Die falsche Alternative für die Bahn

Seite 2: Zur inneren Struktur des Konzerns Deutsche Bahn AG

Der Konzern DB AG ist intern faktisch in drei große Gruppen unterteilt: Erstens in die drei Eisenbahnverkehrs-Unternehmen (EVUs) der DB AG; alle drei sind Konzerntöchter und alle drei sind als eigenständige Aktiengesellschaften aufgestellt. Es handelt sich dabei um DB Regio AG (Nahverkehr), DB Fernverkehr AG (mit den Zuggattungen ICE, IC/EC) und DB Cargo AG (Schienengüterverkehr).

Zweites gibt es die überwiegend außerhalb des Bereichs Schiene aktiven Gesellschaften Schenker AG (Logistik; Lkw-Speditionsgeschäft) und Arriva plc (Bus und Bahn), wobei Schenker überwiegend und Arriva ganz im Ausland tätig sind.

Schließlich gibt es die drei Infrastrukturgesellschaften DB Netz AG (Trassen), DB Station und Service AG (Bahnhöfe) und DB Energie GmbH (Strom und Diesel). Die drei DB-AG-Betreibergesellschaften verlieren von Jahr zu Jahr Anteile an die "Privaten".1

Die "Privaten" – die Nicht-DB-AG-EVUs – sind jedoch weiter komplett von den drei Infrastrukturgesellschaften der DB AG abhängig. Sie müssen also für die Trassennutzung, für Bahnhofshalte und für Energie hohe Summen an den Bahnkonzern – der zugleich ihr Konkurrent ist – bezahlen.

Diese Struktur führte einigermaßen logisch dazu, dass der Bahnkonzern mit ständig höheren Entgelten für Trassen und Bahnhofsnutzung und mit überhöhten Energiepreisen eine Gewinnmaximierungsmaschine angeworfen hat - und dass er im Grunde dann besonders viel verdient, wenn er dabei die hohen Entgelte von NICHT-DB-AG-EVUs erhält. Wenn überhöhte Trassengebühren z.B. von DB Fernverkehr oder DB Cargo bezogen werden, dann gilt "linke Tasche - rechte Tasche": den höheren Gewinnen bei DB Netz stehen meist geringere Gewinne oder gar Verluste bei DB Fernverkehr gegenüber.2

Wenn jedoch Nicht-DB-AG-EVUs diese hohen Infrastrukturentgelte bezahlen, dann sind das ungeschmälerte Gewinne des Konzerns DB AG. Für den Bahnkonzern gibt es somit eine widersprüchliche Interessenlage; hohe Anteile der eigenen Konzerntöchter DB Regio, DB Fernverkehr und DB Cargo im jeweiligen Verkehrsmarkt sind eher sekundär. Die Gewinne sprudeln genauso gut und oft besser, wenn die "Privaten" - die Nicht-DB-AG-EVUs - wachsende Marktanteile haben. Dann gilt: linke Tasche und rechte Tasche füllen sich.

Und so kommt es zu einer verstörenden Gesamtbilanz im Bahnkonzern. Seit mehr als 15 Jahren sind die Infrastrukturgesellschaften die entscheidenden Gewinnbringer. Die von ihnen den EVUs abverlangten Entgelte sind oft so hoch, dass sie als Schienenverkehr behindernd oder sogar als Schienenverkehr verhindernd bezeichnet werden müssen. Konkret: 2019, im Jahr vor Corona, machten die drei EVUs der DB insgesamt 585 Millionen Euro Gewinn. Die drei Netzgesellschaften jedoch brachten es auf 1060 Millionen. Im Corona-Jahr 2020 häuften dann die drei DB-AG-EVUs Verluste in einer Höhe von 2860 Millionen Euro auf. Doch die drei Infrastrukturgesellschaften machten selbst in diesem Jahr noch 438 Millionen Euro Gewinne.3

Dass auch 2020 diese Gewinne im Infrastrukturbereich zustande kamen, indem in starkem Maß von minimal ausgelasteten Personenzügen die Trassengelder, die Bahnhofsentgelte und die Energierechnungen ohne Abzüge kassiert wurden, lässt die Vorstände der DB-Infrastruktur-Gesellschaften kalt. Gewinn ist Gewinn - und für die Verluste bei den DB-Betreibergesellschaften kommt gegebenenfalls erneut der Steuerzahler über Sonderzuwendungen wegen Pandemie auf.

Größter Netzabbau in 186-jähriger Geschichte der deutschen Eisenbahn

In der inneren Logik des Bahnkonzerns gibt es keine relevanten Stimuli für den Erhalt, die Pflege und den Ausbau des Netzes. Im Gegenteil. Infrastrukturkosten sind Sand im Getriebe der beschriebenen Gewinnmaschine.

Es ist daher vorwiegend die beschriebene Struktur des DB-Konzerns, die dazu beiträgt, dass das Schienennetz systematisch zerstört wird. Die Tatsache, dass seit 1994 die Betriebslänge des Netzes von 41.300 auf (am 31.12.2020) 33.399 Kilometer und damit um 7901 Kilometer, was wiederum 19,1 Prozent entspricht, abgebaut wurde, ist bereits Europa-Rekord. Bei den wichtigeren Indikatoren wie Zahl der Weichen (minus 50,2 Prozent) und Zahl der Gleisanschlüsse (minus 80,2 Prozent) könnte es sich um Weltrekorde handeln.4

Diese Zerstörung von Schieneninfrastruktur ist auch in der deutschen Eisenbahngeschichte - die Kriegszeiten ausgenommen - einmalig. Eine Beibehaltung dieses Status quo wird logisch dazu führen, dass dieser Prozess der Selbstzerstörung sich fortsetzt. Es gab seit 1994 buchstäblich kein einziges Jahr, in dem diese Schieneninfrastruktur nicht abgebaut worden wäre.5

Integriert und Trennung von Netz und Betrieb – internationaler Vergleich

Es ist mit Fakten nicht belegbar, dass ein integriertes System Schiene prinzipiell vorteilhaft sei im Vergleich zu einem System, in dem Netz und Betrieb in getrennten Gesellschaften organisiert sind. Das zeigt ein Vergleich zwischen fünf europäischen Ländern mit "integrierten" Eisenbahngesellschaften (Deutschland, Frankreich, Italien, Österreich und Schweiz) und fünf Ländern, in denen es eine staatliche Infrastrukturgesellschaft und davon getrennte EVUs gibt (Spanien, Großbritannien, Niederlande, Schweden und Dänemark).

Personenverkehr in Millionen Personenkilometern in zehn europäischen Ländern10 – fünf mit „integrierten“ Bahnkonzernen und fünf mit einer Trennung von Netz und Betrieb.12

1995 2000 2010 2017 Wachstum 2017
gegenüber 1995
Wachstum 2017
gegenüber 2000
in Mio. Pkm Wachstum in Prozent
Länder mit integrierten Eisenbahnen
Deutschland 71,0 75,4 83,9 95,8 34,9 27,1
Frankreich 46,8 74,9 92,4 100,1 113,8 33,6
Italien 46,7 49,6 47,2 53,2 13,9 7,2
Österreich 10,1 8,7 10,3 12,7 25,7 45,9
Schweiz 11,7 12,6 19,2 20,9 78,6 65,8
Länder mit unabhängiger, staatlicher Infrastrukturgesellschaft *
Spanien 16,6 20,1 22,5 27,5 65,7 38,6
Großbritannien 30,3 38,4 55,8 68,6 127,4 79,4
Niederlande 16,1 14,7 16,9 18,4 14,2 25,2
Schweden 6,8 8,2 11,2 13,3 95,6 62,2
Dänemark 4,9 5,5 6,3 6,3 28,6 14,5
* Die Trennung in einen teilprivatisierten Betrieb und in ein staatliches Netz erfolgte jeweils wie folgt: in Spanien 2005, in Großbritannien 2001 (1996 bis 2001 = auch Netz privat); Niederlande 2003; Schweden 1988 und Dänemark 1996.

Bei dem Vergleich schneidet die zweite Gruppe - jene mit einer staatlichen, unabhängigen Infrastrukturgesellschaft - nicht schlechter ab als diejenige, in denen es einen führenden Bahnkonzern mit integriertem Netz gibt. Bezieht man Eisenbahn-Unfälle mit ein, so ergibt dies ein ähnliches Bild - und keinerlei Vorteil für die "integrierten" Eisenbahnen.

Nimmt man gar die Entwicklung der Infrastruktur als entscheidenden Indikator, so gab es ausgerechnet in den Ländern Deutschland, Frankreich und Österreich den größten Netzabbau; und auch im Vergleich beider Gruppen miteinander in Gänze ist bei diesem Indikator die Bilanz für die Schienensysteme mit Trennung von Netz und Betrieb die bessere.16

Schließlich lohnt ein Blick auf die zerstörerischen und unnützen Großprojekte, von unseren italienischen Freundinnen und Freunde als "grandi opere inutili e imposte" bezeichnet: Solche gibt es vor allem in Ländern mit integrierten Eisenbahnen - siehe Stuttgart 21, Val di Susa, Brenner-Basis-Tunnel, möglicherweise weil es hier weit weniger Transparenz und damit die Möglichkeiten gibt, gigantische Summen an Steuermilliarden in Beton zu gießen.

Übrigens: Sieht man von dem Sonderfall Großbritannien ab17, so erfolgte die Trennung von Netz und Betrieb in den aufgeführten Ländern ohne größere Probleme und jeweils binnen weniger Monate. Die Behauptung, ein solcher Trennungsprozess würde viele Jahre dauern, lässt sich nicht belegen.

Das sind, wohlgemerkt, keine grundsätzlichen Argumente für die Trennung. Beschrieben wird mit diesen Fakten der unterschiedliche Weg der Zerstörung integrierter Eisenbahnen, wie es diesen in Europa spätestens seit Mitte der 1990er-Jahre gibt. Und in diesem Segmentierungsprozess gibt es - vorsichtig ausgedrückt - keine Vorteile für diejenigen Systeme, in denen der integrierte Bahnkonzern erhalten und Monopolist der gesamten Infrastruktur blieb.