Iraks Regierung versinkt im Chaos
Der Sturm auf die Green Zone und das Parlament durch schiitische Anhänger von al-Sadr zeigt die Schwäche der Abadi-Regierung, auf die Washington gesetzt hatte
Die schon vor Monaten angekündigte (Schiitische Milizen drängen im Irak an die Macht) und am Wochenende kurz nach dem Besuch von US-Vizepräsident Joe Biden erfolgte Erstürmung der festungsmäßig gesicherten Green Zone und des Parlaments durch Hunderte von Anhängern des schiitischen Predigers al-Sadr stürzt nicht nur die irakische Regierung in ein Dilemma (Irak: As-Sadr-Anhänger stürmen Parlament). Die Pläne der US-Regierung, den faktisch zwischen Schiiten, Kurden und Sunniten zerrissenen Staat zusammenzuhalten und den Krieg gegen den IS durch die geplante Offensive zur Einnahme von Mosul in eine entscheidende Phase zu bringen, erweisen sich damit als Phantasmen.
Bagdad war im Ausnahmezustand, die Zufahrtstraßen in die Stadt wurden zeitweise gesperrt, Abgeordnete, vor allem Kurden und Sunniten, flohen aus Bagdad aus Angst vor den schiitischen Radikalen. Zwar zogen am Sonntag die ersten Belagerer aus der Green Zone wieder ab, es hielten sich aber noch Tausende auf den benachbarten Celebration Square auf. Am frühen Abend soll dann Sadr den Abzug seiner Anhänger aus der Green Zone und die vorübergehende Beendigung der Proteste angekündigt haben. Er drohte aber schon einmal an, wieder mit seinen Anhängern zurückzukehren, wenn keine Regierungsumbildung zustandekommt.
Ministerpräsident Abadi forderte den Innenminister auf, diejenigen zu bestrafen, die die Green Zone erstürmt haben. Die irakischen Truppen in und um Bagdad wurden verstärkt durch Verbände der schiitischen Milizenallianz al-Hashd al-Shaabi, die seit letztem Jahr als offizieller Teil der Sicherheitskräfte betrachtet werden.
Denkbar ist auch, dass sich nun die Auseinandersetzungen zwischen den schiitischen Milizen verstärken, wenn Sadr möglicherweise versucht, sich mit seinen Brigaden eine stärkere Machtposition zu verschaffen. Ob er tatsächlich eine Regierung der Technokraten durchsetzen will oder eher von mit ihm verbundenen Politikern ist eine offene Frage. Die Wut auf Regierung und Parlament ist groß, damit womöglich auch der Wunsch nach einem starken Mann, der aufräumt. Allein in Bagdad sind im April nach UN-Angaben 232 Zivilisten getötet und 642 verletzt worden. Gestern übte der IS einen Anschlag in Samawa, einer vorwiegend von Schiiten bewohnten Stadt südlich von Bagdad aus, bei dem mindestens 32 Menschen starben und 75 verletzt wurden.
Gerade erst hatte US-Präsident Obama noch angekündigt, spätestens bis Ende des Jahres, gewissermaßen als Krönung seiner Amtszeit, in der sich auch durch seine Politik in Afghanistan, im Irak und in Syrien die Situation verschlechterte, den IS aus Mossul vertrieben zu haben. Das war schon ein Eingeständnis, dass alles nicht so gut und schnell läuft wie erhofft. Irak könnte nun nach der Revolte, verstärkt durch die Unlust der die Green Zone bewachenden Sicherheiträfte, gegen die Protestierenden vorzugehen, noch unregierbarer werden als bislang - und damit zum nächsten failed state. Und die US-Regierung hat ähnlich wie in Syrien keinen verlässlichen militärischen Partner vor Ort, der den Luftkrieg mit Bodentruppen begleitet.
Der von Washington als Ersatz von al-Maliki installierte Abadi als Ministerpräsident erwies sich als machtlos oder unfähig, die verbreitete Korruption zu bekämpfen und schaffte es nicht einmal, wichtige Ministerprosten zu besetzen. Al-Maliki hatte mit der Diskriminierung der Sunniten dem IS den Weg geebnet, während die Armee geschwächt war, weil sie ganze Geisterregimenter beschäftigte. Der Sold von mehr als 50.000 Soldaten, die nicht mehr oder nie im Dienst waren, flossen an die Generäle.
Eine Regierung, an der angemessen Vertreter auch der Sunniten und Kurden beteiligt sind, ist nicht entstanden, die schiitischen Milizen haben an Einfluss gewonnen, die Kurden verfolgen eigene Ziele, der Ölpreisverfall verhindert notwendige Investitionen zur Schaffung von Arbeitsplätzen und den Wiederaufbau, wie er gerade in den durch die Rückeroberung vom IS zerstörten Städte wie Ramadi, Tikrit oder Sindschar dringend notwendig wäre (Der Krieg gegen den IS hinterlässt zerstörte Geisterstädte). Ein Großteil des Staatshaushalts wird für die Gehälter von 7 Millionen Staatsangestellten ausgegeben, auch ein Mittel, um für Loyalität, Missmanagement und Ärger zu sorgen.
Während der Irak für Milliarden US-Dollar jährlich Gas vom Iran importiert, werden weiter große Mengen an Gas aus eigenen Vorkommen schlicht abgefackelt, weil die Technik fehlt. Bei den Kämpfen mit dem IS wurde die Baji-Raffinerie zerstört, die täglich mehr als 200.000 Barrel herstellen konnte, was die Notwendigkeit des Landes mit eigentlich riesigen Ölressourcen und einer steigenden Förderung verstärkte, auch Öl im Ausland zu kaufen und die hohen Preise zu subventionieren, was wiederum die Korruption und den Schwarzmarkt fördert. Die kurdische Regionalregierung verkauft das in der Region geförderte Öl auf eigene Kosten, ohne die Zentralregierung zu beteiligen, wie dies eigentlich vorgesehen ist.
Mit dem Erstarken der schiitischen Kräfte dürfte der Einfluss von Washington weiter sinken, während Russland und Iran ihre Stellung im Irak ausbauen können. Das aber könnte wiederum dazu führen, dass die sunnitische Bevölkerung aus Angst vor den schiitischen, aber auch den kurdischen Milizen mit dem IS oder anderen radikalen Kräften kooperieren. Schon jetzt kommt die Mossul-Offensive nicht wirklich voran.