Die politische Technologie der Pein

Seite 2: Die Feinde

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Lerne, mit dem Schmerz zu denken”.

Maurice Blanchot, Die Schrift des Desasters,

„In Szenario 1 befinden wir uns vor den Türen eines regionalen Wahlzentrums in einem beliebigen Land der Dritten Welt. Die Nato hat eine Spezialstaffel entsendet. Ihre Aufgabe: einen reibungslosen Ablauf der Wahl zu gewährleisten und die Wahlhelfer vor politischen Gegnern der Demokratie und vor Randalierern zu schützen”, schreibt Doug Beason, Science-Fiction Autor und Mitarbeiter des Forschungsprogramms für hochenergetische Mikrowellen der US Air Force, in der Fachzeitung „Rusi Innovative Technologies”, Nr. 6/2006.

Er untersucht in dem fiktionalen Text eine Militär-Einheit, die mit einer Anzahl der bereits am Markt befindlichen nicht-tödlichen Wirkmittel und Waffen ausgerüstet ist. Hierzu zählen alle Sorten klassischer „Hilfsmittel der körperlichen Gewalt” wie Hunde, Tränengas, Wuchtgeschosse und neuerdings auch das wirksamste, am Markt befindliche „nicht tödliche Einsatzmittel”, die elektrische Lähmungspistole TASER.

Auch „ein Hummer-Jeep mit dem 'Aktiven Vertreibungssystem' (Active Denial System), dem ADS-Mikrowellenstrahler auf dem Dach, steht außer Sichtweite zur Verfügung und kann innerhalb einer Minute vor Ort sein. Der Zug gut gerüsteter Anti-Riot-Soldaten hat neben dem Eingang des Wahllokales Stellung bezogen. Die in Auslandseinsätzen erfahrenen Männer und Frauen der kleinen Truppe haben einen Verhau aus Stacheldraht um die gesamte Einrichtung gezogen. Wähler, die aus den Nachbarorten grüppchenweise eintreffen, sickern durch einen engen Kanal aus Draht zu den Räumen mit den Wahlkabinen durch. Nach Angaben des Geheimdienstes befinden sich radikale Elemente unter den Anhängern von drei Parteien, die sich neben anderen zur Wahl stellen. Sie beabsichtigen, die Wahlen zu stören. Einige von ihnen könnten bewaffnet sein. Die Wahlgegner rücken bis zum Seiteneingang vor und beginnen, Steine und Molotowcocktails über den Zaun gegen die Hauswand zu werfen und dabei Parolen über “Wahlbetrug” zu skandieren. Einzelne Demonstranten versuchen, die Barriere zu durchbrechen. Da rückt der “Sheriff” vor.”

Was dann passiert, ist, wenn man Videos über die Menschenversuche der US Air Force mit ADS im Internet anschaut, tatsächlich kaum unterscheidbar von einer Szene, die man vor einigen Jahren noch für pure Science Fiction gehalten hätte: Ein Soldat sitzt im Jeep vor den Bildschirmen der Videokontrolleinheit des 'Aktiven Vertreibungssystems' – eine Art elektrisches Gewehr, das aussieht wie eine Satellitenschüssel. Er visiert den sich auffällig gebärdenden Unruhestifter an. Der Soldat bewegt den Joystick und setzt einen lautlosen Energiestrahl frei. In Bruchteilen einer Sekunde jault der Zivilist auf und humpelt über den Platz, während er wild mit einer Hand fächelnd versucht, sein Hinterteil zu kühlen. Andere Demonstranten erleiden ein ähnliches Schicksal. Sie winseln wie getretene Hunde und rasen in Panik umher, als würde man sie mit unsichtbaren Flammenstößen attackieren.

Juvenito Rich Garcia von der Pressestelle des Forschungslabors der amerikanischen Luftwaffe in Kirtland (Slogan: “Waffen mit Lichtgeschwindigkeit”) meldete bereits vor einem Jahr, am 25. Juli 2006, dass sich leitende Offiziere des ADS-Forschungsprogramms und mit Millimeterwellen haben beschießen lassen. Am 16. Januar 2007 kamen dann eine Reihe von Journalisten vor den Strahl. Das galt als letzte PR Maßnahme vor der Auslieferung zum Einsatz. Doch bis heute steht laut Pentagon-Mitarbeiter Kirk Hymes der Strahler, dessen Ungefährlichkeit medizinisch erwiesen ist, in der Garage. Zu viel schlechte Presse verhindere den Einsatz, erzählt Hymes beim Kaffee am Rande des 4. Symposium für „nicht-tödliche Waffen” (NLW) des Fraunhofer ICT (Institut für Chemische Technologie) in Ettlingen im Mai 2007. Dabei könne er selbst, der nun schon neun Mal im Strahl gestanden habe, nur sagen: es tut verflucht weh, aber es bleibt weniger als ein Sonnenbrand zurück. Ohne schützende Creme baden zu gehen sei sicherlich gefährlicher.

Kaum jemals ist eine moderne Waffe länger getestet worden: über 12 Jahre lang, nachdem der erste Prototyp funktionierte. Elf von 28 Vorträgen auf dem Fraunhofer-Kongress „non-letahl weapons: fulfilling the promise?” befassen sich mit ADS, anderen hochenergetischen Mikrowellenwaffen und ähnlichen „elektronischen Kontrollgeräten. Unter Labor- und unter Feldbedingungen wurden alle möglichen medizinischen, technischen und ethischen Probleme ihres Einsatzes untersucht. Selbst politisch hat man alle Untiefen ausgelotet. Alle Menschenrechtsorganisationen und kritischen Experten von Belang sind zu Wort gekommen und - so kann man nur hoffen – auch verstanden worden.

Mit der gehörigen Portion Sarkasmus hat der zuständige Staatsekretär für die US Air Force, Michael Wynne, im September 2006 zum Thema ADS erklärt, man wolle nicht in den Geruch kommen, das “post-war” Irak als Testgelände für eine Waffe zu benutzen, die die “Bürger auf eine nicht beabsichtigte Weise verletzt”. Bevor man sie wie geplant nach Bagdad bringe, werde man sie zunächst an den eigenen Bürgern ausprobieren. Diese Entscheidung, medienwirksam platziert, hat bislang eine Auslieferung in die Golfregion, die für Ende 2006 geplant war, verhindert.

Unter den Forschern im ADS-Programm befinden sich für Kenner der Szene vertraute Namen: Michael R. Murphy von der Brooks Base hat das Programm mehrfach in Deutschland auf den Symposiums-Biennalen der “Europäischen Arbeitsgemeinschaft für nicht-tödliche Waffen” des Fraunhofer ICT vorgestellt. Murphy, ein gemütlicher schwergliedriger Mann, der von Anfang an in Ettlingen anzutreffen war, hatte diesmal alle Hände voll zu tun: ein Mitglied des Programm-Komites, der russische NLW-Experte Viktor Selivanov, zeigte lebhaftes Interesse. Auch die Beschäftigung schwedischer, italienischer und andere europäischer Gruppen von Forschern mit ADS läßt erahnen, dass das System Zuspruch genießt.

Zu den prominentesten Befürwortern von ADS zählt John B. Alexander, der Herold der nicht-tödlichen Alternative. Er berichtete bereits 2003 im Interview mit den Autoren ausführlich und sichtbar begeistert von den biophysischen Effekten der Mikrowellenkanone: „Es schmerzt”, sagte er lachend, „es schmerzt gewaltig!” Mit Schmerz hat Alexander kein Problem: alle Waffen, die er anpreist, probiert er am eigenen Körper aus. Selbst sein damals 16-jähriger Sohn Josh (“kein Weichei!”) hat sich vor den Augen des Vaters mit dem TASER beschießen lassen. Ein Jahr später, 2004, spricht er als Fachberater vor dem “Unterausschuss für Abrüstung, Rüstungskontrolle und Nichtverbreitung des Auswärtigen Ausschuss” im Deutschen Bundestag. Er stellt seine Zuhörer vor die Alternative: mehr Schmerzen, dafür weniger Tote.