Die falsche Alternative für die Bahn
- Die falsche Alternative für die Bahn
- Zur inneren Struktur des Konzerns Deutsche Bahn AG
- Welche Art Infrastrukturgesellschaft macht Sinn?
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Der Forderung nach einer "Bahn-Zerschlagung" versus einer "integrierten Bahn" erhält den zerstörerischen Status. Ein Plädoyer für eine differenzierte Sicht
Dass der Konzern Deutsche Bahn AG ein trauriges Bild abgibt, dürfte unbestritten sein. Das sollte in diesen Tagen der heftigen Bahn-Debatten erneut klargestellt werden: Der Konzern ist überschuldet. Er muss in immer stärkerem Maß mit Steuergeld alimentiert werden. Der Service lässt zu wünschen übrig. Geschlossene Schalter, vernagelte Bahnhöfe und nach Urin stinkende Unterführungen prägen vielerorts das Infrastruktur-Bild.
Der Konzern agiert als Gewerkschaftsfeind und kassiert damit Streiks, die er sich erneut mit Steuergeld bezahlen lässt. An seiner Spitze werkelt mit Richard Lutz und Ronald Pofalla eine Chaos-Truppe. Dass bei diesen Voraussetzungen die vier Feinde der Schiene – Frühling, Sommer, Herbst und Winter – immer wieder aufs Neue zuschlagen können, liegt nahe.
Vor diesem Hintergrund sollten alle, die die Bahn lieben, für radikale Vorschläge offen sein. Mit einem "Weiter so" spielt man Daimler, VW, BMW, Tesla und Lufthansa neue Argumente zu; die miese Performance der Schiene bestärkt die klimazerstörerischen Verkehrsarten. Wer auf die Forderung der Monopolkommission nach "Zerschlagung" des Bahnkonzerns mit der Forderung nach einer integrierten Bahn nach Vorbild Schweiz antwortet, wird leicht wahrgenommen als im Lager der Verteidiger des Status quo stehend.
Die Forderung nach einer Zusammenführung der Infrastrukturgesellschaften und des Aufbaus einer gemeinnützigen Infrastrukturgesellschaft in öffentlichem Eigentum ist, wie von Rainer Balcerowiak auf dieser Plattform dargelegt, grundsätzlich nicht falsch. In Verbindung mit Konkretisierungen bietet sie Chancen auf einen Neuanfang im Bereich Schiene.
Das Ideal des integrierten Systems Schiene
Unbestritten ist: Das ideale System Schiene ist ein integriertes Gesamtsystem in öffentlichem Eigentum. Die Schweiz macht es vor. Wobei es dort eine Vernetzung des "integrierten Konzerns" der Schweizerischen Bundesbahnen (SBB), der knapp 60 Prozent des Schienennetzes kontrolliert, mit Dutzenden "Privatbahnen" gibt. Letztere kontrollieren ihrerseits Teile des Schienennetzes; sie befinden sich weitgehend in kantonalem, also ebenfalls in öffentlichem Eigentum.
Auf dieser Basis und mit dieser Struktur ist es der Schweiz gelungen, über das dichteste Schienennetz der Welt zu verfügen, den im internationalen Vergleich dichtesten Taktverkehr und die erneut weltweit höchste Eisenbahn-Kilometerzahl pro Kopf zu realisieren. Dieses Ziel müssen sich alle, die eine konsequente Verkehrswende wollen, immer wieder vor Augen halten und sich ein solches Ziel für den deutschen Schienenverkehr setzen.
Und hier gibt es in diesem Kreis keine Meinungsverschiedenheit. Differenzen gibt es bei dem Weg, wie man in Deutschland bei der inzwischen herausgebildeten Schienenverkehrslandschaft zu diesem Ziel gelangt.
Realität heute – Entwicklung 1995 bis 2021
Nach der Wende und im Zeitraum 1990 bis 1994 gab es die Chance, das Schweizer Modell auf deutschem Boden umzusetzen. Diese Chance wurde mit der sogenannten Bahnreform von 1994 – der Bildung der Deutschen Bahn AG - grandios verspielt. Dafür ist auf der politischen Ebene eine große Privatisierer-Koalition aus CDU/CSU, SPD, FDP und Grünen - unterstützt von der Mehrheit der Umweltverbände - verantwortlich.
Wirtschaftspolitisch waren es die Autolobby und die Luftbranche, die diese Option zerstörten. Das wurde dann nochmals gesteigert, als 1999 die SPD-Grünen-Regierung mit Autokanzler Gerhard Schröder an der Spitze einen gewissen Hartmut Mehdorn zum Bahnchef machten. In der Folge wurde der Bahnbörsengang unter Rot-Grün und ab 2015 unter Schwarz-Rot systematisch vorangetrieben. Übrigens hat Mehdorn damals die sachlich unzutreffende Behauptung von der "nicht auflösbaren Einheit Rad und Schiene" aufgebracht.
Und warum wohl? Er wollte den Bahnbetrieb UND das Schienennetz an die Börse bringen. Zwar scheiterte dieses Projekt erfreulicherweise im September 2008; Anteil daran hatten Peter Conradi mit seiner Rede auf dem SPD-Parteitag im Oktober 2007, der das SPD-Nein zu dieser Art Bahn-Börsengang brachte, ein GDL-Streik 2007/2008, ein ICE-Radbruch im Juli 2008 in Köln, die Kampagne von Bahn für Alle und der Finanzcrash im Sommer dieses Jahres.
Der Prozess von erstens Segmentierung der Bahngesellschaften, zweitens Teilprivatisierung im Betrieb und drittens Pervertierung des Konzerns Deutsche Bahn AG setzte sich auch nach 2008 fort. Im Resultat haben wir heute im Nahverkehr einen Anteil der Nicht-DB-AG-Bahnen (private und öffentliche) von mehr als 40 Prozent. Im Schienengüterverkehr sind es um die 50 Prozent. Und diese Nicht-DB-AG-Betreiber fahren alle auf einem Netz, das weiterhin zu rund 100 Prozent dem Konzern Deutsche Bahn AG gehört.
Selbst wenn am 26. September 2021 Rot-Grün-Rot gewählt worden wäre, selbst wenn ein Verkehrsminister Toni Hofreiter dann seine Leidenschaft für E-Pkw zurückgestellt und eine Bahnwende nach dem Modell Schweiz eingeleitet hätte und selbst wenn Dietmar Bartsch freiwillig auf seinen Audi 8 mit 250 PS und eigenem Chauffeur verzichtet und einen Schnellkurs in Bahn- und Öffi-Fahren belegt hätte, hätte das einen Prozess von rund einer Dekade bedeutet.
Wobei selbst unter solchen politischen Prämissen eine Ausgliederung der Infrastruktur aus dem Konzern DB AG eine sinnvolle Option gewesen wäre. Hätte, hätte, Schienenfette … So kam es nicht. Umso weiter entfernt sind wir derzeit von einem SBB-Modell.