Die geimpfte Gesellschaft: Island auf der Suche nach dem neuen Kurs

Seite 2: Kein Rezept für die geimpfte Gesellschaft

Es gebe kein Rezept für den Umgang mit Covid-Infektionen in einer geimpften Gesellschaft, sagte Ministerpräsidentin Katrín Jakobsdóttir zum isländischen Fernsehsender RÚV. Die isländische Regierung war in ihrer Coronapolitik weitgehend den Empfehlungen ihrer ärztlichen Direktorin, dem Chefepidemiologen und dem Zivilschutz gefolgt, und so auch jetzt.

Zunächst bleibt man vorsichtig: Seit Sonntag gilt wieder eine Obergrenze für Versammlungen von 200 Personen. Dadurch musste beispielsweise das Þjóðhátíð -Festival auf den Westmännerinseln nur wenige Tage vor dem Start eingestellt werden. Es gilt wieder eine Maskenpflicht in Innenräumen, der Abstand von einem Meter und Schwimmbäder oder Campingplätze dürfen nur bis zu 75 Prozent ihrer Kapazität besetzt werden.

Auch Geimpfte werden nun in Quarantäne geschickt, was nicht gut ankommt. Die ärzliche Direktorin Alma Möller will aber verfolgen, wie viele der Geimpften schwer krank werden - danach sollten die Maßnahmen zukünftig ausgerichtet werden. Sollte es nur sehr wenige treffen, könne man wieder lockern und lernen, mit dem Virus zu leben.

Aber was genau heißt das: "Mit dem Virus leben?" Das RKI nennt eine Impfquote von 85 Prozent der 12-59-Jährigen und 90 Prozent der über 60-Jährigen als Ziel für die Impfkampagne. Was, wenn das Impfziel erreicht ist, aber das Virus immer noch kursiert?

Island ist ziemlich nah an diesem Ziel. Zum Herbst werden auch die letzten über 16 ihre zweite Dosis bekommen haben. Lediglich unter 16 Jahren wurden bisher nur Risikogruppen geimpft, knapp 9 Prozent. Die Impfung von jungen Menschen unter 16 ist auch umstritten, weil Junge ein vergleichsweise geringes individuelles Risiko haben.

"Die Impfungen sollten uns da rausholen. Aber nun ist klar, dass sich das Virus auch unter Geimpften ausbreitet. Es bleibt abzuwarten, ob durch die Impfung schwere Krankheiten verhindert werden können," so Þórólfur Guðnason zu RÚV.

Schütze der Impfstoff zumindest gegen schwere Krankheit, müsse man langfristig darüber nachdenken, wie Infektionsschutzmaßnahmen im Inland und Grenzkontrollen künftig aussehen werden. Der vorsichtige Epidemiologe will aber noch keine Prognose dazu abgeben.

Weg von den Inzidenzen

Um die Inzidenz als Richtwert für alles gibt es inzwischen auch in Deutschland eine Diskussion, siehe Coronavirus: Streit um Inzidenzwerte als "Mutter aller Zahlen". Premierministerin Katrín Jakobsdóttir verweist auf Vorschläge, Reisebeschränkungen künftig eher an der Zahl der schwer Erkrankten als an der Zahl der Infizierten auszurichten.

Reisemöglichkeiten sind für das vom Tourismus abhängige Land ein wichtiger Faktor - dass es auf der Karte des europäischen Zentrums für Prävention und Kontrolle von Krankheiten seinen grünen Status verloren hat, ist keine gute Werbung.

Noch ist nicht klar, welchen Weg Island weiter gehen wird. Es lohnt sich aber, die Insel im Auge zu behalten, auch wenn man sich nicht für Vulkane und heiße Quellen interessiert - denn nirgendwo sonst kann man jetzt schon beobachten, wie es nach dem Erreichen des Impfziels weitergehen kann.

Zu Corona auf Island: Island war früh davon betroffen, da einige Skiurlauber das Virus aus Ischgl mitbrachten. Dank des privaten Genlabors DeCode vor Ort (isländische Gründung, heute Teil von Amgen) gab es von Anfang an zusätzliche Fachkompentenz und Laborkapazitäten im Land, auch wenn die Kooperation nicht immer konfliktfrei verlief.

Island hatte auch schnell eine selbst entwickelte Kontaktverfolgungs-App. Die Maske spielte in der ersten Welle wie in vielen nordischen Ländern noch keine Rolle, wurde aber in der sehr frühen zweiten Welle als Hilfsmittel eingeführt. Insgesamt wurden auf Island 7676 Corona-Infektionen nachgewiesen. 30 Menschen sind in dem Zusammenhang gestorben.