Doppelter Maßstab?

Die Türkei, Iran, die USA, die Kurden und die Clans

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Leicht wird es für die USA nicht, im Konflikt zwischen ihrem Nato-Verbündeten Türkei und ihren verlässlichsten Verbündeten im Irak, den Kurden, zu schlichten. Die Situation ist sehr komplex. Und sie wird nicht einfacher, wenn man das spiegelbildliche Äquivalent zum Konflikt an der westlichen Grenze Iraks betrachtet: den Konflikt an der östlichen Grenze der autonomen kurdischen Gebiete, zwischen dem PKK-Abkömmling PJAK (vgl. Der Teufel auf dem Hügel) und iranischen Streitkräften. Generell stellt sich die Frage, wer im lange Zeit so gerühmten Demokratie- und Fortschritts-Modell Kurdistan, das sich nun als mögliches Pulverfass zeigt, über ausreichend verlässliche Kontrolle verfügt, die Stabilität und Frieden garantieren kann. Oder anders formuliert: Welche Macht hat Masud Barsani über die PKK?

Der Konflikt schwelt schon lange, jetzt hat er sich zugespitzt: Immer wieder schwärmen Kämpfer der PKK vom irakischen Kurdistan aus illegal über die Grenze in die Türkei aus und verüben dort Anschläge, denen türkische Soldaten zum Opfer fallen – zuletzt 12 Männer Ende vergangener Woche. Nach solchen Anschlägen kehren die PKK-Leute angeblich wieder in den Nordirak zurück, wo ihnen Unterschlupf gewährt wird. Die türkische Regierung hat mehrmals darauf gedrängt, dass diese Praxis von irakischen Regierungsverantwortlichen unterbunden wird, bzw. dass ihr die Führer solcher terroristischen Anschläge ausgeliert werden. Seit letzter Woche gibt es einen Parlamentsbeschluss, welcher der türkischen Regierung das Mandat gibt, Truppen in den Norden Iraks zuschicken, um das PKK-Problem quasi an der Quelle zu lösen.

Damit reiht sich der irakische Norden, der in den letzten Jahren von den Amerikanern als modellhaft für die friedliche Demokratisierung Iraks nach Saddam Hussein präsentiert wurde, ein in jene Krisengebiete im Irak, welche die Nachbarländer in komplizierte, gefährliche Konflikte ziehen können.

Während die USA in diesem Konflikt zum einen sich zur Position des Nato-Partners Türkei solidarisch verhalten muss und zum anderen ihren strategisch im Irak so wichtigen kurdischen Partnern nicht allzustreng in die Parade fahren kann, sieht der Konflikt an der anderen Grenze der irakischen Kurdengebiete sehr ähnlich aus, allerdings ohne jene Zwickmühlen für die USA.

Im Osten ist es die PJAK, eine Filiale der PKK, die in ausländisches Territorium einmarschiert, um dort jene Soldaten anzugreifen und zu töten, die der nationalen Sache – Kurdistan – im Wege stehen. Das Land heißt Iran und befindet sich im kalten Krieg mit den USA. Weshalb sich hier eine ganz andere Logik ergibt: Die PJAK wird von den USA weniger als terroristische Vereinigung behandelt als die PKK; man munkelt gar über inoffizielle Beziehungen mit offiziellen Vertretern (vgl. dazu auch Herzliche Beziehungen zu Terroristen). Dies behauptet auch ein PJAK-Führer gegenüber der New York Times:

But while the Americans call the P.K.K. terrorists, guerrilla commanders say P.J.A.K. has had “direct or indirect discussions” with American officials. They would not divulge any details of the discussions or the level of the officials involved, but they noted that the group’s leader, Rahman Haj-Ahmadi, visited Washington last summer.

Während im Westen auch Stimmen zu hören sind, wonach die türkische Armee sogar das moralische Recht habe, in den Nordirak einzumarschieren, um den PKK-Terroristen das Handwerk zu legen, sind solche anwaltschaftliche Stimmen für Iran in der Öffentlichkeit nicht zu hören. Und doch ist der Blutzoll für das Land hoch.

Über den iranisch.kurdischen Konflikt ist kaum etwas zu hören. Doch steht es um die Kenntnis des anderen, türkisch-kurdischen, Konflikts tatsählich besser?

Ungeklärt ist zum Beispiel die Rolle Barsanis und wieviel Macht er tatsächlich über welche kurdischen Stämme hat. So wird der Kurdenführer zwar von politischen Kräften in der Türkei und vielen Medien als Schlüsselfigur in diesem Konflikt herausgestellt, womit unterstellt wird, dass der Mann die Macht habe, die PKK-Sprengel im irakischen Kurdistan zu kontrollieren. Woher man aber diese Gewißheit nimmt, ist unklar. Mit den Huldigungen des demokratischen irakischen Nordens wurde ganz vergessen, was lange Zeit als typisch für diese Region galt: Dass die Kurden eine nach Stämmen ("Asiret") gegliederte und organisierte Vokksgruppe sind.

Man kann davon ausgehen, dass sich daran trotz Bemühungen um staatliche und zivilgesellschaftliche Strukturen in den letzten vier Jahren, seit dem Einmarsch der USA und ihrer Verbündeten, nichts Entscheidendes verändert hat. Die demokratischen Institutionen funktionieren oft weniger nach formellen als nach informellen Regeln und Strukturen. So stehen die beiden großen Parteien, PUK und KDP, welche die irakische Kurdenregion beherrschen, weniger für unterschiedliche politische Programme als für die beiden führenden Clans.

Wem gilt welche Loyalität? Mit relativ hoher Wahrscheinlichkeit ist anzunehmen, dass die Loyalität eben nicht unbedingt den demokratischen Institutionen gilt, sondern eher bestimmten Personen. Es ist zumindest zweifelhaft, dass die Kämpfer der PKK allesamt dem Barsani-Clan Gefolgschaft leisten, wie es überhaupt schwierig sein dürfte, die Loyalitäten und Hierarchien der PKK-Kämpfer (und der Peschmerga-Kämpfer) im Einzelnen zu klären.

Es ist also fragwürdig, ob Barsani oder ein anderer kurdischer Politiker im Nordirak selbst bei guten Willen in der Lage wäre zu garantieren, dass den PKK-Kämpfern, denen große Sympathien in der kurdischen Bevölkerung (und bei manchen Peschmerga-Truppen) nachgesagt werden, weder Unterschlupf noch Hilfeleistungen gewährt werden.