil des "l'art pour l'art" zurückziehen wollte. So beharrte sie in ihren apologetischen Rückblicken auf der reinen Ästhetik und als späten Beleg dieser unmöglichen Haltung präsentierte sie die abstrakten Farb- und Formspielen der Unterwasserwelt oder den pittoresken sudanesischen Ureinwohnerstamm der Nuba, die nach dem von ihr in Szene gesetzten schwarzen Olympiasieger von 1936, Jesse Owens, wohl zu Gewährsmännern ihrer politischen Harmlosigkeit und rassismusfreien Korrektheit werden sollten.
Ihr Vorwurf gegen die Kritiker, man dürfe das Politische, das Moralische, die Instrumentalisierungen nicht mit dem Ästhetischen vermengen, kann aber nicht der Persilschein für die Riefenstahl sein. Denn Lenis Träume (er)finden sich ja selbst gerade im Politischen, pochen auf die Überlegenheit des unbeirrbaren Willens so schöner wie starker Menschen, sperren jeden Blick auf Schwäche oder Mitleid aus. Das sind kein rein ästhetischen Entscheidungen, das sind bereits politische Entscheidungen, unabhängig von der Frage, ob "die größte Dokumentarfilmschöpferin aller Zeiten" (John Grierson) nun über die Nazigräuel informiert war oder nicht. Lenis Selbstverständnis als Dokumentarfilmerin ist so naiv wie kontrafaktisch:
"Ich habe die Menschen so aufgenommen, wie sie ausgesehen haben, aber ich habe sie ja nicht erschaffen."
Wer hat sie dann erschaffen? Immerhin wurden ihre martialischen Dokumentationen am Eröffnungstag in Bonn auch mit eben diesen Gräuelbildern konfrontiert - sowohl in der Ausstellung selbst als auch durch eine kleine Gruppe von Demonstranten, die von größeren Polizeieinheiten in Schach gehalten wurde.
Hilmar Hoffmann, Ex-Präsident des Goethe-Instituts, der im Haus der Geschichte die Nichtlaudatio hielt, hat sich in Sachen Riefenstahl längst vom Saulus zum Paulus gewandelt. Erkannte Hoffmann 1986 in ihr noch die "Bannerträgerin des Führers im faschistischen Film", scheint er inzwischen der cineastischen Faszination ihres "Genies" erlegen zu sein. Es sei Zeit für eine Neubewertung, auf die Leni Anspruch habe, zumal sowjetische Regisseure wie etwa Sergej M. Eisenstein auch filmgeschichtlich gewürdigt würden, obwohl sie sich - noch weitreichender als die Riefenstahl Hitler - Väterchen Stalin und seiner Agitprop-Doktrin verdingt hätten.
Hexerei und Größenwahnfantasien
So elastisch Riefenstahls Körper zwischen den Gletscherspalten hing, so geschmeidig war auch ihr Talent, mit den Barbaren zu kokettieren. Die Entschuldigung der Reichsfilmdomina, sie habe halt künstlerisch gehandelt und sei darin nicht dem System botmäßig gewesen, überzeugt nicht: "Nein, mein Führer, das werde ich nicht tun, ich kann nur das machen, was aus meinem Inneren wächst, wonach ich Sehnsucht habe. Auftragsfilme kann ich nicht machen" - das war ihre Antwort auf Hitlers frühen Wunsch, "seine" Filme zu machen, noch bevor er Reichskanzler wurde. Auf dieses hehre Ethos beruft sie sich zeitlebens, sodass scheinbar nur noch Magie hilft, ihre Triumphe filmkünstlerischer Regieherrschaft zu erklären: "Das verdankt sich schierer Hexerei, denn eigentlich hatte ich keinerlei Interesse an dem Stoff" (Leni zu Triumph des Willens, 1934).
So viel interesseloses Wohlgefallen nehmen wir ihr nicht ab, zumal sie selbst erklärte, vom charismatischen Führer in Bann geschlagen worden zu sein. Dass die vitalistische Mythenspinnerin auch mit Propagandafilmen "Tag der Freiheit - unsere Wehrmacht" (1935) problemlos fertig wurde, macht das ganze Ausmaß dieser flexiblen Magie deutlich, die ihren brennenden Ehrgeiz immer neue Ruhmesgipfel erklimmen ließ.
Ob die Riefenstahl nun Nationalsozialistin, Opportunistin oder gar ein hofiertes Opfer der braunen Herrscher war, ist indes eine nachgeordnete Frage, die das eigentliche Problem verdeckt. Das besteht allein darin, dass die ästhetische Selbstinszenierung des Faschismus bei Leni Riefenstahl eine Attraktivität besitzt, die Menschen unabhängig von ihren bewusst artikulierten Überzeugungen trifft. Die Riefenstahl hat nicht nur dem Nationalsozialismus seine Formsprache verliehen, sondern sie bedient auch unsere mehr oder weniger gut verdrängten Lüste an mythischer Größe, menschlicher Überlegenheit und Schicksalsmächtigkeit jenseits der Opferperspektive.
Wer über Faschismus redet, muss wohl auch über seinen eigenen Faschismus reden. Allein die Selbstaufklärung über unsere imaginären Untergründe wäre eine taugliche Kritik an der riefenstählernen Ästhetik des Faschistischen. Anders bleibt nur der verdrängte Umgang mit dem narzisstischen Selbst, das sich diese ästhetischen Lüste eben heute nicht mehr von der Riefenstahl besorgen lässt, sondern von den vermeintlich harmloseren Größenwahnfantasien des Gegenwartskinos (Leni Riefenstahls 100jähriges Vermächtnis für Hollywood), dessen Masken auf den Dienst an der Zivilisation, des Glücks, der Humanität und aller anderen wohlfeilen Menschheitsfantasien hin zugeschnitten sind.