Dogwhistling über Clan-Kriminalität: Klar ist, wer sich angesprochen fühlt

Über arabische Großfamilien kursieren Mythen und Legenden. Oft werden sie mit organisierter Kriminalität in Verbindung gebracht. Foto: Buchcover "Dakhil - Inside Arabische Clans"

Abschiebepläne, weil Wahlkampf ist: Kommentarspalten füllen sich mit rechter Hetze. Schlimmer ist, wie das in migrantischen Communites ankommt.

In Hessen ist Wahlkampf und die SPD ist verzweifelt. Die AfD befindet sich bundesweit im Umfragehoch und vielleicht ist das auch der Grund, warum das Bundesinnenministerium ausgerechnet jetzt einen "Diskussionsentwurf für ein Gesetz zur Verbesserung der Rückführung" veröffentlichte.

Schließlich handelt es sich bei der amtierenden Leiterin des Ministeriums um Nancy Faeser, die gleichzeitig auch Spitzenkandidatin der SPD im hessischen Wahlkampf ist. Dass der Diskussionsentwurf dann mit der Schlagzeile "Innenministerium will Angehörige von Clans kollektiv abschieben" Eingang in die öffentliche Debatte fand, mag wiederum daran liegen, dass eine Spitzenpolitikerin wie Faeser nicht abschätzen kann, was die Medien aus so einem Papier machen – weil sie zu naiv oder zu gutgläubig ist – oder aber der Gesetzentwurf wurde von ihr und ihrem Haus genau so in Umlauf gebracht.

Ohne Not. Ohne aktuellen Anlass. Einfach so. Weil halt Wahlkampf ist und man hofft, der AfD so ein paar Stimmen abjagen zu können. Denn wenn gar nichts mehr geht – Clan-Kriminalität geht immer. Clan-Kriminalität steht nämlich für die verfehlte Integrationspolitik der letzten Jahrzehnte und muss als Warnung für die aktuelle Migrationsdebatte herhalten.

Ein sicheres Ticket zum Fischen in rechten Gewässern

Clan-Kriminalität ist die Warnung, dass der Staat nicht zu lasch sein darf. Clan-Kriminalität passt zur Randale in deutschen Freibädern genauso wie zu Gang-Streitigkeiten im Ruhrgebiet oder den Jugendrevolten in Frankreich. Mit anderen Worten: Clan-Kriminalität ist das sichere Ticket, wenn man in rechten Gewässern fischen will.

Allerdings ist der Vorstoß der Bundesinnenministerin oder das, was die Presse daraus gemacht hat, so dumm, dass sich sogar CDU-Rechtsaußen Hans Georg Maaßen zu Wort meldete, um Faeser zu widersprechen. Ganz Verfassungspatriot, schrieb der Ex-Geheimdienstchef auf Twitter: "Faesers Vorschlag, Familienmitglieder von kriminellen Clanmitgliedern abzuschieben, auch wenn sie sich nicht selbst strafbar gemacht haben, kommt einer Sippenhaft gleich, ist deshalb verfassungswidrig und verstößt gg die EMRK."

Doch um Sippenhaft ging es der Innenministerin anscheinend gar nicht – eher wieder mal um einen Vorstoß in Sachen Abschiebung. Das Diskussionspapier selbst enthält nämlich nur den Vorschlag, als zusätzlichen Grund für eine Ausweisung mit aufzunehmen, dass der Betroffene einer "Gemeinschaft der Organisierten Kriminalität" im Sinne der kriminellen Vereinigung nach § 129 Strafgesetzbuchs angehört oder angehört hat oder eine solche unterstützt – was dann allerdings "unabhängig von einer strafrechtlichen Verurteilung" feststellbar sein soll.

Dieser Vorschlag stützt sich auf eine bereits gängige Praxis, nach der Ausländer aus der Bundesrepublik ausgewiesen werden können, wenn sie einer terroristische Vereinigung nach §129 a oder aber einer ausländischen terroristischen Vereinigung nach § 129b StGB angehören oder diese unterstützen.

Eine Regelung, die übrigens nicht nur bei Islamisten oder islamistischen Gefährdern Anwendung findet, sondern vor allem bei linken Aktivist:innen, denen man zum Beispiel eine Nähe zur PKK unterstellt.

Nun handelt es sich bei diesen Organisationen aber immerhin um Vereinigungen, die höchstrichterlich als terroristisch anerkannt oder die zumindest auf irgendeiner Terrorliste stehen – ob zu Recht oder nicht, spielt an dieser Stelle erst mal keine Rolle.

Der Vorstoß der Innenministerin, diese Praxis nun auch auf "normale" kriminelle Organisationen auszudehnen, führt hingegen allerdings in die Irre, denn was das mit arabischen, kurdischen oder türkischen Großfamilien und der sogenannten Clan-Kriminalität zu tun haben soll, ist nicht nur Hans Georg Maßen schleierhaft.

Clan-Kriminaltität ist juristisch undefiniert

Schließlich handelt es sich beim Begriff der Clan-Kriminalität gar nicht um eine juristische Definition, sondern lediglich um ein diffuses Konzept der Strafverfolgungsbehörden und vor allem der Medien.

In alle den Jahren, in denen dieser Begriff herumgeistert, gibt es nämlich keinen einzigen Fall, in dem eine Familie, eine Großfamilie, ein Clan oder wie man diese Familiennetzwerke auch immer bezeichnen will, wegen §129, 129a oder 129b angeklagt, verfolgt, geschweige denn verurteilt worden wäre.

Dieser Straftatbestand existiert im Familienzusammenhang schlicht und ergreifend nicht und der Begriff "Clan-Kriminalität" ist eine ziemlich miese Behelfskonstruktion des Bundeskriminalamts, das ihn im Jahr 2018 erstmals offiziell in einem Lagebericht eingeführt hat und in dem von "ethnisch abgeschotteten Gruppen" sowie "Tumultlagen durch Menschenansammlungen" als Definitionskriterien gesprochen wurde.

Dass diese Beschreibungen wenig tauglich sind, wenn es um die Verfolgung der Organisierten Kriminalität geht, hinderte einige Landeskriminalämter aber nicht daran, Ordnungswidrigkeiten und Strafzettel wegen Geschwindigkeitsübertretungen in die "Clan-Statistiken" mit aufzunehmen – Hauptsache der Nachname passte ins Raster.

Ansonsten wurde der Begriff aber eher in der Presse groß gemacht und besitzt rein juristisch keinerlei Relevanz, weshalb er selbst von der Staatsanwaltschaft auch nicht genutzt wird. Dies konnten wir in einem Interview mit der Staatsanwaltschaft Berlin für unser Buch Dakhil Inside arabische Clans nachweisen und so führt es auch Verfassungsrechtler Kilian Wegner in einem längeren Beitrag auf der Internetseite "Der Verfassungsblog" aus.

Viel heiße Luft um gar nichts also? Eine Nebelkerze der Bundesinnenministerin ohne weitere Folgen? Nicht ganz. Denn gesellschaftlich liefert die Debatte genau das, was sich Politikerinnen und Politiker wohl davon versprechen. Dogwhistling mit der rechten Hundepfeife. Die richtigen Leute fühlen sich angesprochen.

Migration als Problem ist wieder in den Medien und Nancy Faeser hofft wohl darauf, dass sie und ihre SPD als Partei wahrgenommen werden, die so richtig hart durchgreifen können. Ob zweiteres so funktioniert darf bezweifelt werden, dass sich die angesprochenen Leute zu Wort melden und in den jeweiligen Kommentarspalten, ihre rassistische Hetze von sich geben, ist offensichtlich. So weit, so dumm.

Das Zeichen ist klar

Tragischer allerdings ist das Signal in die andere Richtung. Bei weiten Teilen der migrantischen Bevölkerung, aber vor allem bei den Familienmitgliedern der angesprochenen Großfamilien selbst, entsteht wieder einmal das Gefühl, in diesem Land nicht willkommen zu sein.

Auch wenn der Gesetzesvorstoß im Grunde nur Leute betrifft, die keine deutsche Staatsangehörigkeit besitzen – was für einen Großteil der Mitglieder von arabischen Großfamilien gar nicht gilt, weil sie längst oder auch seit Geburt deutsche Staatsangehörige sind, so wirkt eine solche Ankündigung und das, was die Presse daraus macht, wie ein Schlag ins Gesicht.

Das Zeichen ist klar: Ihr seid hier nicht erwünscht. Ihr sollt hier weg, dann wäre alles viel schöner. So als wäre mit der Ausweisung von unliebsamen Ausländern alle sozialen Verwerfungen in dieser Gesellschaft beseitigt und als gäbe es keine Verbrechen mehr, wenn man diese Personen mit ihrer fremden Kultur abschiebt. Ihr passt hier nicht her. Ihr müsst weg und genau so kommt es bei den Betroffenen auch an.

Mein Ko-Autor Mohamed Chahrour beschrieb deshalb auch im Gespräch mit T-Online, wie die Debatte der letzten Tage bei ihm persönlich und innerhalb der Community angekommen ist:

Bei dem Tonfall, der da angeschlagen wurde, hatte ich wieder einmal den Eindruck, in diesem Land nicht willkommen zu sein. Das hat mich und viele andere getroffen und verletzt.

Wissen Sie, ich bin in diesem Land geboren, ich bin hier zu Hause, und trotzdem fühle ich mich manchmal heimatlos. Das macht mich wirklich traurig, und es sind diese Debatten und es ist dieser Tonfall, die dieses Gefühl verstärken.


Mohamed Chahrour, Mitautor des Sachbuchs "Dakhil - Inside Arabische Clans"Ghost, 2022

In diesem Sinne bleibt von diesem Vorstoß des Bundesinnenministeriums tatsächlich nur Bitterkeit zurück. Faeser selbst wiegelt ab und setzt gleichzeitig nach. Gegenüber der Rheinischen Post erklärte sie: "Es geht dabei um kriminelles Handeln, nicht um Verwandtschaftsverhältnisse. Der Familienname sagt nichts darüber, ob jemand kriminell ist" – nur um gleichzeitig zu betonen: "Wir müssen den Kampf gegen organisierte Kriminalität konsequent führen. Clan-Kriminalität ist ein Teil davon."

Dass der Anteil von Straftaten, die von Clanmitgliedern in Berlin verübt wurden, im letzten Jahr lediglich bei 0,2 Prozent an der gesamten Kriminalitätsstatistik betrug, scheint die Ministerin nicht zu stören. Für den Wahlkampf reicht es offensichtlich.

Marcus Staiger ist einer der Autoren des Sachbuchs "Dakhil - Inside Arabische Clans". Ghost Brand Management GmbH, November 2022