Die nationalistisch Verbohrten und die völkisch Verblödeten

Seite 2: Am verbohrtesten sind die Länder, die Zuwanderung am dringendsten bräuchten

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Die zwölf am meisten betroffenen Staaten Osteuropas werden schon in weniger als 35 Jahren, bis 2050, fast 25 Millionen Einwohner weniger haben als noch heute. Und sie werden vergreist und verarmt sein und wären dringend auf finanzielle Hilfsleistungen angewiesen, wenn der Rest Europas nicht im Prinzip vor demselben Problem stünde. Denn Gesamteuropa wird in 35 Jahren eine um fast 39 Millionen Menschen geschrumpfte Bevölkerung haben. Damit geht der demografische Wandel Gesamteuropa zwar nicht ganz so schmerzhaft an den Kragen wie Osteuropa, aber ungeschoren bleibt Westeuropa auch nicht.

Am verbohrtesten sind die politischen Reaktionen auf den Flüchtlingszustrom ausgerechnet in den Ländern, die eine Zuwanderung am dringendsten brauchen. So wird die Bevölkerung Ungarns nach Hochrechnungen der Vereinten Nationen bis 2050 um 24,2 Prozent zurückgehen. Die Geburtenraten sind, wie überall sonst in Osteuropa auch, so niedrig, dass die Bevölkerung ohne Zustrom von Ausländern unweigerlich schrumpft, und zwar einschneidend.

Die Ungarn werden tendenziell aussterben, wenn Viktor Orbán an seinem Volkstums-Irrsinn und der Latrinenparole "Ungarn braucht keine Einwanderer" festhält. Das Land wird sich in wenigen Jahrzehnten entvölkern - verantwortlich ist ausgerechnet die Politik der wackeren Hüter des Magyarentums. Dass dies so ist, zeugt für die einmalige Mischung von völkischer Verbohrtheit und nationalistischer Blödheit dieser Politik.

Die Bevölkerungszahl Ungarns wird in den kommenden 35 Jahren von derzeit 10,012 auf 7,589 Millionen zurückgehen. Die Zahl der Menschen im arbeitsfähigen Alter von 16 bis 65 Jahren, also jene Gruppe, die am meisten zum Sozialsystem und zum Brutto-Inlands-Produkt (BIP) beiträgt, sogar um 29,9 Prozent von heute 6,23 auf 4,37 Millionen. Dafür wird es 12,6 Prozent mehr Ungarn über 65 geben, sie werden dann 27,4 Prozent der Bevölkerung ausmachen.

Immer wieder betonte Orbán, dass "nur die stärksten Nationen, die sich biologisch reproduzieren können, überleben werden". Nationalsozialistische Blindheit gehört in Europa noch längst nicht der Vergangenheit an. Die albernsten politischen Verrenkungen, mit denen die Regierung Orbán einen "ungarischen" Babyboom zu entfesseln versucht, verpuffen wirkungslos: völkische oder biblisch-frömmelnde Parolen, die Ächtung von Abtreibungen, die Diffamierung von Homosexualität und steuerliche Anreize für Familien halfen nicht, das Magyarentum zur biologischen Reproduktion zu ermuntern. Studentinnen bot man an, ihnen alle Studienkredite zu erlassen, wenn sie Kinder bekommen - sogar den Vätern machte man dieses Angebot. Staatsgelder flossen in staatlich organisierte "Tanzhäuser", also in Diskotheken, die der beaufsichtigten "Verpaarung" dienen sollten. Alles vergebens.

Die einzigen, die sich zum großen Entsetzen der Rassenlehrer weiter eifrig vermehren, sind die ungarischen Roma. Doch die sind ja im Sinne der reinen Rassenlehre gar keine "richtigen" Magyaren. Deren Gebärfreudigkeit wollen ungarische Rassisten am liebsten mit diversen Maßnahmen zur Geburtenregelung bis hin zur Zwangssterilisation bremsen. Fazit: Heute hat Ungarn die niedrigste Geburtenrate aller Zeiten. Zum Verdruss der völkisch Konservativen verließen auch noch gut 600.000 Ungarn das Land, weil sie zu Hause keine Arbeit finden.

Seit den 1990er Jahren schrumpfen auch die Bevölkerungen einiger Länder der ehemaligen Sowjetunion und Osteuropas beharrlich. Dazu zählen Russland, Kasachstan, Ukraine, Bulgarien, Rumänien, Polen, Ungarn, Tschechien, Estland, Lettland und Litauen. Südeuropäische Länder folgten seit 1995-2000, darunter Italien, Kroatien, Slowenien und Griechenland.