Die seltsamen Blockaden der Internetfilter
Während eine Kommission des US-Kongresses gerade Filter abgelehnt hat, drängt Bertelsmann auf die Einführung von Filtern an deutschen Schulen
In deutschen Schulen geht die Angst um. Und der Bösewicht, vor dem sich die meisten unsere Pädagogen fürchten, ist das Internet. Dies behauptet zumindest die Gütersloher Bertelsmann-Stiftung, die genau in unseren Schulen nachgeschaut und dabei entdeckt hat, dass sich nur 13 Prozent der Lehrer im Netz sicher fühlen. Ähnliches lässt sich natürlich auch über deutsche Kneipen sagen, die nur dann gern von Lehrern besucht werden, wenn sie ganz sicher sind, dass man von außen nicht sehen kann, wer innen an der Theke gerade säuft.
Doch für das Internet und den dort recht leicht zu findenden pornografischen Seiten gibt es zum Glück ja scheinbar eine rundum perfekte Lösung: Filtersoftware, die den Blick der Kinder und Jugendlichen auf anstößiges Material verwehren soll. Und genau dies empfehlen nun die Bertelsmänner unseren Schulen, damit sich auch die verbliebenen 87 Prozent der Lehrer endlich wieder sicher fühlen können.
In Gütersloh also nichts Neues. Was ein wenig wundert, weil gerade in den USA die Filterprogramme nicht nur ins Gerede gekommen, sondern zuletzt sogar von einer Kongress-Kommission als nicht effektiv beurteilt worden sind. Hauptpunkt der Kritik ist die Tendenz dieser virtuellen Zensurprogramme, auch den Zugriff auf Seiten zu blockieren, auf denen weder Sex noch Gewalttätiges enthalten sind.
Die marktüblichen Filter würden ineffektiv arbeiten und hätten eine Tendenz zum "Overblocking" von Seiten mit vermeintlich jugendgefährdenden Inhalten. Statt dessen empfahl die Kommission als besten Schutz gegen pornografische Inhalte eine bessere öffentliche Ausbildung der Kinder und Jugendlichen, die Förderung einer größeren Internet-Kompetenz bei den jugendlichen Usern, eine effektivere Ausnutzung bereits bestehender Gesetze und vorhandener Technologien. Dies, betonte die Kommission, sei der einzig machbare Weg Kinder zu schützen, ohne dabei das Recht der freien Rede einzuschränken.
Verworfen wurde in diesem Zusammenhang auch eine bestimmte Kennzeichnung von vermeintlich jugendgefährdenden Seiten. Eine Methode, wie sie auch beim PICS-Verfahren angewandt wird, das die Bertelsmann Stiftung unterstützt. Auch die Gründung einer eigenen Top Level Domain für Pornografie wurde abgelehnt, weil dadurch nicht automatisch gesichert sei, dass die Anbieter von Pornografie sie auch tatsächlich nutzen würden. Mit ihrem Bericht widerspricht die Kommission nun ausdrücklich dem Children's Online Protection Act, einem Gesetzesentwurf des Ministeriums für Arbeit, Gesundheit und Bildung, der Schulen und öffentliche Bibliotheken mit Internetanschluss dazu bringen soll, Filter-Software einzusetzen.
Unterstützt wird die Kritik der Kommission nun durch eine weitere Untersuchung die am vergangenen Dienstag in den USA veröffentlicht worden ist. Dabei hat Jamie McCarthy sich vor allem mit dem an US-Schulen am weitesten verbreiteten Filterprogramm Bess von N2H2 beschäftigt und es an Seiten getestet, auf denen es um politische Informationen geht, also um Angebote, die verfassungsrechtlich als besonders schützenswert gelten. Eingestellt wurde die Auswahl auf "Typical School Filtering".
Blockiert wurden nach Auskunft von McCarthy zahlreiche solcher politischen Seiten, darunter die der konservativen Traditional Values Coalition, die engagiert für Filterprogramme ficht, ein Verein, der mit www.hillary4president.org/ Hillary Clintons politische Karriere fördert, und selbst Herb's Utah Pictures, eine Website mit zahlreichen Fotos aus verschiedenen amerikanischen National Parks. Blockiert wurden auch Webseiten von Schulen, wo es beispielsweise über "American Government and Politics" geht, Opfer ist aber auch eine Seite aus Malaysia geworden: People Are The Boss. Dabei handle es sich, so McCarthy, um die Homepage einer politischen Gruppe, die eine demokratische Kontrolle der Regierung fordert: "Wir wissen nicht, ob diese Webseite von Malaysia blockiert wird, aber wir wissen, dass sie für amerikanische Schulen blockiert ist."
Allen Goldblatt von N2H2 entgegnete auf die Kritik, dass die blockierten Seiten kostenlos von Providern erhaltbare Homepages seien - und da würden Schulen gerne darum bitten, diese auch in die Liste zum Blockieren aufzunehmen: "Viele Menschen glauben, beim Filtern gehe es nur um Pornographie, aber es geht um viel mehr als das." Aber genau darin liegt ja auch das Problem und nicht die Erklärung. Ken Collins, verantwortlich für die zu blockierenden Inhalte, sieht das ein wenig anders, aber auch nicht als Problem des Filters. Die Schulen, so sagt er, könnten entscheiden, welche Kategorien sie blockieren wollen. Zu den 42 Kategorien von N2H2 gehören etwa die erwähnten kostenlosen Homepages, Mord/Selbstmord oder Unterwäsche. Eine allgemeine Kritik also am Filter, die von einem typischen Gebrauch ausgehe, gäbe es daher nicht.
Wie hoch die Fehlerquote beim Filtern und Zensieren ist, zeigt auch der aktuelle Peacefire-Report Study of Average Error Rates for Censorware Programs, der die Programme N2H2's Bess, America Online's Parental Controls, Cyber Patrol and SurfWatch verglichen hat. Am Eifrigsten beim Blockieren von absolut harmlosen Netzangeboten erwies sich Cyber Petrol mit einer Fehlerquote von 80 Prozent, während die AOL-Software mit 20 Prozent noch am tolerantesten war.
Bei ihr rutschten allerdings gleich mehrere Pornoseiten nicht blockiert durch den Filter. Eine recht schlüpfrige Tatsache, die bei unseren verunsicherten Lehren bestimmt gleich wieder den Angstschweiß auf die Pädagogenstirn treiben wird.