Die neue Bilderflut
Neue digitale Bildarchive für wissenschaftliche Zwecke kündigen sich an
Jeder hängt sich gerne ein Miró, ein Picasso oder ein Klee in die Wohnung. Für viele Museen stellt daher der Verkauf von Reproduktionen ihrer Meisterwerke eine willkommene Einnahmequelle dar. Über das Internet ließe sich diese wohl beliebig vergrößern, dachte sich das Guggenheim Museum und kündigte an, noch im Laufe des Jahres einen Webshop zu lancieren. Damit wollen die New Yorker, die dank ihrer zahlreichen Kooperationen Zugang zu vielen hochkarätigen Sammlungen haben, Bill Gates und seiner Firma Corbis, die schon seit geraumer Zeit aktiv ist, Konkurrenz zu machen.
Doch unabhängig von kommerziellen Interessen bieten digitalisierte Kunstbestände auch der Forschung große Möglichkeiten, wären damit doch nicht allein all die zahlreichen Diabestände, die jedes kunsthistorische Institut besitzt, obsolet. Der Zugang zu Bildmaterial, das ihnen sonst nicht offen stände, würde vielen Forschern, vor allem an nicht sonderlich begüterten Instituten, ihre Arbeit wesentlich erleichtern.
Inzwischen wurden, sowohl in USA als auch hier in Deutschland, erste entsprechende Vorhaben angekündigt. Ohne groß Aufhebens zu machen, hat das Bildarchiv Foto Marburg eines davon im Internet lanciert. Foto Marburg, das als Deutsches Dokumentationszentrum für Kunstgeschichte fungiert, sammelt und erstellt seit mehr als 80 Jahren kunsthistorische Fotografien. Auf diese Weise versucht es, den Kunst- und Architekturbestand unseres Landes zu dokumentieren und diese Dokumentation der Forschung, aber auch zahlreichen Restaurierungsvorhaben zur Verfügung zu stellen.
Bisher war der Zugriff auf den Bildbestand nur über Foto Marburg selbst oder über die Mikrofiche-Editionen, die es regelmäßig herausgibt, möglich. Doch inzwischen ist ein erster Teil des Archivs digitalisiert und im Internet zugänglich gemacht worden. Im Bildarchiv zur Kunst und Architektur in Deutschland finden sich derzeit über 800.000 Fotografien. Im Laufe dieses Jahres soll der Bestand auf 1,4 Millionen ausgebaut sein, ein Drittel kommt dabei vom Bildarchiv Foto Marburg selbst, zwei Drittel des Material werden von anderen Archiven und Denkmalsämtern zur Verfügung gestellt. Bestandteil des Bildindexes ist zudem "DISKUS", das "Digitale Informationssystem für Kunst und Sozialgeschichte", eines der zahlreichen Ergebnisse des Forschungsschwerpunkt "EDV in der Kunstgeschichte". Über "DISKUS" wurden seitens des Bildarchivs Foto Marburg und seinen Partnerinstituten bisher 300.000 Kunstobjekte nicht nur mit Angaben über Herkunft, Produktion und Aufbewahrung, sondern auch ikonographisch erfasst. Auf diese Weise lassen sich die einzelnen Werke sehr detailliert nach ihrem Inhalt recherchieren.
Das Bildindex-Projekt, das sich derzeit noch in einer Testphase befindet, wird von der Deutschen Forschungsgemeinschaft gefördert, die den kostenfreien Zugang für alle Interessenten als Voraussetzung für die Unterstützung gemacht hat. Zukünftig könnte es aber auch, so Projektleiter Prof. Dr. Lutz Heusinger vom Bildarchiv Foto Marburg, ein gemischtes Angebot geben. Damit ließe sich auch Bildmaterial zur Verfügung stellen, für das das Archiv Urheberrechtsvergütungen abgetreten muss.
Ein derartiges Angebot könnte eventuell auch im Rahmen des "ArtStOR"-Projektes geschehen, das die Andrew W. Mellon Foundation Anfang April in USA vorgestellt hat. Es sieht die Gründung eines Archivs digitalisierter Bilder vor, das weltweit Non-Profit-Organisationen für Lehre und Forschung zur Verfügung gestellt werden soll. Mit dabei sind neben dem Bildarchiv Foto Marburg auch das Museum of Modern Art in New York, aus dessen Design-Sammlung 6000 Objekte in einem Pilotprojekt erfasst werden sollen. In einem zweiten Projekt sollen buddhistische Höhlenmalerei aus Dunhuang in China digitalisiert werden und in einen virtuellen Kontext mit jenen zahlreichen Exponenten aus Dunhuang gebracht werden, die weltweit verstreut in Museen und Bibliotheken aufzufinden sind.
Vorbild für "ArtSTOR" ist ein anderes Projekt der Mellon-Foundation, JSTOR, das ältere Jahrgänge wissenschaftlicher Publikationen digitalisiert und damit Bibliotheken mit geringen Archivkapazitäten eine Lösung des Platzproblems ermöglicht. JSTOR trägt sich inzwischen durch die Beiträge der Benutzer. Auch ArtSTOR soll dies gelingen, in dem es tantiemenfreie, nicht-exklusive Lizenzen an den Bildern erwirbt und den Zugang zur Datenbank einschränkt.
Wann der Dienst aber lanciert wird, ist noch nicht klar. Denn das Projekt hat eine bedeutende technisches Hürde zu überwinden. Die digitale Reproduktion von Fotografien erreicht bei weitem noch nicht die Qualität eines normalen Fotos. Zudem gibt es keinen allseits akzeptierten Standard für das digitale Bild, ein Problem, mit dem das Bildarchiv seit Beginn seiner Digitalisierungsversuche konfrontiert ist und dass sich auch an dem im "Bildarchiv zur Kunst und Architektur in Deutschland" zur Verfügung gestellten Material erkennen lässt. Hier dienten aus finanziellen Gründen sehr häufig Mikrofiches als Vorlage, die selbst schon eine Reproduktion des Originalfotos darstellten.
Es kann daher gut sein, wie Lutz Heusinger von Foto Marburg, erklärt, dass die Fotografien im Laufe der nächsten Jahre noch einmal digitalisiert werden, sobald die entsprechende Technik nicht nur besser, sondern auch kostengünstiger geworden ist. Denn solange die digitalisierten Bilder wegen ihrer schlechten Auflösung im Unterricht oder in der Forschung nicht eingesetzt werden können, solange verfehlen "ArtSTOR" und Bildindex ihr Ziel.