Leni Riefenstahls 100jähriges Vermächtnis für Hollywood

Keine Entmythologisierung in Sicht

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Totgesagte leben länger. Leni Riefenstahls 100ster Geburtstag ist Anlaß genug, über diesen Satz nachzudenken. Allein zum Jubiläum der am 22. August 1902 geborenen Berlinerin Helene Bertha Amalie L. sind drei Biographien erschienen, die recht unterschiedlich gegen die gleiche Mär vom Freien Schönen Schein in Nazi-Land anerzählen.

So zum Beispiel gegen die bei Taschen wieder erschienenen Memoiren und den ebenda publizierten Kult-Revue-Bildband zu den "fünf Leben" des unbelehrbaren Naturtalentes Leni Riefenstahl, die sich alles selbst beibrachte: Ausdruckstänzerin, Bergfilm-Stunt-Schauspielerin, Filmregisseurin, Ethno- und Promi-Fotografin und älteste Taucherin der Welt. Die wichtigen Anhaltspunkte zum stürmerischen Multgenie Riefenstahl und ihrer medienpolitischen Rolle im Dritten Reich häufen sich, aber die volle Konsequenz aus dem Material zu ziehen, gelingt auch jetzt nur stellenweise. Die Entmythologisierung des Mythos und der unbefangene Blick auf die Medienstrategien à la Riefenstahl stehen uns noch bevor.

Die Macht der Bilder und die Ohnmacht der Worte

Viermal in deutscher Sprache gedruckt, das Leben der Leni Riefenstahl. Ästhetisch überhöht und zur unpolitischen Sonderrolle einer starrsinnigen Diva heraufstilisiert: in ihrer eigenen geschichtsverfälschenden Selbstdarstellung der "Memoiren 1902-1945. 1945-1987" (Taschen, Köln). Akribisch rekonstruiert und gut erzählt durch Jürgen Trimborn ("Riefenstahl. Eine deutsche Karriere." Aufbau, Berlin). Polemisch politisiert durch Lutz Kinkel ("Die Scheinwerferin. Leni Riefenstahl und das Dritte Reich." Europa Verlag, Hamburg). Etwas steif und schematisch, aber mit Einfällen analysiert durch Rainer Rother ("Leni Riefenstahl. Die Verführung des Talents." Henschel, Berlin; Heyne, München), als Ausgangsskript für Guido Knoops ZDF-Endlosserien zu und um Hitler.

Weil sie so schön klingen, dringen die Legenden und Flunkereien der Riefenstahl gleichwohl immer wieder in die Medien und haben Gazetten und Talkshows unermüdlich beschäftigt. Und unter dem narzißtischen Übertitel "ICH! Mode, die mich zur Göttin macht" präsentiert die August-VOGUE die "Magischen Momente" der langlebigen Legende L. als modische Retro-Stil-Bildstrecke. Dazu wettert die Diva im Interview los und ermuntert das weibliche Zielpublikum zur Nachfolge im egomanischen Größenwahn. Wenn Leni im hellen Sportkostüm neben Hitler und den Totenkopf-Uniformen die Regie des Reichsparteitags bespricht, fällt der VOGUE auf: "Er war nicht der Einzige, der mich bewunderte." So rum ist's richtig. Jedem Führer seine Berg-Führerin, und dahinter ein ganzer Bergstamm. "Junta, meine kleine Steinhexe" haucht Mathias Wiemann versponnen in "Das blaue Licht" am Monte Christallo, jener bei Vollmond magisch aufleuchtenden Schatzspalte, die den italienischen Alpen-Dörflern im Luis-Trenker-Stil den Verstand und die Idylle raubt.

Was zum Hundersten fehlt, ist ein literarisches Werk, das die Lücke zwischen dem Naziboulevard und der wissenschaftlichen Kritik schließt. Eine Aufarbeitung von Leni Riefenstahls Kitschwelt, die sie ausreden und in ihre eigenen Widersprüche verstricken läßt, wie in Ray Müllers preisgekröntem Werk "Die Macht der Bilder", 1993. Was aber heute wichtiger denn je sein könnte, ist die medienstrategische Reflexion auf die atemberaubende Karriere der Riefenstahl. Ihre Bekanntheit beruhte auf ihrer erotisch-sportiven Präsenz in Arnold Fancks Bergfilmen. Nebenbei lernte sie den Umgang mit der Kamera. Ihr früher Anspruch als begabte Filmautorin fußte nur auf einem Werk, dem beeindruckenden Bergmärchen zwischen romantischer Nostalgie und expressionistischer Verfremdung: "Das blaue Licht (Drehbuch mit Béla Balázs, 1932). Und danach verwandelte sie sich rasant in die technisch versierte Reichsparteitags-, Wehrmachts- und "Olympia"-Filmerin, um unpolitisch-überpolitische Bildschöpfungen mit enorm zweideutiger Wirkung im internationalen Kontext zu schaffen. Filmfaschistische Körper-Prägungen, lauter Body-Special-Effects in leergefegten imaginären öffentlichen Räumen, die heute noch im Sport, in der Werbung und im Actionfilm zelebriert werden, von Nike bis Joop, von Schwarzenegger bis Snipes, von Rambo bis Rammstein.

Die Beschleunigung der Karriere in die Welt der generalstabsmäßigen Propaganda versetzte dem eigenen ästhetischen Anspruch der mädchenhaften Diva einen herben Schlag. Die Kameratechnik mußte nun allen Zauber aufbringen, den kein eigenes Drehbuch mehr imaginieren konnte, um einen Wall zwischen dem Beobachter und der totalitären Wahrheit der Aufmarschplätze zu errichten. Von dieser heroischen Stilisierung schwärmen heute noch die maßgeblichen Vertreter des New Hollywood. Sie romantisierten die Riefenstahl zur Studio-freien wilden Filmerin, die dem Monster der deutschen Apokalypse auf den Leib rückte. Und sie inkorporieren den monumentalen Bildstil von damals in ihr digitales Universum. Aber der Mann, der ihr so viel positives Image für sein junges Reich verdankte, hatte längst eine politische Richtung eingeschlagen, die den politischen und den privaten Untergang bedeutete.

Hitlers Abgesandte bei Disney und MGM

Bereits am 4. November 1938, fünf Tage vor der so genannten Reichskristallnacht, dem Ausbruch der von der NSDAP gesteuerten Pogrome gegen die Juden im Deutschen Reich, geht Leni Riefenstahl als "Hitlers Abgesandte im Rock" und Kostüm in New York an Land. 160 Reporter und Neugierige umringen sie. Noch flirtet die Metropole mit dem Nazi-Glamour der charmanten Teutonin. Auf die Frage, ob sie Hitlers Geliebte sei, antwortet sie mit kokettem Augenaufschlag in die Filmkamera der amerikanischen Wochenschau, dies sei nur eine Newspaper-Story. Die Schöne und das Biest. Sogleich serviert man ihr die Lieblingsrolle. Sie spielt das Image der Partei-Geliebten und vor allem der Medien-Leib-Frau des Führers voll aus. Wer oder was soll ihr jetzt noch Widerstand entgegensetzen im Land der unbegrenzten Möglichkeiten? Immerhin hat sie den in ganz Europa gefeierten hymnischen Olympia-Dokumentarfilm der Berliner Spiele 1936 in mehreren Fassungen, mal mit, mal ohne die alles umwertenden Führer-Szenen, dabei. Der Tobis-Verleih beliefert ganz Europa mit dem Werk, bis auf Großbritannien, das die Aufführung verweigert. Ist es nicht verheißungsvoll, daß MGM zu dieser Reise in die USA eigens eingeladen hat, obwohl man Riefenstahls Verleihangebot 1936 zunächst ablehnte?

Rainer Rothers Aussage, daß es für einen Verleih in den USA keine Interessenten gab, ist sicherlich falsch, zumal, wenn er in einem Atemzug behauptet, daß die Anti-Nazi-League in New York, zu der unter anderem der Bürgermeister La Guardia und Bischof McConnell gehörten, massiven Widerstand gegen die Olympia-Film-Regisseurin als Nazi-Symbolfigur und ihren möglichen Einfluß auf das heißumkämpfte politische Klima in den Staaten leisten mußte. Selbst Riefenstahls Enttäuschung über ihren Mißerfolg bei den Verhandlungen in den USA vernebelt noch die Perspektive manches kritischen Biographen.

Trimborn und Kinkel haben ausführlicher und aufschlußreicher als Rother die Umstände und den Verlauf von Riefenstahls privater USA-Reise dargestellt. Immerhin sei eine Einladung des Filmstudios Metro-Goldwyn-Mayer ergangen. Verhandlungen über Verleihverträge standen also zumindest auf der Tagesordnung. Und so wird sich ein naheliegender Schachzug im "Olympia"-Film als entscheidender Verhandlungsfaktor erwiesen haben: Riefenstahls umfassende dokumentarische Auswertung aller olympischen Disziplinen, die Internationalität der Siege und auch die besondere Herausstellung der Leistungen der Amerikaner hatten das Mißfallen der Nazis erregt. Die Herrenrasse fühlte sich ins Hintertreffen gesetzt. Die Ausbeute des Reichs mit 33 Gold, 26 Silber und 30 Bronze fiel nach dem Lapsus der deutschen Frauenstaffel und durch den immensen Ertrag der zweitplazierten USA (24 Gold, 20 Silber, 12 Bronze) fast schon mager aus. Hitler ließ sich sogar über die anatomische Bevorteilung der schwarzen Leichtathleten gegenüber den angeblich intellektuell begabteren germanischen Geistmenschen aus. Aber Riefenstahls ungezähmter erotisierender Körperkult, über alle Rassen und Nationen hinweg, zeigt auch das Kalkül der Regisseurin, ihren Film weltweit und vor allem auf dem amerikanischen Markt abzusetzen, um für sich den Weg nach Hollywood zu ebnen.

Doch in Hollywood hingen Plakate mit der Aufschrift: "Hier ist kein Platz für Leni Riefenstahl". Gespräche mit Produzenten und Regisseuren, Besuche in Studios wurden abgesagt. Deutsche Emigranten distanzierten sich von Leni, die Anti-Nazi-League und das Motion Picture Artists Comittee organisierten den Boykott. Einer der wenigen Prominenten, der die deutsche Regisseurin empfing, war Walt Disney. Er führte Riefenstahl durch sein Trickfilmstudiogelände und zeigte sich sehr interessiert an ihrem "Olympia"-Mammutfilm. Dennoch, Disneys Scheu, diesen Film als ein gesellschaftliches Ereignis in einem Filmtheater oder in seinen Studios zu zeigen, wird für Kinkel aus der Angst erklärbar, die eigenen wirtschaftlichen Beziehungen und den Markt in den USA zu gefährden. Disney war wie Henry Ford ein Sympathisant des Nazi-Reichs und nahm regelmäßig an den Treffen der amerikanischen Nazi-Partei teil. Der Miterfinder der Micky-Maus versuchte Einfluß auf die Politik zu nehmen, damit die USA sich im faschisierten Europa nicht einmischte. Riefenstahl konnte sich ebenfalls glücklich schätzen, Chaplin-Entdecker Hal Roach und Regisseur King Vidor zu begegnen. MGM, das seinen deutschen Absatzmarkt bis zum Ausbruch des Krieges pflegte, sah Riefenstahl als Gast auf seinem Gelände. Vieles lief nur in privaten Kreisen ab. Riefenstahl hat die reservierte und abweisende Haltung nicht mit der nun offen inhuman gewordenen NS-Politik und mit ihrer eigenen propagandistischen Rolle in Verbindung bringen können. Sie hat sie auf sich ganz persönlich bezogen. Und sie bestand, wie auch später, auf dem Absolutismus ihrer Kunst, und auf der Halbwahrheit und Teillüge der unabhängigen Produktion, Gestaltung und Aussage ihres größten Filmwerks, auf seinem triumphalen Charakter als ästhetisches Monument einer internationalen Begegnung des Sports, wie sie in diesem Umfang zum ersten Male auf Zelluloid gebannt wurde:

Obwohl Amerika auf der Olympiade 1936 große Erfolge erzielt hat, wird der Film mit seinen siegreichen Athleten hier nicht gezeigt, weil die amerikanische Filmindustrie sowohl in der Produktion als auch im Verleih von Leuten kontrolliert wird, die das heutige Deutschland ablehnen. Sie haben es dahin gebracht, daß die Amerikaner nicht Gelegenheit haben werden, sich anzusehen, wie ihre Athleten die der übrigen Welt in den Schatten gestellt haben und dies, obwohl es sich bei den Olympischen Spielen um ein reines Sportereignis handelt und obwohl der Film überall sonst in der Welt gezeigt worden ist.

NS-Medienmonopol "Olympia" - die große Verführung für Hollywood

Die Entscheidung für die Olympischen Spiele von Berlin fiel vor Hitlers Machtübernahme und sollte Deutschland nach dem Ersten Weltkrieg rehabilitieren. Die seit 1914 bestehende Verpflichtung durch das IOC für das gastgebende Land zu einer filmischen Dokumentation der Spiele trug erst in den Spielen von Amsterdam (Vielseitigkeit der Kamerastandorte im Stadion) und Los Angeles (Ton-Wochenschau mit ersten Sportlerinterviews) ihre Früchte. Die Geschichte des olympischen Sportfilms belegt, daß das optische und historische Niveau der Berichterstattung zunächst ebenso unvollkommen war wie die anfängliche amateurhafte Gestaltung der Spiele, die im Verlauf der ersten drei Jahrzehnte die heute übliche professionelle Gestalt etablierter Spezial-Disziplinen, entsprechender Trainingseinheiten, der sorgfältigen Organisation und der präziseren Auswertung annahm. Die Ereignisse, die filmischen Möglichkeiten und die politische Ökonomie dahinter wuchsen dann immer rascher aufeinander zu. Der heutige Medienkonsument unterschätzt leicht diese aufwendige Verzahnung der Ereignisse und der Bildmaschinen.

Zu den Spielen in Atlanta 1996 und dem hundertjährigem Jubiläum der Olympischen Idee produzierte die ARTE-Redaktion des Bayerischen Rundfunks die Geschichte des olympischen Sportfilms. Hilmar Hoffmann und ich wurden mit einem Drehbuch beauftragt. Der zuständige Redakteur war nicht von der unreflektierten Idee einer reinen Bildgeschichte des Sportfilms ohne die reale Entwicklung der Spiele und ihres Protokolls abzubringen. Beziehungslose Kunstansprüche treiben auch heute in den Köpfen der Medienverwalter ihr Unwesen. Den qualitativen Sprung von kleinen, optisch schlecht abgekurbelten Szenen und unterhaltsamen Schnipseln, die oft nur Körper-Kapriolen zum besten gaben, hin zu einer exakten visuellen Erfassung der Wettkämpfe sollte durch die Auflage des IOC erst in den dreißiger Jahren befördert werden.

1935 wurde Riefenstahl nicht, wie sie selbst behauptete, vom deutschen IOC-Mitglied Carl Diem, sondern von Goebbels beauftragt, den Olympia-Film zu drehen. Ziel war es, den Standards des IOC zu genügen und damit das Ansehen des nationalsozialistischen Deutschlands in der Welt durch einen politisch unangreifbaren und ästhetisch beeindruckenden Sportfilm zu verbessern. Daß das olympische Protokoll und die Gremien selbst bereits faschistisch unterwandert waren, ist die andere Seite der Medaille. Es ist eine Ironie der Geschichte, daß die ganze Diskussion um das "Geheimnis" der Finanzierung des Filmprojekts durch den NS-Staat bereits vorbelastet war durch die Karriere Riefenstahls mit einem einzigen eigenen Spielfilm und den drei NS-Propaganda-Aufträgen "Sieg des Glaubens" (1933), "Triumph des Willens" (1934) und "Tag der Freiheit" (1935).

Selbst wenn Riefenstahl das Projekt direkt vom IOC zugesprochen wäre, hätte sie ihre Autorenschaft als ausgewiesene Parteitags- und Wehrmachts-Verfilmerin nicht leugnen können. Für "Triumph des Willens" hatte sie im übrigen auf den Festspielen in Venedig 1935 den "Preis für den besten Dokumentarfilm" bekommen. Benito sei Dank. Die Verquickung von plattester Propaganda und hochfliegendem Kunstanspruch, abstrakter Stilisierung und physiologischem Naturalismus, abgehobener Romantik und berechnender Reportage, von nationalsozialistischer Willens-Ideologie und technologisch automatisierter Moderne sollte sich in einem angeblich wertfreien, übernationalen Sportfilm weiter verfeinern. Und die globale Idee der Körperertüchtigung als Ausgleich für die Defizite der Moderne sollte zum Einfallstor des Faschismus auch in den westlichen Demokratien werden. Die halbtoten Aufmarsch-Skulpturen der geschichtslosen Uniformreihen und Massenornamente auf den Parteitagen verwandelten sich in die Großaufnahmen halbnackt dahinschwebender Wettkämpfer, die als schweißgebadete Projektile des Unbewußten am Himmel des ewigen Sieges glitten - durch Wasser, in Licht und Luft, über Sand und Asphalt.

Um den Schein der Neutralität zu wahren, erklärte sich Riefenstahl im Einklang mit der NS-Presse als unabhängige Produzentin des Films. Das war künstlerisch und finanziell gemeint. Der spätere Erfolg gab ihr recht, und doch handelte es sich andererseits auch um eine Zwecklüge. Ein Ziel war die Verteidigung des schmalen Kontos der unabhängigen Filmkünstlerin. Das andere war die ökonomische Option, Verwertungsrechte für den lukrativen "Olympia"-Film zu erlangen. Die Vorfinanzierung wurde durch die NSDAP mit zunächst 1,5 Mio., schließlich, bis 1937 über 2,8 Mio. Reichsmark geleistet, für Logistik, Dreh und Schnitt, inclusive der Kurzfilme für Einzeldisziplinen und der verschiedenen Synchronfassungen. Zum Zwecke der Tarnung gründete Riefenstahl die Olympia-Film GmbH. Ihre Version, der "Olympia"-Film sei durch Verkauf der Verleihrechte an die Tobis unabhängig vorfinanziert worden, stimmt nicht. Ein entsprechender Verleihvertrag kam erst Ende 1936, nach Abschluß der Spiele zustande - nach den bereits erheblich aufwendigeren Dreharbeiten und vor dem Schnitt, der zwei Jahre benötigen sollte. Riefenstahls eigenes Honorar wurde von anfänglich 250.000 auf 400.000 Reichsmark durch Goebbels erhöht.

Die Regisseurin konnte die alleinige inhaltlich-künstlerische Gestaltung des Films und seine eigenverantwortete Organisation beanspruchen und gegenüber offiziellen Autoritäten verteidigen. Dabei erhielt sie Rückendeckung von Adolf Hitler, sogar gegenüber Eingriffen aus dem Propagandaministerium. Dies war nur möglich, weil Riefenstahls idealisierende Bildästhetik sich in drei Projekten kongenial zur NS-Masseninszenierung erwiesen hatte. Wer derart dienlich wirkte, wer so effektiv einen schmeichelhaft erhabenen Bildfestspielzauber auf einer militärpolitisch leergefegten Filmbühne abrollen ließ und den Gottesdienst am Führer ins visuelle Gedächtnis der Volksgemeinschaft einmeißelte, war dazu legitimiert, daß seine parteigemäße Arbeit wahrlich "frei" machte und unbehindert von statten gehen mußte. Der Film wurde nach Absprache zwischen Riefenstahl und Hitler zum Geburtstag des Führers am 20. April 1938 in einer prunkvollen Welturaufführung im Berliner Ufa-Palast am Zoo gezeigt.

Nach dem Start des Films konnte die Finanzierung an das Reich durch die Kinoeinnahmen in ganz Europa in voller Höhe zurückgezahlt werden. "Olympia" wurde zu einem unvergleichlichen kommerziellen Erfolg - trotz europäischer Proteste gegen die Hitlersequenzen im Film - und übertraf die Auslandseinnahmen der gesamten übrigen deutschen Filmproduktion 1938. Das Reich gestattete nun die privatwirtschaftliche Auswertung des Films. Ab 1939 wurden Riefenstahl 20 Prozent am Reingewinn zugesprochen. Die Tarnfirma Olympia-Film GmbH wurde Anfang 1942 liquidiert.

Auch in der eigentlichen Produktion und der anschießenden Distribution erkämpfte sich Riefenstahl eine beispiellose Vormachtstellung: Sie verfügte über ihren engeren Stab hinaus über ein Team von rund 130 Mitarbeitern. Mit den Wochenschauleuten, die ihre Aufnahmen nach Ende der Spiele auch für den Film bereitstellen mußten, wuchs der Stab auf 300 Mitarbeiter. Der Spielraum zwischen singulärer Berichterstattung und spielfilmhafter Vervielfachung und musikalischer Transformation der Ereignisse wurde immer größer. An diesem Punkt setzt die Verehrung von Francis Ford Coppola und seinem jüngeren Kollegen George Lucas an, dem Protagonisten der digitalen Kino-Vision, in der Schauspieler zunehmend nur noch Bildmateriallieferanten abgeben. Und an derselben Stelle beißt sich die Fascho-Soap-Stilistik aus Paul Verhoevens "Starship Troopers" ("Ich leiste meinen Beitrag") fest. Im Vorfeld erprobten Riefenstahls Teams die optimalen Perspektiven sowie technischen Parameter für die sorgfältige filmische Erfassung einzelner Sportarten.

Die Nürnberger Schule schlug im Berliner Olympia-Stadion zu. Es wurde ausgerüstet mit Türmen, Gruben, Schienen, Fahrbahnen und Laufbahn-Katapulte für besondere Blickwinkel und visuelle Höhepunkte, zu denen die Vogelperspektive aus Fesselballons und Zeppelinen hinzukamen. Die immense Filmproduktion, auch auf Schmalfilm, mit Hand- und erstmaligen Unterwasserkameras, wurde tagtäglich entwickelt und vorausgewertet, um mißglückte Aufnahmen mit den Athleten sofort nachdrehen zu können. Überzeugendere Übungsbilder ersetzten den stellenweise den weniger spektakulär ausfallenden Originalvorgang oder verstärkten ihn mit subjektiven Perspektiven, um Anstrengung und Pathos von Kampf und Sieg sichtbar zu machen. Im Stadion kam es zu einem merkwürdigen Medienkampf aller Beteiligten: Riefenstahls Mitarbeiter entzogen den Wochenschauleuten die besseren Positionen, bestanden auf dauerndem Vortritt und drohten mit dem Entzug der Presseerlaubnis.

Die Technik versperrte den Ehrengästen die Tribüne, Sportler sahen sich gestört. die Pferde scheuten vorm Blitzlicht. Das Stadion verwandelte sich in das Fotostudio einer Regisseurin, die sich mit einem Medienlächeln von ihren Standfotografen Rolf Lantin und Arthur Grimm überall und ständig ablichten ließ. Zum offenen Streit kam es mit Goebbels um die Aufstellung der großen Tonfilmkamera auf der Ehrentribüne, um die Eröffnungsworte Hitlers verstehbar aus nächster Nähe filmen zu können. Goebbels am 6. August 1936: "Ich stauche die Riefenstahl zusammen, die sich unbeschreiblich benimmt. Eine hysterische Frau. Eben kein Mann!"

Über 400.000 Meter Aufnahmematerial, also 250 Stunden Film, standen für den Zwei Jahre dauernden Schnitt zur Verfügung. Mit der Ausnahme der Wochenschauen stand nur Riefenstahl das Recht auf eine öffentliche Filmvorführung im Reich zu den Berliner Spielen zu. Dieses totalitäre Bilderverbot, das schon für "Triumph des Willens" galt, beinhaltete die nahezu absolute Medienmacht, über die visuelle Vermittlung des olympische Ereignis exklusiv zu verfügen. Der Prototyp der Fernseh-Kamera "Telefunken-Bildfänger" wurde versuchsweise im Stadion eingesetzt und seine Schemen in Berliner Medienstuben übertragen. Doch Leni Riefenstahl hatte es innerhalb der Radio- und Fotokultur des Dritten Reiches geschafft, ein geradezu fundamentalistisches Kino-Monopol über ein öffentliches internationales Ereignis dank dem Partei-Konzern NSDAP aufzubauen. Ein sehr deutsches Vorbild für die abgeschotteten Eventzonen moderner Medienkonzerne, die multimedial vermarktbare Blockbuster mit Themenparks verkoppeln.

Nachspiel: "Impressionen unter Wasser"

Vor dem Delphi Filmtheater sind zwei junge Frauen verabredet zur Premiere von Leni Riefenstahls neuem Film "Impressionen unter Wasser", der gut eine Woche vor dem Geburtstag in Berlin Kino- und dann bei ARTE TV-Premiere hat. "Riefenstahl ist echt eine Entdeckung," erklärt die eine der anderen, "die Independentfrau des deutschen Films. Und jetzt wird Jodie Foster, ja, die mit dem Kannibalen-Monster Hannibal Lecter, die Riefenstahl in einem amerikanischen Film spielen." Das ist zeitgerecht. Der Berliner Kinobesitzer hält eine nüchterne Ansprache, bis zuletzt habe man um die rechtzeitige Fertigstellung und Lieferung der Kinokopie gebangt. Frau Riefenstahl sei nicht anwesend, aber der Film könne jetzt ablaufen. Die hochbetagte schlanke Taucherin dümpelt an den bunten Korallenriffen in aller Welt entlang und spürt vielgestaltig-bunte Fischexemplare, skurrile Schnecken und Krebse auf, die den braunen Muränen von gestern die Zähne reinigen. Zögerlich flirtet sie mit einem Rochen und neckt die kleinen Haie. Von dem Unterwasserfilm, an dem gleichsam "alle französischen Impressionisten" (ARTE) mitgearbeitet hätten, einem bunten Fisch-Parteitag, ist allerdings nicht so viel zu spüren. Es handelt sich eher um ein intim-schläfriges, eintönig beleuchtetes Home-Video, gedreht unter Mitarbeit des Lebensgefährten Horst Kettner. Zaghafter Applaus des Berliner Publikums. Am Ende entschwebt Leni Riefenstahl aus der Froschperspektive ins helle Licht an der Wasseroberfläche. Mitten in der Bewegung löscht eine Überblendung die Akteurin aus. Ein letzter filmtechnischer Gruß im Übergang in die Ewigkeit.