Donbass: Medien auf Eskalationskurs
Im Donbass stehen die Zeichen auf Eskalation. Einseitige Kriegsberichte haben dabei wie 2014 die Information ersetzt. Das gilt für den deutschen wie den russischen Mainstream
Im Rahmen der starken politischen Spannungen zwischen Russland auf der einen und dem Westen mit der Ukraine auf der anderen Seite bleibt auch die Situation vor Ort im Donbass explosiv. Was dort im Einzelnen geschieht, ist anhand von Presseberichten teilweise schwer festzustellen, da aus dieser Region je nach Einstellung des Journalisten sehr unterschiedlich berichtet wird.
So stammen die meisten Berichte deutscher Medien aus dem von der Regierung kontrollierten Teil und wirken, als sollten sie die ukrainische Kampfmoral – und die Unterstützung der Deutschen – stärken, die russischen Medien berichten wiederum meist unterstützend aus der Sicht der Rebellen. Grenzgänge auf die andere Seite der Front sind selten, nicht immer echt und bringen nicht immer in jeder Richtung gleichermaßen Erhellendes.
ARD: Donbass-Berichte aus der Ferne, aber mit scheinbarem Durchblick
So berichtet Anna Beer von der ARD-tagesschau scheinbar aus den Separatistengebieten unter der Überschrift "In Donezk und Lugansk regiert die Angst" von "Willkürhaft und Folter". Tatsächlich vor Ort ist sie nicht, beklagt aber, das aus dem Gebiet "kaum Nachrichten dringen", als sei eine direkte Berichterstattung unmöglich.
Aus dem Kleingedruckten im Artikel geht hervor, dass sich die schreibende Mitarbeiterin des ARD-Studios Moskau derzeit in Kiew aufhält - mehr als 700 Kilometer von der fraglichen Region entfernt, also etwa so weit wie Berlin von den bayerischen Alpen.
Ihre Kronzeugen sind aus dem Donbass stammende Anhänger des Euromaidan, die von massiven Menschenrechtsverletzungen erzählen, die sie selbst erfahren hätten. Diese Erzählungen an sich sollte man nicht generell in Zweifel ziehen, denn in der Ukraine geht es offenen Anhängern des Euromaidan in den Rebellenrepubliken wohl nicht besser als prorussischen Ukrainern im Regierungsgebiet.
Russland nutzte ja erst im Sommer des letzten Jahres die Möglichkeit, die Kiewer Regierung beim Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte wegen Einschränkungen der Meinungsfreiheit und Diskriminierung der russischsprachigen Bevölkerung zu verklagen.
Der Tagesschau-Artikel erweckt jedoch den Eindruck, dass die gesamte Bevölkerung des Rebellengebiets vor der "Besatzungsverwaltung" (Zitat aus einem weiterem ARD-Bericht) in Angst und Schrecken lebt. Hier ist der Eindruck anderer Berichterstatter, die sich im Gegensatz zu den ARD-Reportern persönlich ein Bild vor Ort gemacht haben, anders.
Das gilt etwa für die freie Journalistin Alina Lipp, die selbst seit vier Monaten in Donezk ist und von der Einstellung der dortigen Bevölkerung im Gespräch mit Telepolis berichtet:
Die Bevölkerung ist dort zu, ich würde sagen 99 Prozent, prorussisch und gegen die Ukraine eingestellt. Das kann ich wirklich so hart ausdrücken. Ich habe noch keinen einzigen Menschen getroffen, der proukrainisch war.
Alina Lipp aus dem Donbass gegenüber Telepolis
Die Erklärung sieht Lipp darin, dass das Rebellengebiet und seine Bevölkerung in den Randbereichen immer wieder durch die Ukrainische Armee unter Beschuss genommen wird, was nachhaltig meinungsbildend wirkt. Dabei geraten laut Lipp auch Schulen und Kinder ins Kreuzfeuer. Sorgen macht man sich deshalb auch nach anderen Berichten wegen einer möglichen Eskalation.
Die Menschen verfallen zwar nicht in Panik, aber befinden sich in depressiver Stimmung. Das gilt nicht für alle, aber wenn überall Leute in Deinem Umfeld sagen, bald passiert etwas Schlimmes, spüren selbst Menschen wie wir, die seit acht Jahren Krieg gewohnt sind, einen gewissen Druck.
Alexander Naumow aus Donezk laut dem Portal BFM.ru am 25. Januar
Alina Lipp, die Nachrichten aus dem Rebellengebiet beschafft, arbeitet wiederum für verschiedene deutsche Alternativ- und russische Staatsmedien, deren Sympathien eher auf der Seite der Rebellen liegen.
Doch schon die Tatsache, dass 720.000 Bewohner der Volksrepubliken sich inzwischen einen angebotenen russischen Pass geholt haben, spricht viel von der Verteilung der Sympathie in diesem Gebiet. Lipp stammt nicht aus dem rechten Umfeld, das für gewöhnlich als alleinige deutsche Stütze der Rebellen gesehen wird. Als russischstämmiges, früher aktives Grünen-Mitglied zeigt sie sich enttäuscht von der aktuellen deutschen Regierungspolitik.
Ich bin geschockt, was aus den Grünen geworden ist. Die Grünen waren einmal eine Anti-Kriegspartei. Inzwischen sind sie sogar das genaue Gegenteil davon.
Alina Lipp gegenüber Telepolis
Nutzung betont einseitiger Quellen
So gibt es also die Möglichkeit direkter deutscher Berichterstattung aus dem Rebellengebiet. Lipp gibt sogar an, sich außerhalb der "Grauen Zone" - dem unmittelbaren Hinterland der Front - völlig frei bewegen zu können, obwohl sie zu Beginn ohne Medienauftrag eingereist sei.
Zur Kontaktlinie mit den Regierungstruppen müsse man Straßenposten der Rebellen passieren – und dort lebten die Menschen unter katastrophalen Bedingungen mitten im Krieg, sodass schon Kinder Geschosstypen und ihr Kaliber an ihrem Klang erkennen könnten.
Doch bei der ARD, die ihrem Anspruch nach viel Wert auf Ausgewogenheit legen müsste, kommt sogar bei Berichten über die "Gegner" nur die Sichtweise der "eigenen Seite" vor, berichtet aus dem ukrainischen Hinterland. Entsprechend werden die Quellen gewählt. Ihr einseitiges Bild von der Situation in den Rebellenrepubliken bezieht etwa Frau Beer von einem Kiewer Zentrum, dessen Finanzierung aus Mitteln der US-Regierung, der EU und der "Open Society Foundation" von George Soros gesichert ist.
Als überzeugten Anhängern des Euromaidan geht es den Aktivisten dort hauptsächlich darum, ihre Kontrahenten der Missachtung der Menschenrechte zu überführen und nicht etwa die eigene Seite.
Auch ein zweiter ARD-Bericht - mit Autor in Moskau - bezieht seine Informationen aus dem gleichen Umfeld. Zitiert wird der US-Regierungssender "Radio Svoboda", sonst "Radio Liberty" genannt, den sogar der Deutschlandfunk der "Propaganda im Auftrag der CIA" bezichtigt.
Der von dort zitierte "Blogger" arbeitet für einen Radiosender, der zum Familienimperium des ukrainischen Politikers Andrij Sadovy gehört. Dessen Partei unterstützt wiederum im Osten des Landes das berüchtigte Freiwilligenbatallion Donbass (jetzt Teil der Nationalgarde) in seinem Einsatz gegen die Rebellen. Diesem wurden selbst mehrfach massive Menschenrechtsverletzungen vor Ort vorgeworfen.
Wenn Neonazis schlicht zur "Spezialeinheit" werden
Gerade bei diesen kämpfenden Einheiten im Donbass ist der Sprachgebrauch der Berichterstattung großer deutscher Medien mehr als grenzwertig. Während die Rebellen in deutschen Leitmedien stets mit düsteren Vokabeln bedacht werden, ist man bei der "eigenen Seite" geradezu unheimlich großzügig.
So ist im Fall einer weiteren Einheit der Regierungstruppen, dem früheren Freiwilligenbataillon Asow, hinlänglich bekannt, dass es sich aus Rechtsextremisten aus ganz Europa rekrutiert. Euphemistisch wird hier etwa in der Berliner Zeitung eine solche Truppe als "Spezialeinheit der Ukrainischen Nationalgarde" bezeichnet.
Selbst die seriöse Tagesschau gebrauchte in einem Beitrag zunächst diese verharmlosende Beschreibung, als sie auf Facebook von einem "Grundkampftraining" dieser Einheit für die Zivilbevölkerung berichtete. Erst im Nachhinein wurde das Wörtchen "ultranationalistisch" hinzugefügt. Telepolis hat bei der zuständigen Redaktion nach dem Grund für die Änderung gefragt und erhielt folgende Antwort:
Der Beitrag wurde während der "Feedkritik" in der Redaktionskonferenz besprochen. Es gab dazu verschiedene Wortmeldungen, die zu einer Konkretisierung des Postings führten
Antwort des NDR vom 16.02.2022 auf die Anfrage von Telepolis
Es ist also davon auszugehen, dass erst Zuschauerproteste zur Korrektur der verharmlosenden Darstellung führten.
Auch Moskau eskaliert aktuell
Hier soll nicht verschwiegen werden, dass mächtige Kräfte in Russland aktuell ebenfalls zur Polarisierung und Eskalation der Situation im Donbass beitragen. So etwa mit einer nun verabschiedeten Duma-Initiative, wonach die Rebellenrepubliken als unabhängige Staaten anerkannt werden sollen. Der russische Geopolitik-Experte Andrej Kortunow, Generaldirektor des Russischen Rates für Auswärtige Beziehungen, kritisiert diese Maßnahme heftig.
Zum Beispiel wäre die Anerkennung der Donbass-Republiken ein schwerer Schlag für Kiew, aber auch ein Schlag gegen die Vereinbarung von Minsk. Über deren Beibehaltung zu sprechen, würde sehr schwierig werden."
Andrej Kortunow in der Moskauer Deutschen Zeitung
Dementsprechend hat Kiew diese Initiative bereits als Bruch der Minsker Vereinbarung gewertet und einen neuen offenen Krieg deshalb explizit nicht mehr ausgeschlossen. Hier kann man in der Tat einmal dem deutschen Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) beipflichten, dass die Anerkennung der Volksrepubliken durch Russland eine "Katastrophe" wäre, was übrigens in nichtstaatlichen russischen Medien Widerhall findet.
Stramm auf Kurs - unter anderem beim Sprachgebrauch für die gegnerische Kriegsseite - stehen jedoch sowohl die staatlichen und regierungsnahen Medien Russlands als auch der deutsche Mainstream. So stehen die Zeichen im Donbass wie in der "Etappe" im Westen und Russland weiter auf Eskalation – und weder die etablierte Politik noch ein Großteil der Presse stellen sich wirksam dagegen, sondern scheinen eher mit einem möglichst großen Maß an Einseitigkeit ihren Teil dazu beitragen zu wollen.