Diese Russen wollen keinen Krieg
Seite 2: Auseinandersetzung im anarchistischen Lager
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Auch im autonomen und anarchistischen Lager gibt es sehr unterschiedliche Standpunkte, allerdings gibt es dort keine Pro-Putin-Positionen, außer bei einzelnen Anarchisten der 1980er-Jahre, die inzwischen die Seiten gewechselt haben. "Die Spaltungslinien im anarchistischen Spektrum Russland verlaufen zwischen einer "Gegen Alle"-Position und einer kritischen Unterstützung der ukrainischen Selbstverteidigung", schreibt Kasakow.
Für erstere Position steht die Internationale Arbeiter Assoziation. Mit zweien ihrer Mitglieder führt Kasakow ein Interview: "Wir verurteilen sowohl die Invasion der russländischen Truppen, als auch die Handlungen der Ukraine und der Nato-Mitgliedsstaaten. Wir sehen es so, dass dieser Krieg – wie alle anderen Kriege im Zeitalter des Kapitalismus – nur den Interessen der herrschenden Klassen und Eliten dient und gegen die arbeitende Bevölkerung gerichtet ist. Deshalb unterstützen wir in unserer Internationale keine dieser kriegführenden Staaten und wünschen keiner den Sieg", erklären sie ihre antimilitaristische Position.
Hingegen beschwört der ehemalige Mitbegründer der anarchistischen Organisation KRAS, Wladimir Platonenko, das bewaffnete ukrainische Volk und erzählt von Freiwilligen aus aller Welt, die dort gegen den russischen Angriff kämpfen, ohne zu erklären, woher die kommen und welche politische Positionierung dahinterstehen soll.
Feministische Positionen gegen den Krieg
Ein weiteres Kapitel widmet sich dem feministischen Widerstand gegen den Krieg, der aber nur mit Abstrichen als links bezeichnet werden könne. Schließlich sagte die von Kasakow interviewte Soziologin Masrija Wjatschinko, dass sie sich keineswegs als Linke versteht. Sie bezeichnet sich als dekoloniale Feministin. Für sie war auch die Sowjetunion eine Kolonialmacht, deren vollständige Auflösung sie fordert.
Dass sich die Bolschewiki gegen großrussischen Chauvinismus wandten und nach der Gründung der Sowjetunion Programme für die Angleichung der Lebensbedingungen im ganzen Land initiierten, von denen gerade die im Zarismus ausgebeuteten Regionen profitierten, ist für Wjatschinko nur Propaganda. Mit dieser sehr prowestlichen Position ist Wjatschinko er auch im feministischen Lager umstritten.
Das zeigt das im Buch abgedruckte Interview, das Kasakow mit der sozialistischen Feministin Alla Mitrofanowa führte. Die Menschen hätten sich nach der Oktoberrevolution "massenhaft in das politische Leben eingeschaltet über horizontale Institutionen von Sowjets über Schenotdels (Frauenabteilungen) und den Proletkult", sagt sie. Mitrofanowa bezieht sich auch positiv auf Rosa Luxemburg. Einige der im Bereich Feminismus vorgestellten Positionen korrespondieren aber auch mit der prowestlichen russischen Opposition, die vor allen in grünen-nahen Kreisen sehr protegiert wird.
Am 22. Januar 2023 lag der taz die deutschsprachige Ausgabe der russischen Zeitung Novaya Gazeta bei, in der fast ausschließlich diese prowestlichen Stimmen der russischen Opposition zu Wort kommen – darunter auch Stimmen der extremen russischen Rechten.
So schreibt dort ein Leonid Gozman: "Unser Land ist schon einmal verschwunden – es wurde von den Bolschewiken zerstört. Nach dem Oktoberputsch gab es ein Territorium, auf dem gewisser Wahnsinn stattfand, aber zu Russland, zu seiner Kultur, zu seiner Geschichte hatte das keinen Bezug mehr." Das sind die Positionen russischer Nationalisten, die sowohl im Umfeld von Putin als auch in der Opposition vertreten sind.
Russische Bündnispartner für eine Antikriegsbewegung
Es ist ein Verdienst von Kasakows Buch, dass dort die hierzulande verschwiegene linke Opposition in Russland zu Wort kommt. "Meinst Du die Russen wollen Krieg?" So lautete der Titel eines eindrucksvollen Gedichtes des sowjetischen Schriftstellers und Dichters Jewgeniy Jewtuschenko. Lange wurde es von denen zitiert, die sich für gute Beziehungen zur Sowjetunion und später zu Russland aussprachen. Nach dem 24. Februar 2022 wagte kaum noch jemand, das Gedicht zu zitieren.
Doch Ewgenly Kasakow zeigt, dass längst nicht alle Menschen in Russland Krieg wollen. Im Gegenteil, viele nehmen Repressalien in Kauf, indem sie ihre Ablehnung des Krieges offen zeigen. Hier gäbe es Bündnispartner für die Menschen in aller Welt, auch in der Ukraine, die nach fast einem Jahr das Töten beenden wollen. Mehrmals geht Kasakow in seinen Fragen auch auf die Zimmerwalder Linke ein – ein Bündnis von Arbeiterparteien, die im Ersten Weltkrieg den Militarismus auf allen Seiten bekämpften. Eine wichtige Kraft in der Zimmerwalder Linken waren 1915/16 die Bolschewiki.