Die härteste Schule der Welt
Wer in der Wirtschaft von heute zu den Besten zählen will, muss sich in Bagdad behaupten
Faktoren wie "Wildnis", "Gefahr" und "Risiko" sind in der heutigen Zeit längst nicht mehr die dunkle, unterschlagene Kehrseite des Globalisierungstraums. Die vermeintlich abschreckenden Faktoren machen den besonderen Kick aus: Sie sind der Widerstand, gegen den sich nur die Besten und Stärksten in der Wirtschaft durchsetzen, also gewissermaßen der Maßstab für Leistungen in der Disziplin namens Ökonomie.
Es ist vielleicht ein Zufall, aber einige der hartgesottensten Vertreter dieser Business-Attitüde stammen aus England. "Control Risk Group" ist zum Beispiel ein Unternehmen für Sicherheitsberatung, das seit geraumer Zeit ein Jahrbuch namens "RiskMap" veröffentlicht und Unternehmen einen Überblick über zukünftige Trends im Bereich globaler Unternehmensrisiken bietet.
Was die Klientel des 1975 gegründeten Unternehmens - 70 Firmen aus der Fortune-100-Liste; in Deutschland sind es ein großer Teil der Dax-Unternehmen - in die Hand bekommt, ist eine Art Wettervorhersage. Die Nachrichten, die die "RiskMap" jedes Jahr verbreitet, sind eigentlich immer besorgniserregend. In kaum einer Region herrscht kein Risiko. Allerdings ist "Control Risk Group" nicht das Auswärtige Amt.
Die "RiskMap" warnt ihre Leser nicht, sie versteht sich vielmehr als eine Art Reiseführer für Konzerne. "Control Risks" macht seinen Kunden Mut: Nein, so der Tenor, es gibt keinen Grund vor Krisenregionen zurückzuschrecken. Bestehend aus einer großen, zweiseitigen Weltkarte, Essays, Länderportraits und Grafiken, versteht sich Risikobegrenzung hier als offensive, nicht defensive Haltung.
Eine kleine Minderheit von Firmen zeigt, dass aktive und rigorose Risikomanagement-Programme neue Möglichkeiten eröffnen können. Der Ausgangspunkt der RiskMap' ist, dass wenige - wenn überhaupt irgendeins - dieser Probleme unüberwindbar sind, für Firmen, die voraus denken, sich anpassen und vor allem das Selbstvertrauen haben, ihre eigenen Geschäftsinteressen zu schützen.
Jake Stratton
Eine ähnliche Haltung nimmt auch "The Economist" ein. Die 1843 gegründete, britische Wochenzeitschrift für Wirtschaft, Politik und Kultur hat nach Artikeln wie "Risky Returns", "The Baghdad boom" und "Dangerous work" zuletzt die aufsehenerregende Titelgeschichte "Doing business in dangerous places" veröffentlicht. Auf dem Cover dieser Ausgabe ist nur ein schlichter Reisekoffer zu sehen, überzogen mit offenbar kugelsicheren Metall und einem Camouflage-Muster. Das Gepäckstück als ultimative Ikone aller Absolventen der härtesten Geschäftsschule der Welt.
Mit diesem computergenerierten Image scheint das Traditionsblatt Mut machen zu wollen. Im Leitartikel ist jedenfalls immer wieder von "Geldmachen" und "riesigen Profiten" an gefährlichen Orten die Rede. Insbesondere der Irak wird als "Goldgrube" bezeichnet, der Fall des Lebensmittelproviders KBR als Paradebeispiel angeführt. Im Juni 2004 habe KBR 50.000 Soldaten im Irak versorgen müssen, nur einen Monat später soll das Auftragsvolumen um fast 200% gestiegen sein. Der Beginn einer Erfolgsgeschichte. Als besonders gewinnbringenden Sektoren werden Energie, Kommunikation, Sicherheit, Nachrichtendienst, Transport- und Bauwesen genannt.
Adrenalin ist eine besondere Droge
Eigentlich werden nur Vorteile darin gesehen, Geschäfte an Orten zu machen, die "dodgy" beziehungsweise "nasty" sind. Die Rede ist beispielsweise von besonderen Herausforderungen, die das "Unternehmer-Individuum" (Gilles Deleuze) über sich selbst hinauswachsen lassen: Die Schule des Lebens ist die Berufsschule im Kugelhagel oder, wie Heyrick Bond Gunning, ein DHL-Manager, seine in Buchform gebundenen Erfahrungen betitelt hat: "Baghdad Business School" (Eye Books 2004).
Heyrick Bond Gunning stand Jahre lang im Dienst der Armee, bevor er eine eigene Firma gründete. Er konnte also Erfahrung auf dem Schlachtfeld und in der Geschäftswelt vorweisen, als DHL bei ihm anklopfte, ihn kurzerhand anheuerte und mit einem Auftrag ausstattete, der ihn als ersten Geschäftsmann des Post-Saddam-Irak in die Geschichte eingehen ließ: Er landete nach dem Denkmalsturz mit einem Zelt und einer handvoll Dollar in Bagdad, um eine Zweigstelle des Postunternehmens in der irakischen Hauptstadt aufzubauen.
Ein Jahr blieb Gunning dort, um Geschäfte mit zivilen und militärischen Akteuren abzuschließen. Insbesondere die US-Armee legte einen großen Bedarf an den Tag. DHL konnte viele der im Kriegsgebiet gefragten Dinge einfach schneller liefern. Als sich der Geschäftsmann wieder auf den Heimweg machte, war er bereits Legende. Der "contemporary adventurer, cannily disguised as a quite businessman" (Daily Telegraph) schrieb seine Erfahrungen nieder und avancierte zum gefragten Berater für Unternehmen mit wirtschaftlichen Ambitionen im Nahen Osten.
Geschichten wie seine lassen die Strukturen in der Arbeitswelt des Krisengebiets sehr attraktiv erscheinen. Es scheint, als könne man unabhängig und auf eigene Faust arbeiten, ohne auf Anordnungen von oben warten zu müssen. Ideal für Menschen, die in den Hierarchien klassischer Betriebe verkommen und es vorziehen, "to run things their own way". All das sei nicht nur möglich, es sei vielmehr notwendig, um den Risiken tatkräftig zu begegnen. Gunning: "That was part of the beauty of it."
Dass die Arbeiter diesen Risiken gewachsen sind, scheint sich von selbst zu verstehen. Adrenalin wird als eine besonders attraktive Droge gehandelt, der Eindruck, die lebensgefährliche Situation in Bagdad könnte die Wirtschaftstouristen überfordern, wird durch kaum einen der Berichte auch nur angedeutet. Sollte dieser Umstand doch eintreten, dann nur aufgrund der eigenen Unzulänglichkeiten: Wenn sobald man seinen Kopf zu tief in den irakischen Wüstensand steckt und dadurch den Überblick und auch das Gefühl dafür verliert, wann der Zeitpunkt gekommen ist, zurückzukehren.
Doch selbst dieses Szenario bestätigt den Tenor: Gefahr wird nicht als ein Übel, sondern als eine Notwendigkeit wahrgenommen. Sie gehört einfach dazu und stellt insofern auch kein Extra dar - Gefahrenzulagen sind keineswegs allenthalben üblich. Angestellten von SAFAIR und National Airways Corporation etwa, die kommerzielle Flugverbindungen nach Bagdad anbieten, erheben darauf keinen Anspruch. Dieser Job mache eben mehr Spaß, als zu Hause im Büro zu arbeiten. Gunning zum Beispiel bejaht die Frage, ob er einen solchen Auftrag noch einmal annehmen würde. Mit Blick auf die eskalierende Situation im Irak fügt er hinzu: "But I would negotiate a better package."