Die unvermeidliche Zukunft

Digitales terrestrisches Fernsehen in UK, wie es funktioniert, wer die wichtigsten Player sind.

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Am 15. November 1998, genau zwei Wochen nach dem Start von digitalem terrestrischem Fernsehen (DTT) in den USA, wurde im Vereinigten Königreich der offizielle Startschuß für das neue Sendeverfahren gegeben. Neben herkömmlichem analogem TV und digitalem Satelliten- und Kabelfernsehen wurde hiermit digitales terrestrisches Fernsehen auch auf der Insel eingeführt.

Kampf um den Frequenzkuchen

Aus der Anzahl der zugewiesenen Frequenzen ergab sich, daß 6 Lizenzen zur Vergabe zur Verfügung standen, eine Aufgabe, die von der Independent Television Commission wahrgenommen wurde. Davon wurden 4 zur kommerziellen Freigabe annonciert. Eine Lizenz wurde von der Regierung dem öffentlich-rechtlichen Sender BBC zugewiesen, der seine analogen Programmen gleichzeitig digital sendet, aber auch neue Kanäle wie News 24 und BBC Choice, die auschließlich für DTT konzipiert wurden.

Eine weitere Lizenz wurde den kommerziellen, analogen Sendern ITV und Channel 4 vorbehalten, um ihr analoges Programm parallel auszustrahlen, und deren gemeinsame Tochterfirma ‚Digital 3 and 4 Ltd.' erhielt ebenso eine Lizenz.

Die vierte Lizenz ging an ONdigital, das zu diesem Zweck zu gleichen Teilen von Carlton und Granada gegründet wurde, zwei Fernsehgesellschaftsgiganten in UK, die bereits Sendezeit auf analogen Kanälen bespielen. ONdigital bietet 15 gebührenpflichtige Fernsehkanäle an.

Die letzte Lizenz ging an SDN Ltd., dessen Shareholder NTL, S4C und United News and Media sind - also auch keine unbekannten Namen im britischen Fernsehen. Innerhalb des 6. Multiplex wurde gesetzlich Sendekapazität für Channel 5 (der letztes Jahr gelaunchte kommerzielle, analoge TV Sender), S4C (der walisische TV Sender) und für gälische Sendungen in Schottland reserviert. Die letzteren beiden dienen als Aushängeschilder der ITC Minderheitenpolitik bei der Vergabe.

Die Betreiber bieten zusammen 30 Programme, die Hälfte davon gebührenpflichtig, an. Neben den zusätzlichen TV Programmen sollen subtilere Teletextformen und Infoservices ebenso wie interaktive Funktionen zum Einstieg verlocken.

Doch was bietet DTT an, was die anderen TV Anbieter - herkömmliches analoges TV, Kabel, Satellit und insbesondere das ebenfalls kürzlich gestartete SkyDigital aus dem Hause Murdoch - nicht leisten können? Was ist DTTs einzigartiges Verkaufsargument? Sehen wir uns zuerst an, wie DTT funktioniert.

Die Digital Terrestial Television (DTT) Technologie

Die fertigproduzierten Sendungen werden per Glasfaserkabel in eines der "Multiplex Zentren" der Lizenzträger UKs gespeist. Dort werden die Bilddaten komprimiert und mit Ton, Untertitel und Informationsservices versehen. Der Electronic Programme Guide (EPG) wird hinzugefügt und das gesamte Datenpaket verschlüsselt. In dieser Form werden die Daten, wiederum über Glasfaserkabel, an die TV Sendetürme des Landes weitergeleitet, um von dort aus zu den Haushalten gesendet zu werden. Das DTT Programm wird also parallel zu den analogen Fernsehprogrammen ausgestrahlt, allerdings wird dabei eine andere, ultrahohe Frequenz (UHF), benützt.

Die Verfechter von DTT dürfen mit der bestechenden Bildqualität, die direkt in das Wohnzimmer geliefert wird, prahlen. Im Gegensatz zu analogen Signalen, die manchmal durch schlechtes Wetter oder hohe Gebäude in der Nachbarschaft gestört werden und dadurch zu Bildverschiebungen oder Bildrauschen führen, wird DTT entweder kristallklar empfangen - oder gar nicht. Ist also einmal die Empfangbarkeit gewährleistet, ist man mit "Studiobildqualität" dabei.

Desweiteren wird gerne auf die bald flächendeckende Infrastruktur von DTT - gegenüber Kabelfernsehen - verwiesen. Da die vorhandenen Sendetürme benutzt werden, erreichten die DTT Frequenzen sofort ab Startschuß die Hälfte der Bevölkerung, und bis Ende 1999 sollen 90% der Haushalte abgedeckt sein. Satellitenfernsehen kann allerdings von jedem sofort mittels Schüssel empfangen werden.

Die Betreiber ködern nicht nur mit der "bestechenden" Bildqualität, sondern auch mit mehr Programmauswahl. Da grundsätzlich die Technologie von DTT darauf beruht, die audiovisuellen Signale effektiver zu komprimieren, als es mit analogen Signalen möglich war, und weil dadurch mehr Daten gleichzeitig über eine Frequenz versendbar sind, können im Gegensatz zu den 5 analogen Kanälen 30 digitale Kanäle angeboten werden.

Das im Oktober dieses Jahres im Vereinigten Königreich gestartete digitale Satellitenfernsehen SkyDigital bietet allerdings 200 Kanäle.

Das Ass aber im Werbepoker ist die Angst der Durchschnittsmenschen vor neuer, kompliziert erscheinender Technik. Der Einstieg zu DTT wird als idiotensicher verkauft. "Plug and Play" - kaufe die Settopbox, stecke sie an, schalte das Gerät ein und du bist dabei - heißt es auf den Werbeplakaten.

Wird für Satellitenfernsehen eine Satellitenschüssel benötigt, die von einem Fachmann installiert werden muß, so kann DTT über die gute, alte Fernsehantenne - ob individuell oder Hausgemeinschaftsantenne - empfangen werden. Die ansteckbare Settopbox mit Smartcard entschlüsselt die Signale.

Das ganze Vergnügen ist natürlich nicht umsonst. Entweder der bereitwillige TV Konsument erwirbt eine ansteckbare Settop-Box um 199 £ (ca. 580.- DM), oder er investiert in ein brandneues, integriertes Breitformatfernsehgerät (16:9 Ratio), das ihn auch in den Genuß der verstärkt angebotenen Wide-Screen-Filme kommen läßt. Schließlich fällt der Launch nicht zufällig in die Zeit, in welcher die Weihnachtslichter in den Einkaufsstraßen aufgehängt werden.

Fehlt nur noch der letzte Schritt, die Subskription, die mit monatlichen 7.99 £ für sechs Kanäle nach Wahl oder 9.99£ für alle Kanäle von ONdigital noch immer über dem billigsten Angebot von Sky (6.99£) liegt.

Interaktivität noch unterentwickelt

Ein Potential von DTT, die Erweiterung des klassischen One-Way-Mediums um Interaktivität, wird kaum erwähnt. Die zusätzlichen Informationsdienste wie Ceefax, EPS und Teletext, die mit ihren gestylten Navigationstools und benutzerfreundlichen grafischen Oberflächen nicht nur bunter sind, sondern auch schneller funktionieren, holen niemanden aus der Reserve.

Die Anbieter planen die Entwicklung interaktiver Sendungen, doch bei der Pressepräsentation war deutlich zu erkennen, daß die Phantasie auf diesem Sektor bei der Einführung des Shoppingchannels Littlewood zumindest in naher Zukunft ihre Grenzen finden wird. Die zwei größten Supermarktketten Englands, Tesco und Sainsbury's, haben Interesse angekündigt, in diesem Bereich ebenfalls aktiv zu werden. Bei konkreter Nachfrage an Dr Gary Tonge, Director of Engineering der Independent Television Commission, wie der Datenschutz der Konsumenten geregelt würde, winkt dieser blauäugig ab: Es gäbe keine technikimpliziten oder gesetzesgeregelten Einschränkungen, Daten über das Konsumentenverhalten zu sammeln, doch er nehme nicht an, daß diese Informationen für irgendjemand relevant seien. Es bleibt also den Betreibern überlassen, ob sie es für Wert befinden, Name, Adresse und bestelltes Produkt in intelligente Datenbanken einzufüttern oder nicht. Außerdem sei es doch ein Fortschritt an sich, wenn der Zuseher nicht mehr zum Telefon greifen muß, um das gezeigte Produkt zu erwerben, sondern direkt über die Fernbedienung Bestellungen aufgeben kann. Eine zweifelhafte Bereicherung, die darin besteht, die letzte Hemmschwelle, den letzten Moment des Überdenkens vor dem Kauf, Hand in Hand mit der Anonymität des Individuums, auszuschalten.

Eine steinige Zukunft für DTT

Sind die Vorzüge von DTT gegenüber konventionellem analogem TV also schon nicht so begeisternd, was damit zu begründen ist, daß das Medium noch in den Kinderschuhen steckt, so wird sich DTT gegenüber digitalem Satellitenfernsehen besonders schwer tun. Nicht nur, daß das Murdoch-gepowerte SkyDigital bereits in der Zahl der Subskribienten davongezogen ist, auch in der Zahl der Kanäle und der damit gesteigerten Auswahlmöglichkeit haben die News Corp. Soldaten deutlichen Vorsprung. Und auch das Image in der britischen Presselandschaft spricht gegen DTT. Sie werden häufig als dieser etwas langweilige Haufen dargestellt, der bisher alles falsch gemacht und bei weitem nicht denselben New Media Glamour wie SkyDigital entwickelt hat. So haben die digitalen Terrestrischen zum Start zwar eine 10 Mill. Pfund teure Kampagne gestartet, aber derzeit können sie nicht einmal eine der Nachfrage entsprechende Anzahl von Geräten bereitstellen, so daß Wartezeiten von mehreren Wochen angesagt sind.

Da bleibt DTT nur die Hoffnung auf den langfristigen Strukturwandel. Mit der Zeit werde sich das einfachere und in der Installation billigere System durchsetzen, so hofft man. Und auf ganz lange Sicht erscheint die Umstellung auf digitales Fernsehen sowieso unabwendbar. Das analoge Fernsehen soll eingestellt werden, sobald die digitale TV-Infrastruktur des Landes flächendeckend eingeführt ist: DTT - die unvermeidiche Zukunft.

Die Lizenzhalter werden von der Regierung als Infrastrukturentwickler gesehen, und werden daher während der gesamten ersten Lizenzperiode von 12 Jahren von der Unternehmenssteuer befreit. Ganz allgemein verspricht man sich durch die Einführung von digitalem TV einen Wachstumsschub für die Wirtschaft. Die stagnierende Elektronikindustrie soll mehr Geräte umsetzen können, in digitalen Sendezentren und Shopping Call Centres sollen neue Arbeitsplätze entstehen.

Doch auch diesen langfristigen Hoffnungen könnten noch neuere digitale Technologien einen Strich durch die Rechnung machen. Denn neue Anbieter ebenso neuer interaktiver Dienste stehen bereits in den Startlöchern für Produktlaunches im Frühjahr nächsten Jahres. Die Kabelgesellschaft NTL, British Interactive Broadcasting und Cable and Wireless feilen alle an digitalen Angeboten, die auf der Verbindung von Kabelfernsehen und Internet beruhen. Das Niveau der Interaktivität, das bisher über Teletext plus Produktbestellung nicht hinausgeht, wird dann mittels wesentlich mehr an das WWW erinnernder Oberflächen eine deutliche Steigerung erleben.