Die falsche Alternative für die Bahn

Seite 3: Welche Art Infrastrukturgesellschaft macht Sinn?

Wer in der gegebenen Lage, in der sich in Deutschland das System Schiene im Allgemeinen und der Konzern Deutsche Bahn AG befinden, grundsätzlich an der "Integration" der Infrastrukturgesellschaften im Konzern Deutsche Bahn AG als Sofortziel festhält, wird mit einiger Berechtigung identifiziert mit der Verteidigung des katastrophalen Status quo.

Wenn die FDP die Trennung fordert, so hat sie dafür spezifische Gründe. Es geht um "maximalen Wettbewerb" und um Privatisierungen. Wenn CDU/CSU, SPD, AfD, Bundesverband der Arbeitgeber (BdA), Bundesverband der Industrie (BDI) und der Vorstand der Deutschen Bahn AG den "integrierten Konzern" verteidigen, dann verbinden diese damit wiederum spezifische Interessen.

Es geht dann meist um Global Player-Politik, wobei die Vergangenheit gezeigt hat, dass die Privatisierungstendenzen im Inland sich ja auch bei Existenz eines integrierten Konzerns verstärken können. In Italien ist es sogar ausgerechnet der integrierte Konzern FS, der das Entstehen der privaten Konkurrenz NTV mit deren Hochgeschwindigkeitszügen "Italo" gefördert hat.

Aus fortschrittlicher Sicht macht die Herauslösung der Infrastruktur aus dem Konzern DB AG Sinn, wenn dies an konkrete Bedingungen geknüpft wird. Solche Bedingungen sind:

Die Zusammenfassung der drei Infrastrukturgesellschaften Netz, Bahnhöfe und Energie in einer einheitlichen Gesellschaft, die umfassend für alle Infrastruktur-Aspekte (Netz, Bahnhöfe, Fahrplan, Ticketing usw.) verantwortlich ist und die damit sich in Deutschland zum entscheidenden "Unternehmen Zukunft Schiene" entwickelt.

Diese neue Infrastrukturgesellschaft muss eine gemeinnützige Unternehmensform erhalten (z.B. Anstalt des öffentlichen Rechts) und sich in Gänze in öffentlichem Eigentum befinden. Sie darf nicht einem Ministerium oder der Bundesregierung unterstellt und damit Spielball der Launen und der spezifischen Parteiinteressen ausgesetzt werden.

Die neue Infrastrukturgesellschaft muss ein Unternehmensstatut aufweisen mit der klaren, primären Zielsetzung "Verlagerung von Verkehre auf die Schiene" - was etwas anderes ist als die abstrakte und unter bestimmten Bedingungen das Klima schädigende Forderung nach "Verdopplung" der Fahrgast-Zahlen. Dies erfordert eine massive Reduktion der Entgelte für Trassen und Bahnhofsnutzung und niedrigere Preise für den Bezug von Energie.

Notwendig ist ein grundsätzliches Verbot des Verkaufs von Bahnimmobilien und von Bahngelände; ergänzt um ein Programm zur Reaktivierung von Bahnhöfen beziehungsweise zum Rückkauf privatisierter Bahnhöfe und deren Wiederbelebung.

Die neue Infrastrukturgesellschaft muss alle Großprojekte auf den Prüfstand stellen und für umfassende Transparenz sorgen. Bahnzerstörerische oder kontraproduktive Projekte wie Stuttgart 21, die Verlegung des Bahnhofs Altona nach Diebsteich, der Bau eines 40 Meter tiefen Frankfurter Fernbahntunnels, die 300-km/h-Hochgeschwindigkeitsstrecke Hannover - Bielefeld oder der Bau einer zweiten S-Bahn-Stammstrecke müssen aufgegeben und die hier vorliegenden Alternativen geprüft werden.

Jede Orientierung auf "mehr Wettbewerb auf der Schiene" ist abzulehnen. Dies gilt dabei insbesondere für eine entsprechende Öffnung im Schienenpersonenfernverkehr. Stattdessen muss der Bund als Eigentümer der DB AG, die dann ein reines Eisenbahnverkehrsunternehmen ist, für einen optimalen, einheitlichen Schienenfernverkehr Sorge tragen und unter anderem das im Grundgesetz Artikel 87e, Absatz 4, seit 1993 geforderte Schienenpersonenfernverkehrs-Gesetz auf den Weg bringen. Gift im System Schiene ist nicht eine getrennte Infrastrukturgesellschaft, sondern der sogenannte Wettbewerb und der buntscheckige Flickenteppich mit einzelnen Privatbahnen.

Ein konkreter, ehrgeiziger Zeitplan zur 100-Prozent-Elektrifizierung des gesamten Schienennetzes muss erarbeitet und umgesetzt werden.

Die Deutsche Bahn muss alle Auslandsbeteiligungen, insoweit sie nicht dem direkt grenzüberschreitenden Verkehr dienen, verkaufen und sich auf den Kernbereich Bahnverkehr im eigenen Land konzentrieren.

Der Erhalt der Arbeitsplätze und die Schaffung neuer Arbeitsplätze in Bereich Schiene sind zu gewährleisten; Infrastrukturgesellschaft und Betreibergesellschaften sind auf eine gedeihliche Zusammenarbeit mit den Bahngewerkschaften und auf die Einhaltung hoher Standards zu verpflichten.

Mit solchen präzisen Positionen müsste in die aktuelle Debatte zur Zukunft der Schiene eingegriffen werden. Bestehende Bündnisse wie Bahn für Alle, die Bahngewerkschaften EVG und GDL, Umwelt- und fortschrittliche Verkehrsverbände wie VCD, PRO BAHN und BUND und bahnfreundliche Parteien wie Grüne, LINKE und SPD wären gefordert, sich mit einem solchen Modell im Schienenverkehr auseinanderzusetzen beziehungsweise dafür zu werben.

Ein solches Modell wiederum wäre eine neue Startbasis, um ein zukünftig wieder einheitliches Schienensystem komplett in öffentlichem Eigentum und nach dem Vorbild Schweiz zu planen. Die Herausbildung von Länderbahnen bzw. die Stärkung derselben mit Übernahme privater EVUs (Stichwort: Abellio-Pleite) weisen in diese Richtung.

Unrealistisch? Aber klar doch!

Sind solche Forderungen und Perspektiven ein Wunschkonzert? Natürlich! Konsequente Politik besteht immer auch aus einem Katalog von Forderungen und Wünschen. Es ist auch nicht realistisch, dass die neoliberale FDP und wettbewerbs-orientierte Grüne diesen Forderungen von sich aus zustimmen würden.

Dieses Wunschkonzert hat jedoch einen guten Klang - und es kann die Basis dafür sein, alle Menschen guten Willens in Sachen Klima und Verkehrswende zu versammeln und laut und mit Aktionen für eine Klimabahn zu werben. Umgekehrt birgt die Forderung, jetzt in Richtung eines SBB-Modells zu schreiten, so richtig sie grundsätzlich ist, das Risiko in sich, als überfordernd zu wirken.

Damit trägt man eine richtige, aber in der gegebenen Situation abstrakte Forderung vor sich her und begibt sich der Chance, die Realitäten im Schienennetz wahrzunehmen, auf diese konkret zu reagieren und sich in die konkrete Politik einzuklinken.

Im Grunde steht auf der Tagesordnung eine breit angelegte Konferenz zur Notwendigkeit einer Verkehrswende mit der Schiene im Zentrum, auf der die unterschiedlichen Positionen – natürlich einschließlich des Modells SBB – diskutiert werden und mit der Druck auf die Ampel ausgeübt wird.