Dolly und die Folgen

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Man konnte es überall lesen und hören: Schottische Wissenschaftler haben erstmals aus Zellen eines erwachsenen Schafes eine genetisch identische Kopie geschaffen. Dolly wurde weltberühmt. Weil der Zellkern aus einer weiblichen Brustzelle stammte, war das Vorbild für Dolly die amerikanische Country.-Sängerin Dolly Parton, deren Brüste der Embryologe Ian Wilmut mit der Taufe des Schafs ein Denkmal gesetzt hat. Natürlich sagen jetzt alle, daß niemals Menschen geklont werden sollen. Aber das wird wohl niemand glauben. Endlich hat man es geschafft, die Männer und ihre Samen im Reproduktionsprozess überflüssig zu machen. Gerade die Samenproduktion der westlichen Männer nähert sich bereits dem Fruchtbarkeitsgrenzwert.

Dolly mit ihrer Ersatzmutter

Schon seit Beginn der Gen-Forschung stand das Klonen als Möglichkeit, identische Kopien von Organismen zu erzeugen, ganz oben. Nur glaubte man, daß es noch lange Zeit dauern werde, bis man dazu imstande sei. Deshalb wurde wenig über die Folgen nachgedacht. Jetzt also gibt es plötzlich das schottische Schaf-Klon Dolly und die Aufregung ist groß. Zwei Tage nach der Bekanntgabe der schottischen Wissenschaftler gab ein neuseeländisches Institut bekannt, daß sie aus Zellen eines Embryos drei geklonte Lämmer geschaffen haben.

Wissenschaftlich überraschend war beim schottischen Klon, daß auch die Zellen eines erwachsenen Schafes noch die Fähigkeit zum Neustarten des genetischen Programms besitzen. Bislang ging man davon aus, daß ausdifferenzierte Zellen dazu nicht mehr fähig sind, weil ihr Genom auf bestimmte Aufgaben spezialisiert sei. Deswegen gilt die Einsetzung des Zellkerns in eine entkernte Eizelle auch als erfolgreiches Zurückdrehen der biologischen Uhr. Die Forscher setzten die Spenderzelle zunächst in eine Salzlösung, in der ihre Aktivität auf ein Minimum reduziert wurde und sie das Teil und Kopieren ihrer DNA einstellte. Möglicherweise war dies der Grund, warum die entkernte Eizelle den Zellkern neu zu programmieren vermochte. Ob das freilich auch mit sehr alten Zellen, die durch Alterungsprozesse bereits beschädigt sind, funktionieren würde, ist unbekannt. Wenn man sich also klonen will, dann möglichst frühzeitig und nicht erst als Greis. Allerdings versprechen die schottischen Wissenschaftler, daß man auch eingefrorene Tote wieder erwecken könne, weil die zur Herstellung von Dolly entnommenen Zellen ebenfalls eingefroren waren. Das wird der Kryonik dann doch einen Aufschwung geben, zumal man nicht mehr seinen Kopf oder gar seinen ganzen Körper nach dem Tod einfrieren muß, sondern lediglich ein paar seiner Zellen.

Auch wenn nun Politiker aufgeschreckt agieren und versuchen, die Löcher zu stopfen, um das Klonen von Menschen zu verhindern, also wie stets nur nachträglich reagieren, wäre es an der Zeit, jenseits von apokalyptischen Visionen zu erwägen, wie man denn mit dem Klonen von Menschen umgehen könnte. Selbst wenn viele Länder nun die Lücken schließen und das Klonen von Menschen ächten sollten, wird es irgendwann und irgendwo gemacht werden und zu einer denkbaren Praxis werden.

Sicher, vorerst ist die Ausrichtung des Klonens auf die Herstellung von transgenetischen Tieren ausgerichtet, die bestimmte Produkte liefern, auf das Kopieren von Hochleistungstieren oder auf das gezielte "Einprogrammieren" gewünschter Eigenschaften in das Genom von Tieren. Tierzucht wird noch mehr zu einer Fabrikation von identischen Organismen mit gleichen genetischen Eigenschaften, zur Herstellung von biologischen Markenprodukten. Die Vielfalt wird weiterhin abnehmen - und möglicherweise werden die Mikroorganismen so eine ideale Umwelt finden, um sich massenhaft als Parasiten zu vermehren, was natürlich wieder den Genfirmen zugutekommt, weil sie im biologischen Wettrüsten gleichziehen müssen.

The copyright laws dealing with cloning misleadingly lead us to believe that we are entering a century where private property will become even more a centerpiece of our society. Our computer technology, and our ability to privately make exact replicas is leading us far, far away from a society that can be in any sense copyrightable.

Hillel Schwartz - The Culture of the Copy

Natürlich werden die ersten menschlichen Klone - aber wer weiß? - keine Doppelgänger eines Individuums sein, sondern nur dazu dienen, beispielsweise beschädigte Organe oder Zellstrukturen eines Menschen durch nachwachsende Teile zu ersetzen. Man könnte beispielsweise hirntote, aber ansonsten identische Nachkommen ziehen, sie einfrieren und sie dann bei Bedarf als Ersatzteillager benutzen - wenn denn jemand das Geld besitzt, das alles zu bezahlen.

Werden sich vielleicht die Unterhaltungsindustrien genetische Doubles ihrer Stars beschaffen, die dann in Filmen, Disneyworlds oder Themeparks weiterleben - und nicht bloß als digitale Klons? Werden Eltern, die ein Kind verloren haben oder die unfruchtbar sind, ein neues Kind klonen - und dabei gleich darauf schauen, daß man deren genetische Ausstattung dem gewünschten Ideal eines perfekten Kindes anpaßt? Wenn man seinen Liebespartner verloren hat, wird das allerdings schwieriger sein, denn er muß immer noch erst biologisch erwachsen werden. Für die Lolita-Liebhaber wäre dies aber eine neue Chance, stets neue und frische Duplikate im richtigen Alter zur Verfügung haben. Die Frage ist ganz allgemein, welchen rechtlichen Status die Klone haben werden. Wie schon Huxley spekuliert hat, könnte man durchaus eine Schicht von Klonen schaffen, die niedrige Arbeiten oder spezielle Funktionen erfüllen, eine neue Klassengesellschaft also, wenn das mit dem Bau von Robotern zu schwierig und zu teuer wird. Vielleicht könnte man ja seine Klone auch dazu benutzen, sie ferngesteuert als eine Art biologisch reale Avatare in gefährliche oder heikle Situationen zu schicken. Politiker oder Manager könnten an vielen Orten zugleich sein, Armeen würden aus lauter Klonen bestehen, während die Originale in ihren Bunkern sitzen. Auch ein Banküberfall ließe sich durch ein gehorsames Klon ausführen. Arbeitsteilung wäre nicht mehr nur gesellschaftlich möglich, sondern auch auf der Ebene des Individuums: man schickt einfach seinen Klon zu Arbeit, den anderen läßt man die Hausarbeit verrichten, während das Original sich auf den Bahamas sonnt.

Aber wie ist es, wenn man sich selbst einen geklonten Doppelgänger oder Nachfolger wachsen lassen will? Bei dieser Überlegung wird sofort klar, daß genetische Identität - ähnlich wie bei eineiigen Zwillingen - noch lange nicht bedeutet, daß die Doppelgänger auch die gleiche Persönlichkeit besitzen. Sie wachsen nicht nur in einer anderen uterinen Umgebung auf, sondern werden sich auch durch die Umwelt ganz anders entwickeln. Man müßte es denn schon schaffen, die während eines Lebens gespeicherte Erfahrung und gewachsene Persönlichkeit, also die ganze, in diesem Prozeß wirkende Kontingenz einer einmaligen Geschichte, in das Körperdouble einzupflanzen oder upzuloaden. Dann könnte es wirklich interessant werden: mit der Existenz von vielen, wirklich gleichen Klonen oder der Wiederauferstehung als Klon. Bislang zeigt die Möglichkeit des Klonens jedoch eher, daß die genetische Determination für das, was eine Person ausmacht, an Bedeutung verliert.

Nach einer Untersuchung meinen derzeit noch 87 % der Amerikaner, daß das Klonen von Menschen geächtet und unter Strafe gestellt werden solle, aber immerhin 6 % würden es begrüßen, wenn man sie klonen könne. Wenn es um Medikamente, Transplantate oder andere medizinische Vorteile geht, sind immerhin 71 % der Menschen für die weitere Erforschung der Technik. Das wird jedenfalls der Einstieg in das Klonen von Menschen sein.

Die Männer allerdings, die jetzt zu biologisch überflüssigen Wesen werden, hat man nicht gefragt, wie sie ihr Verschwinden von der Bühne der sexuellen Reproduktion finden. Man braucht sie nicht mehr, um Kinder herzustellen. Ihre Haltung wird zu einem Luxus, wenn sich Reproduktion und sexuelle Lust ganz trennen. Virtueller Sex könnte Erwartungen schaffen, wenn schon wirklichen Sex zu haben, dann mit dem Körper eines Mannes, der alle Erwartungen befriedigt und keinen Makel besitzt, also etwa vorzeitig schlaff macht. Endlich werden Männer zu eben jenem Lustobjekt, das die Frauen schon immer in einer von Männern beherrschten Gesellschaft gewesen sein sollen: sie müssen sich ganz und gar dem Bild angleichen, das frau sich von ihnen macht. Zumindest bis jetzt sind Frauen noch unverzichtbar, solange Eizellen nicht in einem künstlichen Uterus wachsen können. Aber möglicherweise steht das auch bald vor der Tür und die beiden Geschlechter sind nur noch ein biologischer Anachronismus, dessen Mängel man gleichfalls mit der Gentechnik oder anderen Mitteln abhelfen kann, um die aus der sexuellen Vereinigung stammende Lust anders und besser zu befriedigen.