Documenta15: Einseitige Lerneffekte mit Wohlfühlfaktor

Der Skandal um ein Großbild aus Indonesien ist beispielhaft für Deutschlands Haltung zu seiner Geschichte. Und die Debatte zeigt, wie wir auf die Welt schauen. Viel wurde ausgeblendet, überdeckt und beiseitegeschoben.

Wir haben es wieder hinbekommen. Ähnlich wie in der Debatte um den Historiker Achille Mbembe und die Ruhrtriennale 2020 erschüttert nun 2022 auch in Kassel eine Antisemitismus-Debatte das Land – aber nicht die Welt, was man in Deutschland aber kaum wahrzunehmen in der Lage scheint; zumindest nicht in weiten Teilen des hiesigen Mediendiskurses.

Da kommt doch so ein Künstlerkollektiv aus dem sogenannten Globalen Süden daher und will uns etwas über post- bis neokoloniale Gewalt vermitteln oder zumindest auf das ungerechte Schicksal ihres Landes Indonesien hinweisen, aber die Lerneffekteund um die Documenta wenden sich in die andere Richtung. Was genau ist passiert? Und warum ist es schon wieder so passiert? Und wie ließe sich aus dem engen Teufelskreis aussteigen, um nicht die immer gleichen Diskursrituale erneut zu reproduzieren?

Kampf gegen Antisemitismus: Ehrlichkeit und Instrumentalisierung

Großartig hat das Künstlerkollektiv Taring Padi aus Indonesien nach anfänglichen Verständnisschwierigkeiten auf den Nachweis reagiert, dass ihr Giga-Wimmelbild People's Justice an mindestens zwei Stellen durch das Einbringen jüdischer Symbolik (Davidstern) in die Kritik an politischer und umstürzlerischer Einmischung durch ausländische Geheimdienste antisemitische Darstellungen mischt.

Die noch lebenden Künstler der 20-Jahre alten Installation haben ihr Verstehen mitgeteilt, dass die Kritik an der gewaltsamen Einflussnahme zur Unterstützung der Suharto-Diktatur durch diese Symbolik eine Linie überschritten hat, nämlich weg von der konkreten Kritik in diesem gemalten Volkstribunal an der nicht strittigen Beteiligung auch des israelischen Geheimdienstes Mossad hin zur Verweisung der Problematik an das gesamte Judentum.

Das ist eben Antisemitismus und der gehört aufgedeckt und problematisiert. Auch die internationale Kuratorengruppe der Documenta Ruangrupa entschuldigte sich für das Übersehen der problematischen Zeichnungen.

Wenn man mit der Documenta den internationalen Dialog über mehrperspektivische Weltsichten, Postkolonialismus, Kunst und auch Rassismus befördern will, dann wäre dies an dieser Stelle gelungen – aber nur in die eine Richtung. Und das ist dann noch kein Dialog, sondern einseitigeKommunikation, und zwar eine überheblich belehrende.

Umgekehrt haben die Learnings, die Lerneffekte, nämlich nur partiell stattgefunden, wenn überhaupt. Es gab ein paar Medienbeiträge, die versuchten auch die Perspektive des Globalen Südens aufzuzeigen und einfließen zu lassen, was das Monumentalwerk People's Justice genau bedeutet und welche Symbolik darin anders Verwendung findet, als wie man diese in unseren Breitengraden versteht (z.B. in der Berliner Zeitung von Joseph Croitoru). Aber wie das bei polarisierten Diskursen in großen Aufregerzeiten nun einmal ist, wurde diesen Stimmen schnell Relativierung oder gar selbst Antisemitismus unterstellt.

Das Ergebnis scheint im Großen und Ganzen vergleichbar mit dem provinziellen Diskurs der Mbembe-Debatte, die auch nicht darüber hinaus kam, wie "wir" die Dinge sehen und sie bestenfalls alle anderen zu sehen haben.

Damit reihen sich die verkürzten Debatten ein in die Inkriminierung von international tätigen Aktivisten, Künstlern und Wissenschaftlern, wie beispielsweise den Südafrikaner Farid Esack, dem in Deutschland Sprechverbot erteilt wurde, oder auch Moshe Zuckermann, dem als linker Israeli regelmäßig Selbsthass oder sogar Antisemitismus vorgeworfen wird für seine kritische Einschätzung israelischer Politik. Hierbei geht es um die Möglichkeit, israelische Politik gegenüber den Palästinensern zu kritisieren.

Um jedoch zu verhindern, dass die Situation in Israel-Palästina im Rechtsrahmen von Menschen- und Völkerrecht debattiert wird, helfen Antisemitismusvorwürfe – wie es Moshe Zuckermann im Buch Antisemit, ein Vorwurf als Herrschaftsinstrument überzeugend dargelegt hat.

Besonders, aber nicht nur in Deutschland, auch und gerade in den USA wird mit diesem Vorwurf auf der sehr effektiven Plattform Canary Mission alles niedergemacht, was nicht die Politik der Stärke stets strauchelnder israelischer Regierungen gutheißt. Ganz auf Linie eines Strategiepapiers aus dem Reut-Institut (kürzlich umbenannt in Reut-Group), das als Ziel der international gut vernetzten Kampagnen ausgibt, dass die Politik Israels sich nicht verändern dürfe.