Doping aus der Küche? Warum Sportler jetzt Natron schlucken
Natron erobert die Sportwelt als legaler Leistungsbooster. Das simple Backpulver soll Muskelkater reduzieren und die Ausdauer steigern. Doch der Trend hat Tücken.
Es gibt Sportler, die, anspruchsvoll genug, einfach nur in Form bleiben wollen. Das heißt nicht unbedingt, dass sie auf den ersten Blick danach aussehen. Eine nicht unübliche Erscheinung in Schwimmbädern etwa sind Männer und Frauen mit allerhand freundlichen Kurven dort, wo unbedarfte Fitnesstrainer und Internet-Grafiken Problemzonen identifizieren.
In Form sein: Stil
Auch Schwimmer, auf deren Bahnen sich die offensichtlichen Genussmenschen die Schwimmbrille aufziehen, mögen hier zu vorschnellen Urteilen geraten, zumindest bis sie dann spätestens auf Bahn zwei von jemandem überholt werden, die oder der eine Technik hat, die mit zwei kräftigen Armzügen und einer lässigen, dem Element spielerisch zugewandten Wasserlage sehr viel weiter kommt als die Muskelpakete, die Kraft und Ausdauer viel weniger effizient einsetzen können.
In Form sein: Lifestyle
Und es gibt Sportler, die das Freizeitvergnügen ambitionierter angehen. Nach dem Motto: Mein Körper ist ein Sportwagen, von mir seht ihr nur die Rücklichter, bestenfalls kurz das Sixpack und sowieso: den Willen zur perfekten Performance.
Auch hier sollte man nicht zu schnell urteilen. Es gibt nette Menschen mit der Sixpack-Willenspower, die morgens um fünf Uhr aufstehen, Natron zur Banane löffeln und zehn Kilometer laufen, bevor sie sich in Quanteninterferenzen einlesen, um ihr Gehirn zu trainieren.
Beides sind extreme Typen. Dafür gibt es Märkte, zumal Sport als Lifestyle gerade wieder neu entdeckt wird. Für die Hedonisten sind es Wochenmärkte und Konditoreien. Davon soll hier nicht die Rede sein. Und auch nicht von Anabolika.
Doch gibt es zwischen den genannten Extremtypen ein breites Feld an Sportlern mit einer Neugierde auf leistungssteigernde Mittel, die in Backpulver anderes sehen als Konditoreien und die legal frei erhältlich sind.
Fitness-Booster: Was bringt Natriumhydrogencarbonat?
Die Zahl der Produkte ist kaum überschaubar, jeder, der Google schon zu viel von seinen Sportinteressen verraten hat, kennt das: Der Überblick ist schwer. Welche Mittel sind das und was bringen sie wirklich?
So wird etwa Natriumhydrogencarbonat, auch bekannt als Natron, das auch in backpulver steckt, derzeit als leistungssteigernder Trend gehypt (etwa hier und hier, manche begnügen sich mit der Darstellung als probates Hausmittel gegen Sodbrennen oder andere Beschwerden).
Wundermittel im Ausdauersport
Der Spiegel porträtiert das Hausmittel als Wundermittel im Ausdauersport. Er berichtet von einer Studie des Sportwissenschaftlers Eli Shannon, in der Radfahrer 40 Kilometer zurücklegten- Sie zeige, dass Natron nicht nur bei kurzen, intensiven Belastungen, sondern auch bei längeren Strecken Vorteile bieten könnte.
Natron könnte, so entnimmt man dem Bericht, ähnlich wie Kohlenhydrate und Koffein, zum festen Bestandteil im Ernährungsplan von Sportlern werden. Die Aufnahme von Kohlenhydraten ist bei Ausdauersportlern bereits gestiegen, und nun wird mit Natron experimentiert.
Andy Sparks von Maurten, einem Unternehmen, das Nahrungsergänzungsmittel herstellt, berichtet, dass Athleten, die ihre Produkte verwenden, im Training mit Natron experimentieren und es auch abseits der empfohlenen Anwendung versuchen, um sich einen Wettbewerbsvorteil zu verschaffen.
Die Forschung stehe aber noch am Anfang, und es sei unklar, ob sich Natron dauerhaft in der Sportlerernährung etablieren wird, aber die Bestrebungen, die Leistungsgrenzen auszutesten, sind unverkennbar. Es bleibt abzuwarten, welche weiteren Erkenntnisse über die Wirkweise und potenzielle Nachteile von Natriumhydrogencarbonat gewonnen werden können.
Weniger Muskelkater, aber Vorsicht
Als Vorteil von Natriumhydrogencarbonat wird angeführt, dass es die Milchsäurebildung in den Muskeln reduziere. So würden Ermüdung und Muskelkater verzögert oder verringert. "Besonders bei Ausdaueraktivitäten und Kampfsportarten sowie intensivem Radfahren, Laufen, Schwimmen und Rudern kann Natron die Leistung steigern", berichtet die Stuttgarter Zeitung.
Allerdings werden in Studien auch Nebenwirkungen erwähnt, die durch einen überenthusiastischen Konsum, wie er bei Sportlern durchaus vorkommen kann, oder durch bestimmte körperliche Dispositionen entstehen kann: Magen-Darm-Probleme, Übelkeit, Erbrechen und Durchfall, wie der Spiegel berichtet.
Dort wird der Sportwissenschaftler Shannon mit den Worten zitiert: "Wenn in Studien keine Leistungssteigerung durch Natriumhydrogencarbonat festgestellt wurde, lag das in der Regel daran, dass die Nebenwirkungen die Vorteile zunichtegemacht haben."
Was Wissenschaftler empfehlen
Eine wissenschaftliche Studie von 2022 bestätigt: "Die häufigsten Nebenwirkungen einer Natriumhydrogencarbonat -Ergänzung sind Blähungen, Übelkeit, Erbrechen und Bauchschmerzen." Es heißt aber auch, dass die Häufigkeit und der Schweregrad der Nebenwirkungen von Person zu Person variieren und im Allgemeinen gering ausfallen. "Dennoch können sich diese Nebenwirkungen nach einer Natriumhydrogencarbonat-Supplementierung negativ auf die sportliche Leistung auswirken."
Empfohlen wird die Einnahme in kleineren Dosen (z. B. 0,2 g/kg oder 0,3 g/kg), etwa 180 Minuten vor dem Training oder "die Anpassung des Zeitpunkts je nach individuellem Ansprechen auf Nebenwirkungen, zusammen mit einer kohlenhydratreichen Mahlzeit und in magensaftresistenten Kapseln".
Insgesamt wird die angemessene Einnahme als positiv bewertet: "Eine Supplementierung mit Natriumhydrogencarbonat (in Dosen von 0,2 bis 0,5 g/kg) verbessert die Leistung bei muskulären Ausdaueraktivitäten, verschiedenen Kampfsportarten, einschließlich Boxen, Judo, Karate, Taekwondo und Ringen, sowie beim Radfahren, Laufen, Schwimmen und Rudern mit hoher Intensität."