Diyarbakir - Stadt-Zerstörung und Enteignung

Seite 3: Gentrifizierung und ethnische Säuberungen

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Nach dem Kahlschlag hat das Ministerium für Umwelt und Urbanisierung seit Anfang 2017 mit der Neu-Bebauung durch die staatliche Wohnungsbaubehörde TOKI begonnen. Die zweistöckigen Betonklötze sind mit einer dünnen Schicht aus schwarzem Basaltstein versehen.

Für Diyarbakir waren Häuser aus kompaktem schwarzem Basaltstein typisch. Typische Häuser im Quartier besaßen immer einen Innenhof. Die typische TOKI-Bauart und die neuen, breiten Straßen haben nichts vom ehemaligen Flair des Quartiers. Die Neubebauung hält sich auch nicht an die Vorgaben der UNESCO zum Aufbau historischer Stadtkerne. Für die vertriebene Bevölkerung gibt es kein Zurück mehr, denn die Häuser sollen teuer verkauft werden. Die ehemaligen Hausbesitzer erhielten nur geringe Entschädigungen für ihre Häuser und Mieter gingen komplett leer aus. Ihnen bot man lediglich 1500 Euro für die Inneneinrichtung an. Viele lehnten dies empört ab, weil sie es als zusätzliche Beleidigung und Demütigung empfanden.

Aktuell steht der Regierung Tür und Tor offen zur Kommerzialisierung der Altstadt von Diyarbakir und den Hevsel-Gärten an den Hängen des Tigris-Tals. Es handelt sich dort um eine exklusive Lage, mit der sich viel Geld machen lässt. Die Hevsel-Gärten, die Jahrtausende lang die Bevölkerung Diyarbakirs mit Obst und Gemüse versorgt haben, sollen zwar im Kern erhalten bleiben. Drumherum sollen aber in der sogen. Pufferzone des Weltkulturerbes (ein Gebiet rund um ein Weltkulturerbe, dessen spezifischer Charakter ebenfalls erhalten bleiben soll) Freizeitanlagen, Geschäfte und Häuser für Reiche entstehen.

Mit der Zerstörung des Tigristals wurde ebenfalls im Frühjahr begonnen. An der historischen Brücke (die 10 -Augen-Brücke) über den Tigris wurde eine Moschee gebaut, zwei der zehn Durchgänge der Brücke wurden für den Bau von Cafes zugeschüttet. Lizenzen für Dutzende von Cafes wurden für das Areal vergeben. Große Bebauungsprojekte im Tigristal sind schon in Planung. Sie werden auch dort die in sehr einfachen Häusern lebende Bevölkerung verdrängen. Der Reiche hat nicht gern die Armut vor seiner Haustür.

Hochhäuser an der Augenbrucke. Bild: Ercan Ayboga

Die Verdrängung der kurdischen Bevölkerung durch Kommerzialisierung ist nur ein Aspekt. Die Ansiedlung anderer Ethnien im gesamten Südosten der Türkei soll dazu dienen, die Demographie nachhaltig zu verändern und damit auch die politischen Machtverhältnisse im Südosten der Türkei. Die beiden UN-Sonderberichterstatter, Annalisa Ciampi and Koumbou Boly Barry, stellen in ihrem Bericht fest: "Through urban renovation and expropriation projects, the state is meddling with the ethnic, social, cultural and demographic makeup of the region."

Kursunlu-Moschee. Bild: Ercan Ayboga

In Van werden beispielsweise Afghanen, Tschetschenen, Usbeken und Uiguren angesiedelt. Sie bekommen neu gebaute TOKI-Häuser zur Verfügung gestellt. In der Region werden sie auch militärisch ausgebildet, berichtet ANF.

In den ländlichen Gebieten konfiszieren die Militärs die Herden der Bauern und ihre selbsterzeugten Lebensmittel wie Käse und Brot. Bewaffnete, von der Regierung eingesetzte "Dorfschützer" beteiligen sich an der Enteignung der kurdischen Bauern. Nicht selten sind sie es, die die Dorfbevölkerung terrorisieren, schlagen und foltern. Straßen in den Bergen werden abgesperrt, sodass die Bauern ihr Vieh und ihre Produkte nicht auf den Märkten verkaufen können. Damit entzieht man den Bauern ihre Lebensgrundlage und macht sie letztendlich zu Flüchtlingen. Eine weitere Vertreibungsmethode ist das Abbrennen von Wäldern und Feldern indem aus Militärhelikoptern Brandbomben abgeworfen werden.

In der gleichgeschalteten Presse der Türkei finden diese Enteignungen und Zerstörungen, wie überhaupt die Gewalt im kurdischen Südosten der Türkei, kaum Erwähnung. Wenn doch einmal berichtet wird, dann macht man die PKK dafür verantwortlich. Die Schriftstellerin Nurcan Baysal brachte die absurde Argumentation, mit der die Menschenrechtsverletzungen gerechtfertigt werden am Sonntagabend beim Berliner Literaturfestival literarisch auf den Punkt: "Der Staat hat Silvan 12 Tage lang bombardiert, in Brand gesteckt, dem Erdboden gleich gemacht." - "Aber da sind Schützengräben!" "Der Staat hat Nusaybin 14 Tage lang von Nahrung und Wasser abgeschnitten, kleine Kinder und schwangere Frauen auf ihren eigenen Balkonen erschossen." - "Aber da sind Schützengräben!" "Der Staat hat in Cizre den Menschen nicht erlaubt, ihre Kinder zu begraben, hat die toten Körper der Kinder in Kühlschränke eingesperrt." - "Aber da sind Schützengräben!" "Soldaten haben in Tendürek junge Kurden verbrannt, nachdem sie sie getötet haben." - "Aber da sind Schützengräben!" "Helin hatte Hunger. Als die Bäckerei wieder aufmachte, wollte sie dort schnell ein warmes Brot holen, sie haben ihr in den Kopf geschossen." - "Aber da sind Schützengräben!" "Seit Tagen liegen die Leichen getöteter junger Kurden auf dem Boden, der Staat erlaubt nicht, sie zu bergen." - "Aber die heben Schützengräben aus!" "Der Staat bombardiert Friedhöfe, martert tote Körper". - "Aber da sind Schützengräben!"