Die nächste Schlacht um Falludscha hat begonnen
2004 war die Stadt schon einmal von den Amerikanern zerstört worden, jetzt wurde sie wieder zu einer Hochburg des IS, bis zu 100.000 Menschen sollen noch in der Stadt leben
Die irakische Regierung hatte zwar auch schon einmal angekündigt, dass die Offensive gestartet sei, Mossul vom Islamischen Staat zu befreien. Der Vormarsch blieb jedoch bald stecken. Jetzt also soll erst einmal Falludscha in Angriff genommen werden, jene Stadt, die schon einmal nach der Invasion der USA zu einer Hochburg der al-Qaida-Islamisten geworden war, als noch al-Sarkawi, der Vorgänger und das Vorbild von IS-Führer al-Bagdadi, besonders grausam wütete. In der Schlacht um Falludscha wurde 2004 im Rahmen der Operation Phantom Fury die Stadt von den amerikanischen Truppen eingeschlossen, die Bevölkerung zum Verlassen der Stadt aufgefordert und diese weitgehend zerstört.
Gestern kündigte der innenpolitisch weiter in großer Bedrängnis regierende Ministerpräsident Haider al-Abadi den Sturm auf Falludscha an: Die "Stunde Null zur Befreiung " habe begonnen. Er versprach einen "großen Sieg", Daesh bleibe nichts anderes als die Flucht. Nachdem Ende des letzten Jahres Ramadi erobert wurde, ist Falludscha neben Mossul die einzig noch verbliebene größere Stadt, die vom IS im Irak kontrolliert wird.
Wie gehabt wurde die Zivilbevölkerung vom irakischen Militär aufgefordert, die Stadt zu verlassen. Bis zu 100.000 Menschen werden noch in der Stadt vermutet. Es sollen Korridore aus der Stadt eingerichtet worden sein. Wer fliehen will, soll eine weiße Fahne schwenken. Aber wer flieht, läuft Gefahr, von den IS-Kämpfern erschossen zu werden oder von Minen oder Sprengfallen getötet zu werden, mit denen der IS die Stadt weiträumig übersät hat. Nicht genauer bekannt ist, wie viele IS-Kämpfer und Angehörige von diesen in der Stadt verblieben sind und wie sich der IS auf die drohende Offensive vorbereitet hat. Ein US-Militär sprach davon, dass sich lediglich ein paar hundert IS-Kämpfer noch in der Stadt aufhalten sollen. Allerdings sollen die IS-Kämpfer vor allem Männer aus Falludscha oder aus der Umgebung sein. Manche haben sich dem IS angeschlossen, weil ihre Dörfer von schiitischen Milizen eingenommen wurden.
Schon seit Monaten war die Offensive vorbereitet und die Stadt vom Militär eingeschlossen worden. Die Menschen in Falludscha wurden damit aber auch von der Lebensmittelversorgung abgeschnitten. Das Militär ließ seit Beginn des Jahres keine Hilfslieferungen mehr in die Stadt. Schon im Februar hieß es, dass Menschen Gras essen müssten und manche verhungert seien (Auch in Falludscha verhungern Menschen). Wie viele Menschen sich noch in der Stadt aufhielten, war auch damals nicht klar. Es waren jedenfalls noch Zehntausende, die in der Falle unter der brutalen Herrschaft des IS und dem Beschuss aus der Luft und durch Artillerie saßen und Hunger leiden mussten.
Während die Einschließung von syrischen Städten und die Behinderung von Hilfslieferungen durch Regierungstruppen und "Rebellen" unter weltweite Kritik gerieten, litten die Menschen in Falludscha, die zwischen Regierungstruppen und schiitischen Milizen und den Kämpfern des IS festsaßen, weitgehend unbeachtet. Es sollen sich viele ältere Menschen, Kranke, Frauen und Kinder in der Stadt aufhalten, die nicht fliehen konnten oder wollten (Die Belagerung von Falludscha).
"Falludscha darf nicht zu einem neuen Ramadi werden"
Erste Kämpfe scheinen bereits begonnen zu haben. Irakische Truppen und IS-Kämpfer lieferten sich am Rand der Stadt Gefechte, während die Luftwaffe das Zentrum bombardierte und Artillerie in die Stadtgebiete feuerte, wo IS-Stützpunkte vermutet werden. Bislang sollen nur wenige Zivilisten die Stadt verlassen haben. Der IS reagiert wie üblich mit Selbstmordanschlägen, um die Angreifer in Angst zu versetzen. So soll durch einen Selbstmordangriff in Maamil, östlich von Falludscha, ein Panzer zerstört und 16 Soldaten getötet worden sein.
Wie auch schon bei anderen Offensiven zuvor, geht nicht nur die irakische Armee und andere Sicherheitskräfte gegen den IS vor, sondern auch ein Verbund von schiitischen Milizen, ohne deren Unterstützung die weiterhin schwache irakische Armee wohl wenig Chancen hätte. Die Operation von schiitischen Milizen in dem vorwiegend von Sunniten bewohnten Gebiet um Falludscha könnte allerdings dazu führen, dass sich Sunniten lieber dem IS weiter unterwerfen bzw. diesen dulden, als sich den mit den Regierungstruppen kämpfenden schiitischen Milizen, die teils von Teheran gesteuert werden, zu ergeben, die oft genug schon grausam gegen vermeintliche Unterstützer des IS vorgegangen sind. Und sollte Falludscha ebenso bei der "Befreiung" so großflächig zerstört werden wie zuletzt Ramadi, dann könnte auch der Widerstand der sunnitischen Bevölkerung gegen die geplante Mossul-Offensive wachsen. "Falludscha darf nicht zu einem neuen Ramadi werden", forderte Katharina Ritz, die Leiterin der Delegation des Roten Kreuzes im Irak.
Die Unterdrückung der Sunniten durch die schiitisch dominierte Regierung in Bagdad war auch mit ein entscheidender Grund, warum der IS im Irak erst einmal weitgehend widerstandslos Fuß fassen konnte. Die Amerikaner haben aus diesem Grund - und natürlich wegen der Verbindung zu Iran - versucht, die schiitischen Milizen von der Eroberung sunnitischer Städte fernzuhalten und sich dabei auch lieber auf die Kurden als Bodentruppen im Irak gestützt. Der schwindende Einfluss der USA wird jetzt wieder an der offenbar großen Präsenz schiitischer Milizen um Falludscha deutlich. Die zehntausenden von teils schwer bewaffneten schiitischen Kämpfern begrenzt allerdings auch die Macht der Zentralregierung. Die Milizen wollen zwar offiziell als Streitkräfte anerkannt werden, aber sich nicht in die Armee eingliedern und unabhängig bleiben (Schiitische Milizen drängen im Irak an die Macht).
Wie stark die schiitische Bewegung bzw. wie schwach die Regierung ist, konnte man Anfang des Monats erkennen, als Anhänger des schiitischen Predigers as-Sadr die Green Zone stürmten und das Parlament vertrieben (Iraks Regierung versinkt im Chaos). Vergangenen Freitag waren erneut Anhänger des Predigers in dsie Green Zone eingedrungen, wurden aber das erste Mal von Sicherheitskräften, u.a. anderen schiitischen MIlizen, auch mit Gewalt und Schüssen zurückgedrängt. Das könnte die Lage in Bagdad weiter eskalieren.
As-Sadr führt eine Miliz, die auch schon gegen die Amerikaner 2004 kämpfte, die von ihm gegründete Partei wird immer wieder ins Parlament gewählt, er fordert mit seinen Anhängern eine Regierungsumbildung wegen der grassierenden Korruption, der schwächelnden Wirtschaft und dem fehlenden Schutz vor Anschlägen. Allerdings kämpfen die schiitischen Milizen auch untereinander um die Vormacht, was ihren Einfluss dämpft.