Die politische Technologie der Pein
Seite 4: Der heilige Gral
Auch der bereits zitierte Charles „Sid” Heal vom Los Angeles Sheriffs Department zählt zur wachsenden Fan-Gemeinde von nicht-tödlichen Techniken wie dem ADS-Schmerz-Strahler. An charismatischen Personen wie Heal wird exemplarisch deutlich, was Donald Rumsfeld mit einer “Transformation der Einsatzkräfte” (Office of Force Transformation, OFT) meint. Jahrelang war Heal als Team-Leader des Marine Corps in Asien unterwegs. Er hat die Feinde der Demokratie bekämpft in Korea, Vietnam, Thailand, Philippinen. Am Persischen Golf hat er für die Friedenserhaltung gefochten. Gefängnisaufstände, so erzählte er im Interview mit dem Autor 2005, schlägt er eigenhändig nieder, mit einer “Stachelball”-Granate.
Heal, Mitte Fünfzig, ein Kerl wie eine Eiche, hat den Taser, den effektivsten Elektroschocker der Welt, vier Mal am eigenen Leib ausprobiert. Heal kennt sich aus mit UAVs, den unbemannten Späh-Flugkörpern, die über dem kalifornischen “Gangland” eingesetzt werden, den schrecklichsten “no go”-Areas der westlichen Hemisphäre, wo der Feind im Innern wie eine Wunde schwärt. Er hat, wie erwähnt, “sticky foam”, einen stark ätzenden Klebstoff, gegen die andrängenden Massen halb verhungerter Afrikaner eingesetzt. Das war 1995 bei der “Operation United Shield´” in Somalia, die als die Geburtsstunde der nicht-tödlichen Waffen gilt. Sid Heal erweist sich im Gespräch als wortgewandter Theoretiker: geradezu schwerelos klingen seine Exegesen zum “fünfdimensionalen Schlachtfeld”, das den Cyberspace mit umfasst.
Heal bezeichnet die ADS-Hitzekanonen als den “heiligen Gral” der “crowd control”, der Zerstreuung von “Unruheherden”. Sie schließen die Lücke zwischen “Warnschrei und Schuss” bei der Unterwerfung aufrührerischer Massen im öffentlichen Raum. Mit Bonmots wie “you can´t resist” oszilliert er magisch zwischen dem Verführerischen, Faszinierenden und der physischen Effektivität der stillen Strahlen-Waffe, die uns vor Terror und Randale schützt.
„Silent Guardian“ ist folgerichtig der Produktname der Maschine. So hat sie ihr Erzeuger getauft, die Firma Raytheon. Ray-Theon heißt soviel wie “Gott der Strahlen”. 1922 von dem Ingenieur Vannevar Bush als American Appliance Company gegründet, erzielt Raytheon heute mit seinen 80.000 Angestellten etwa 20 Milliarden US Dollar Jahresumsatz. Vannevar Bush ist nicht mit der Präsidentenfamilie gleichen Namens verwandt. Er koordinierte das “Manhattan Project” (Atombombenentwicklung) und gilt nicht nur als Vater des Personalcomputers (Memex, Differential Analyzer), sondern neben Warren Weaver und James Conant als einer der drei Cheforganisatoren der Mobilisierung der Wissenschaften für den zweiten Weltkrieg. Das Waffengeschäft war der Firma mithin in die Wiege gelegt.
Ohne Geräusch treffen die Strahlen des “stillen Wächters” ihr weiches Ziel und dringen nur 0,4 mm unter die Haut. Bloß eine leichte Rötung entsteht und verschwindet nach wenigen Minuten. Eine spurenlose Waffe. Sie vertreibt nicht nur, sie treibt nachhaltig jeden Willen aus. Die so genannte Millimeterwelle, als “Cousine der Mikrowelle” bekannt, die sich im Spektrum um 95 Gigahertz bewegt, erzeugt eine extrem schnelle thermische Gewebereizung. 54,4 Grad Celsius konzentrierter Hitze erzeugen, abhängig von der Dauer der Anwendung, mindestens 8 Dol auf einer Skala, die das größte vorstellbare Schmerzerlebnis mit 10 Dol ansetzt. Mediziner nennen solche an die absolute Ober-Grenze gehenden Gefühle “Vernichtungsschmerzen”.
Verwendete Literatur
- John B. Alexander, Richard Groller, Janet Morris, The Warrior´s Edge, New York, 1990
- Doug Beason, The E-Bomb, Cambridge MA, 2005
- DU, Kulturelle Monatsschrift, Schmerz, Nr. 216, Zürich, Februar 1959
- Fraunhofer Institut für Chemische Technologie (Hrsg.), Non-Lethal Options Enhancing Security and Stability, Ettlingen, Pfinztal, Karlsruhe, 2005 Ibid: Non lethal Weapons: fulfilling the promise? Ettlingen, Pfinztal, Karlsruhe, 2007
- Frank Kitson, Im Vorfeld des Krieges, Abwehr von Subversion und Aufruhr, Stuttgart, 1974
- Chris Morris, Janet Morris, The American Warrior, Stamford, 1992