Die mechanische Kabelkatze

Autonomer Roboter soll an Hochspannungskabeln entlang krabbeln und Fehler entdecken

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Fehler an Starkstromkabeln fallen bislang erst dann auf, wenn es knallt, Funken sprühen und schließlich durch Kurzschluss ein Totalausfall entsteht. Dann ist es jedoch zu spät: das Malheur ist passiert und eine zeitintensive sowie teure Reparatur wird notwendig. Ein Wartungsroboter soll nun vorbeugend die Leitungen abgehen wie ein Bahnarbeiter das Schienennetz, um Fehlstellen zu entdecken.

Alexander Mamishev und sein Assistent Alanson Sample sowie 13 weitere Studenten der Universität von Washington haben einen Prototypen eines Roboters entwickelt, der darauf spezialisiert ist, an Stromkabeln entlang zu kriechen und diese auf Fehlstellen zu untersuchen. Der Roboter ist dementsprechend flach und länglich konstruiert, so dass er sich wie eine Echse oder Katze an das Kabel anschmiegt. Dabei kann er zunächst einmal per Videokamera die Umgebung des Kabels allgemein überprüfen – beispielsweise auf Sauberkeit, Trockenheit, Rattenfraß und Kollisionsfreiheit mit anderen Kabeln, Leitungen oder Abfällen. Letzteres wird beispielsweise auch dann relevant, wenn eine weitere Leitung verlegt werden soll und man sich nicht sicher ist, ob der Platz dafür reicht.

Typisches Dreiphasen-Starkstomkabel im Untergrund (Bild:SEAL)

Voraussetzung für die Verwendung der mechanischen Laufkatze ist allerdings, dass das Kabel offen zugänglich ist. Ein typischer Einsatzfall sind die unterirdischen Stromzuführungen in U-Bahntunneln, während es in engen Kabelschächten oder im Boden vergrabenen Leitungen sehr schwierig werden dürfte, den Roboter einzusetzen. Außerdem ist Voraussetzung, dass das Kabel noch halbwegs intakt und isoliert ist: Der Roboter ist nicht darauf ausgerichtet, spektakuläre Hochseilakte an Freileitungen zu vollführen, er ist wirklich nur für isolierte Kabel am Boden bestimmt und dürfte auch massive Entladungen nicht heil überstehen, da er hochempfindliche Elektronik wie Mikroprozessoren (drei Mikrocontroller und ein DSP) und Sensoren verwendet. Er könnte jedoch sich abzeichnende Probleme frühzeitig entdecken und den Kabelbetreiber dazu veranlassen, frühzeitig den Strom abzuschalten und einen Reparaturtrupp zu schicken, bevor es zu einem Totalschaden kommt.

Um Defekte zu entdecken, werden akustische, thermische und elektrische Sensoren verwendet. Wenn ein Kabel eine Fehlstelle hat, an der entweder eine teilweise Unterbrechung vorliegt oder gar bereits durch eine Entladung ein Kriechstrom fließt, so erwärmt sich das Kabel an dieser Stelle. Ein Infrarot-Sensor entdeckt Problemstellen auch dann, wenn sie nach außen hin noch von der Isolation verdeckt werden. Mit der akustischen Analyse sollen sich Entladungen auch dann entdecken lassen, wenn diese nicht offen sichtbar sind, da elektrische Entladungen typische Schallwellen (Knistern, Zischen, Prasseln) aussenden. Mit Hilfe des digitalen Signalprozessors (DSP) kann der Roboter hieraus den Ursprung der Entladung in drei Dimensionen lokalisieren und auch eine vermutete Einschätzung der Größe des Schadens zurückmelden. Schließlich wird der Roboter auch das Isolationsmaterial des Kabels auf seine Reaktion beim Anlegen elektrischer Spannung testen: Ist es feucht oder durch Entladungen geschädigt, wird sich hier ein verringerter Übergangswiderstand bemerkbar machen oder gar eine entsprechende Störspannung messen lassen, die darauf hindeutet, dass mit dem Kabel nicht mehr alles zum Besten steht.

Ob der Roboter in der Praxis rechtzeitig merkt, dass es für ihn gefährlich wird und er auf eine so massive Fehlstelle zufährt, dass er zum Selbstschutz stoppen oder gar umkehren sollte, wird sich noch zeigen. Vermutlich ist dies eine Frage der Programmierung mit entsprechenden Erfahrungswerten und einem aufmerksamen Operator am Bildschirm in der Zentrale. Andernfalls wäre es nämlich im dümmsten Fall möglich, dass der Roboter überhaupt erst einen Funkenüberschlag auslöst und so zum Zusammenbruch des Kabels führt. Allerdings ist selbst dies sicherlich eher zu verschmerzen war als ein Stromschlag, den ein nichtsahnend am Gleis entlanggehender menschlicher Inspektor erleidet. Zudem kann der Roboter auch innerhalb der Betriebszeiten der U-Bahn die Kabel entlang wandern und muss nicht auf die wenigen Stunden zwischen nächtlichem Betriebsschluss und frühmorgendlichem Betriebsbeginn ausweichen.

Blick in die Elektronikeinheit (Bild: SEAL)

Zugegeben ein sehr spezialisiertes Gerät, doch vielleicht zum heutigen Zeitpunkt eine etwas realistischere und auch kosteneffektivere Anwendung autonomer Systeme als der immer wieder angekündigte Luxus-Haushaltsgeselle.