Die große Katalanen-Hatz findet auch im Internet statt
Die paramilitärische Guardia Civil hat inzwischen mehr als 140 Webseiten gesperrt, der Chef der katalanischen Polizei unterwirft sich nicht deren Kontrolle
"Wir orientieren uns an modernen Staaten, andere schließen wie Nordkorea Webseiten", hat der katalanische Regierungssprecher Jordi Turull am Dienstag zur Tatsache erklärt, dass die spanische Guardia Civil nun schon mehr als 140 Webseiten geschlossen hat. Die beruft sich auf eine Art Blanko-Erlaubnis des Obersten Gerichtshofs, der den Paramilitärs am vergangenem Freitag das Recht zugestanden hatte, eine Webseite zu schließen, die für das Referendum am kommenden Sonntag wirbt. Dessen Durchführung hat das Verfassungsgericht vorläufig ausgesetzt, womit es faktisch verboten ist.
Eine Prüfung durch einen Richter, ob die Vorwürfe überhaupt stimmen, gibt es bei dieser Einschränkung der Meinungsfreiheit in Spanien nicht. Auf den geschlossenen Webseiten ist auch in englischer Sprache - allerdings nicht in katalanischer - zu lesen, dass die Justiz interveniert hat.
Betroffen war auch die Webseite der Katalanischen Nationalversammlung (ANC). Sie ist aus Spanien nicht mehr erreichbar, insofern nicht der Tor-Browser oder VPN benutzt wird, um eine IP-Adresse aus dem Ausland vorzugaukeln. Neu ist das spanische Vorgehen nicht, auch die offizielle Webseite des Referendums wurde schon blockiert, eine Zeitung gestürmt und den Medien insgesamt ein Maulkorb zum Referendum angelegt.
Die Netzsperren haben ohnehin nur eine begrenzte Bedeutung. Die Seiten ziehen schnell um und sind auch aus Spanien ohne Hilfsmittel damit schnell wieder erreichbar. Die ANC-Seite ist über https://assemblea.eu/ und die Seite des Referendums ist über Wikileaks weiter zugänglich. Die Organisation von Julian Assange hilft, die Zensur zu umgehen. Über Twitter wurde ein neuer Hashtag geschaffen: #HolaDictadura.
Der ANC-Präsident Jordi Sànchez hat zu den Websperren erklärt, dass seine Organisation nicht einmal von der Schließung informiert worden sei. Die Organisation vermutet, dass über die Internet-Provider der Zugang zu den Seiten blockiert wird. "Wir haben es mit einer Entscheidung zu tun, die direkt die Meinungsfreiheit angreift." Es sei eine weitere "Absurdität" der rechten spanischen Regierung unter Mariano Rajoy, die versuche, "Türen auf das offene Feld zu setzen".
Für den Regierungssprecher Turull ist klar, dass am kommenden Sonntag abgestimmt wird, egal wie "kriegerisch" sich Spanien auch aufführe. Damit spielte er auch auf die Verabschiedung von Einheiten der Guardia Civil an, die nun in Richtung Katalonien verlegt werden. Dabei kommt es zu einer spanisch-nationalistischen Mobilisierung. Zum Teil werden auch spanische Fahnen geschwenkt, auf denen faschistische Symbole, wie leicht veränderte Hakenkreuze, zu sehen sind. Dazu werden kriegerische und nationalistische Lieder angestimmt.
"Verdeckter Ausnahmezustand"
Der Chef der katalanischen Regionalpolizei lässt sich weiterhin nicht unter die Kontrolle der Guardia Civil stellen, wie es das Ministerium für Staatsanwaltschaft angeordnet hat. Der Chef der Mossos d'Esquadra, der sich nach den Anschlägen in Barcelona und Cambrils auch international Prestige erworben hat, ist gestern nicht beim ersten Treffen erschienen. Sein Vertreter hat es zudem frühzeitig verlassen.
In einem fünfseitigen Schreiben erklärt der Mossos-Chef Josep Lluís Trapero, dass es einen "Kompetenzkonflikt" gäbe. Die Kontrolle durch den Oberst der Guardia Civil zu akzeptieren, "bedeutet de facto", die Kompetenzen der Regionalregierung zu entziehen, die legal an sie übertragen wurden, schreibt Trapero. Diese Einschätzung wird auch von namhaften Juristen geteilt.
Der Versuch, neben den Finanzen der katalanischen Regierung auch die Kontrolle über die Polizei zu entziehen, wertet diese als verdeckten Ausnahmezustand, womit Spanien gegen eigene Gesetze und die Verfassung verstoße. Die katalanische Regierung hat Rechtsmittel angekündigt, da die Anweisung, die Mossos unter die Kontrolle der Paramilitärs zu stellen, von der Staatsanwaltschaft kam, die dafür keine Kompetenzen habe, wie der Regierungssprecher meint. Die Staatsanwaltschaft sei weder "Sheriff noch Richter".
In der EU-Kommission hüllte man sich zur Katalonien-Frage weiter weitgehend in Schweigen. Auch zu der Schließung und Sperrung von Webseiten wollte man am Dienstag in Brüssel nichts sagen. Allerdings hat die Kommission eine Antwort versprochen. Die katalanische Regierung hatte sich per Brief zuvor an den Vizepräsidenten der Europäischen Kommission Andrus Ansip gewandt. Der Kommissar für den digitalen Binnenmarkt muss sich mit deren Anschuldigung auseinandersetzen, Spanien übe "Missbrauch und Zensur" im Internet aus.
Derweil hofft der spanische Regierungschef auf Unterstützung in Washington. Rajoy trifft sich heute in den USA mit Donald Trump. Das Treffen findet vor dem Hintergrund statt, dass die Sprecherin des State Departments sich kürzlich so geäußert hatte, dass die USA sogar die Anerkennung eines unabhängigen Kataloniens nicht ausschließe. Dass dieser Punkt im Vorfeld aus der offiziellen Tagesordnung aber ausgeklammert wurde, weist nicht gerade auf eine Unterstützung für Rajoy hin. Allerdings ist Trump zuzutrauen, der bei praktisch allen Wahlversprechen schon umgefallen ist, dass er sich auch in dieser Frage zu unbedachten Äußerungen hinreißen lässt.
Die Kritik am repressiven Vorgehen der spanischen Regierung wird stärker
Die Linkspartei Podemos spricht von einer "kriegerischen Logik", mit der "ein Klima geschaffen wird, das nichts Gutes bringen wird". Die christdemokratische Baskisch-Nationalistische Partei (PNV) hat alle Gespräche mit Rajoy und seiner Volkspartei (PP) ausgesetzt, womit die keinen Haushalt für 2018 beschließen kann. Und die spanischen Sozialisten (PSOE) fragen sich, warum man eine Regierung hat, wenn die ihre Aufgaben an die Justiz abtritt. "Diese Krise kann nur von Politikern gelöst werden, die ihren Aufgaben nachkommen, eine Dialog führen und verhandeln", sagte der PSOE-Chef Pedro Sánchez.
Die Richtervereinigung "Richter für die Demokratie" werfen dem von der rechten Regierung eingesetzten Generalstaatsanwalt vor, "völlig unverhältnismäßig" zu agieren. "Die Staatsanwaltschaft ist überzeugt, dass sich der katalanische Regierungschef Carles Puigdemont den Delikten des Ungehorsams, der Rechtsbeugung und der Unterschlagung schuldig macht", hatte Generalstaatsanwalt José Manuel Maza zuvor im Interview erklärt. Man habe bisher keine Inhaftierung gefordert. Doch je nach Lage "ist es offen", auch "Gefängnis für Puigdemont zu fordern". Er denkt über eine Anklage wegen "Aufruhr oder Rebellion" nach. Darauf stehen Haftstrafen von bis zu 15 Jahren. Dieser Vorwurf wird den vergangene Woche festgenommenen Beamten schon gemacht.
Der Sprecher der Richtervereinigung Ignacio González Vega meint, dass Maza mit seinen Aussagen "Grundrechte gefährdet". Es sei weder "opportun noch angemessen" zu sagen, dass Puigdemont inhaftiert werden könne. "Die Worte des Generalstaatsanwalts heizen die Lage nur weiter an." Er nehme eine "klar aggressive" Rolle ein. Die Richtervereinigung bezweifelt auch, dass man es beim Vorgehen der 740 Bürgermeister, die vorgeladen werden, weil sie das Referendum in ihren Gemeinden am Sonntag durchführen wollen, mit "Delikten" zu tun habe. Kritisiert wird, dass die Politik keine Lösungen über Verhandlungen sucht, sondern versucht wird, das Problem über die Justiz gelöst werden soll. "Leider sind heute die Protagonisten, Richter, Staatsanwälte und Polizei."