Dies "ist eine politische Entscheidung"

Seite 3: Mindestens so gut wie eine Impfung

Auch beim Vergleich zwischen dem Schutz durch eine Impfung und durch eine Infektion stimmen eine Reihe von Experten überein. Lauterbach unterstreicht, dass die ursprüngliche Annahme, Genesene seien schlechter als Geimpfte geschützt, sich als falsch herausgestellt habe.

Streeck erklärt, dass Genesene "genauso gut, vielleicht sogar besser langfristig (das wissen wir noch nicht)" geschützt sind. Klaus Stöhr fragt auf Twitter:

Ist irgendjemandem erklärlich, warum Genesene nach 6mo diesen Status verlieren? Der Immunschutz nach Infektion sollte breiter aufgestellt sein und mindestens genauso lange halten, wie nach der Impfung. Langzeitdaten für Genesene liegen jetzt vor; bessere als für Geimpfte.

Klaus Stöhr

Ganz in diesem Sinne begründet Alexander Kekulé seine Zweifel an der Sechs-Monats-Regel:

Die Empfehlung des RKI stammt noch aus der Anfangszeit der Impfstoffe. Damals gab es vereinzelte Vermutungen, der Impfschutz könnte besser sein als der Schutz durch eine Infektion. Das RKI hat deshalb die Impfung auch für Genesene empfohlen.

Alexander Kekulé

Der Vorstand der Gesellschaft für Virologie schreibt:

Daten aus mehreren Ländern belegen, dass Menschen, die eine Sars-CoV-2 Infektion durchgemacht haben, gegen eine erneute Infektion oder Erkrankung sehr gut geschützt sind, und dass sich dieser Schutz auch auf Virusvarianten, inklusive der Delta-Variante, erstreckt. In den ersten sechs Monaten nach durchgemachter Infektion ist der Schutz vor erneuter Sars-CoV-2 Infektion mindestens so gut ausgeprägt wie der Schutz von vollständig Geimpften.

Vorstand der Gesellschaft für Virologie

Eine Forderung zahlreicher Experten

Nach dem Dargestellten kann es kaum überraschen, dass zahlreiche Experten ein Ende der Ungleichbehandlung von Genesenen wünschen und den besonderen Schutz durch eine überstandene Infektion betonen. Prof. Dr. Sebastian Ulbert fordert: "Wenn Genesene mindestens genauso gut geschützt sind, können sie nicht - im Gegensatz zu Geimpften - nach sechs Monaten wieder so behandelt werden, als hätten sie das Virus nie gesehen."

Alexander Kekulé betont: "Die Empfehlung des RKI sollte aufgrund des aktuellen Wissensstandes angepasst werden. Demnach hält der Schutz deutlich länger als ein halbes Jahr an, insbesondere im Hinblick auf schwere Verläufe und Todesfälle."

Der Vorstand der Gesellschaft für Virologie fordert: "Auf Grund dieser aktuellen Erkenntnisse sollten Genesene bei Regelungen zur Pandemie-Bekämpfung (z.B. Testpflicht) den vollständig Geimpften zunächst für mindestens ein Jahr gleichgestellt werden. Eine Überprüfung des empfohlenen Zeitpunktes einer Impfung nach überstandener Sars-CoV-2 Infektion wird angeraten."

Angesichts der übereinstimmenden Haltung der Experten stellt sich die Frage: Auf welcher wissenschaftlichen Grundlage wurde die Entscheidung getroffen, dass der Schutz einer Infektion nur auf sechs Monate begrenzt wird und ist diese Einschätzung auch nach dem heutigen Stand der Wissenschaft noch haltbar?

Wessen Entscheidung?

Eine Anfrage von Telepolis an die Stiko (Ständige Impfkommission), auf Grundlage welcher wissenschaftlichen Studien, die Begrenzung des Schutzes von Genesenen auf sechs Monate festgelegt wurde, wurde prägnant und präzise beantwortet:

Die Verordnung, die die sechs Monate vorgibt, ist eine Entscheidung der Politik.

Stiko

Eine politische Entscheidung

Auf Anfrage von Telepolis antworte das Bundesministerium für Gesundheit zu diesem Thema:

Für Personen, die bereits eine Sars-CoV-2-Infektion durchgemacht haben, empfiehlt die Stiko die Verabreichung einer einmaligen Impfstoffdosis, da derzeit verfügbare klinische und immunologische Daten eine Schutzwirkung von mindestens sechs bis zehn Monaten nach überstandener Sars-CoV-2-Infektion belegen. Nach derzeitigem Forschungsstand und aufgrund epidemiologischer Daten ist davon auszugehen, dass während eines Zeitraums von sechs Monaten ein guter Schutz für Genesene besteht.

Bundesministerium für Gesundheit

Inwiefern diese Begründung zur Festlegung des offiziellen Schutzes für Genesene auf sechs Monate, welche offenbar auf älteren Studien basiert, angesichts der angeführten aktuellen Studien und zitierten Experten noch haltbar ist, erscheint fraglich.

Es ist schwer verständlich, wenn bei einer solch zentralen medizinischen Frage, die das Leben von Hunderttausenden, vermutlich sogar Millionen Deutschen betrifft, nur bedingt nach wissenschaftlicher Expertise bewertet wird, sondern letztendlich "eine politische Entscheidung" ist - gerade angesichts einer Politik, die sich immer wieder auf das Primat der Wissenschaft beruft.

Und nicht zuletzt: Politische Entscheidungen ohne wissenschaftliche Basis, welche die Freiheit des Bürgers (genesen) beschränken, sind schlicht mit Art. 2 Abs. 1 GG nicht vereinbar, sondern rechtswidrig. Sollte es daher nicht dringend geboten sein, die Regelung unverzüglich den aktuellen wissenschaftlichen Erkenntnissen anzupassen?