Die nationalistisch Verbohrten und die völkisch Verblödeten

Seite 3: Deutschland: Fast genauso viele, wie zuwandern, wandern auch ab

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Deutschland ist übrigens weltweit das erste Land, das von einem jahrhundertelangen Bevölkerungswachstum in die Phase der Bevölkerungsschrumpfung überging: In den neuen Bundesländern sterben seit 1969 Jahr für Jahr mehr Leute, als geboren werden, in den alten Bundesländern ist das seit 1972 der Fall. Seitdem schrumpft die Bevölkerung unaufhaltsam. Die Schrumpfkur wird nur mit Mühe und Not gerade knapp von der Zuwanderung aus dem Ausland ausgeglichen. Mit ihrer Forderung, die Obergrenze für die Zahl der Flüchtlinge pro Jahr auf 200.000 festzusetzen, hat die bayerische Staatsregierung sich übrigens zum Bettgenossen der osteuropäischen Volkstumsfanatiker gemacht; denn so niedrig war die Zuwanderung nach Deutschland in all den Jahren zuvor noch nie. In den letzten 50 Jahren kamen im Schnitt jährlich 253.000 Zuwanderer mehr ins Land, als Abwanderer es verließen - nur deshalb ist Deutschlands Einwohnerzahl bis dato noch nicht geschrumpft, sondern sogar leicht gewachsen.

Erst die politischen Krisen der letzten Jahre haben seit 2012 zu einem weiteren starken Anwachsen der Zuwanderung geführt. Zuletzt hat Deutschland sogar starke Zuwanderungsgewinne erzielt. Sie haben den Alterungsprozess abgemildert und den Prozess des Bevölkerungsrückgangs verzögert.

Allein 2014 zogen 1,464 Millionen Menschen nach Deutschland - so viele wie seit 20 Jahren nicht. Der Saldo aus Zu- und Wegzügen lag bei 550.000, ebenfalls ein 20-Jahres-Rekord. 914.200 Menschen verließen das Land im selben Jahr. Es wird also stets nur halb so heiß gegessen wie gekocht. Fast genauso viele, wie zuwandern, wandern auch ab.

Schon heute ist fast jeder Vierte über 60 Jahre alt. Die Bevölkerung altert und schrumpft rasant. Würden die Grenzen heute geschlossen, gäbe es 2050 nur noch 58 Millionen Einwohner in Deutschland. 40 Prozent von ihnen wären über 60. Der Zeitpunkt ist nicht mehr allzu fern, an dem die Mehrheit der Bevölkerung älter als 60 Jahre ist.

Seit 2015 verliert die deutsche Wirtschaft jedes Jahr rund 250.000 Mitarbeiter, und Deutschland droht ein massiver Fachkräftemangel. Dann fehlen aber bereits drei Millionen Arbeitskräfte am Markt. Ohne Zuwanderung wird der Wohlstand sinken, und die Lebensarbeitszeit müsste auf mindestens 70 Jahre verlängert werden.

Schon 2020 werden die 50- bis 65-Jährigen mit knapp 20 Millionen die stärkste Gruppe in der arbeitsfähigen Bevölkerung sein, während die 35- bis 50-Jährigen dann nur noch 15 Millionen Menschen umfassen werden. In den nächsten vier Jahrzehnten sinkt die Zahl der Erwerbstätigen um rund 10 Millionen Menschen.

Langfristig wird die sich immer weiter öffnende Schere zwischen der Zahl der Geborenen und Gestorbenen nicht durch Zuwanderung zu schließen sein; dazu wären weit höhere Wanderungsüberschüsse nötig als in der Vergangenheit. Dieser Effekt wird durch die zunehmende Lebenserwartung der Älteren noch verstärkt.

Die bayerische CSU versucht also allen Ernstes mit ihrer Obergrenze den Rückfall in Zeiten vor über 50 Jahren in Deutschland in Stein zu meißeln, als Deutschland angeblich noch eine völkische "reine" Bevölkerung hatte.

Sozialpsychologen hatten immer wieder dieses rätselhafte Phänomen von Phasen des kollektiven Irrsinns beobachtet. Die Tendenz zu kognitiver Gleichschaltung und zur Preisgabe der sachlichen Distanz gegenüber Gruppen und ihren Handlungsplänen. Die Gefahr besteht in einer ausgeprägten Starrheit, Verbohrtheit und Irrationalität. Im Extremfall werden die gemeinsamen Denkvorstellungen zum Dogma, das gegen jede Vernunft dennoch eine hohe Anziehungskraft entfalten kann.

Die Orientierung an einem wirklichkeitsfernen Dogma kann im ungünstigsten Fall bis zum Untergang der Gruppe führen. So entstehen Mehrheiten ohne innere Überzeugung und aus reiner Ignoranz.