Dot-Commers, Dot-Goers

Der Dokumentarfilm "Startup.com" zeigt mehr als nur den sensationellen Erfolg und das abrupte Ende von GovWorks.com

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Startup.com, der morgen in amerikanischen Kinos startet, ist wie eine Achterbahnfahrt durch die Geschichte der Dot-Com-Booms und -Pleiten, noch bevor diese ihren absoluten Tiefststand erreicht haben. Die Filmemacher nennen die Dokumentation über die Internet-Firma GovWorks "den Aufstieg und Niedergang des Amerikanischen Traums", aber der Film ist vor allem eine recht unbequeme Nahaufnahme vom Internet-Wahnsinn der letzten Jahre.

Die Hauptpersonen dieser Chronik sind keine Gordon Geckos und sehen dankenswerterweise auch nicht aus wie Matt Damon und Ben Affleck - lediglich etwas besser als der Durchschnitt dieser Leute, die von dem brennenden Ehrgeiz beseelt sind, stinkreich zu werden, noch bevor sie die 30 erreicht haben. Menschen wie du und ich also.

Anfang 1999 kündigt der charismatische, nach Höherem strebende Kaleil Isaza Tuzman, 27, seinen sicheren und gut dotierten Job bei Goldman Sachs, um seinen Dot-Com-Traum zu verwirklichen. Zusammen mit Tom Herman, 28, Technik-Freak und von Kind auf bester Freund von Kaleil, gründet er GovWorks.com, insgesamt gerade acht Mann und 200.000 Dollar stark. Nach längerer Überlegung halten die beiden ein Portal für Transaktionen zwischen örtlichen Regierungsstellen und den Bürgern für die geniale, erfolgsversprechende Idee.

Die anfängliche Vision der GovWorks-Gründer ist also nicht gerade weltbewegend, und beschränkt sich zunächst auch darauf, das Bezahlen von Strafzetteln zu vereinfachen. Aber in kurzer Zeit gelingt es ihnen, den Service der Regierung zu verbessern und können damit das Verhältnis der Bürger zu ihrer örtlichen Verwaltung nachhaltig verändern.

In einer Mischung aus harter Arbeit, blindem Vertrauen und einer Portion Glück mausert sich das Start-up-Unternehmen in kürzester Zeit mit 15 Millionen Dollar an Investitionen zu einem der vielversprechendsten in der Branche. Auf der Höhe ihres Erfolgs, mit 250 Beschäftigten und fast 40 Millionen Dollar Kapital, wird GovWorks.com von Forbes, SmartMoney und der New York Times als a sure thing gehandelt.

Rückblickend wirkt eine derartige Einschätzung zwar mehr als blauäugig, die Investoren zu der Zeit waren sich jedoch sicher, diese Firma hätte immerhin "das größte unbekannte Terrain im Netz" aufgetan. Eine Multi-Millionen-Dollar Gelegenheit also, die man besser nicht verpassen sollte.

Es erscheint nur naheliegend, dass diese Internet-Luftblase nun auf der Leinwand zerplatzt, haben doch die stürmischen 90er-Jahre aus Geschäft Unterhaltung gemacht und umgekehrt. Als beim Aufschwung des Börsenmarkts Millionen von Amerikanern selbst zu ihren eigenen Managern wurden, schalteten die Fernseher der Nation auf Wirtschaftssender wie CNN, und die Internet-Manager wurden zu Stars.

Die Filmemacher von "Startup.com" sind die Regisseurinnen Jehane Noujaim und Chris Hegedus. D.A. Pennebaker fungiert als Produzent. 1994 wurden Hegedus und Pennebaker für ihren Dokumentarfilm "The War Room" über Bill Clintons Wahlkampagne für einen Oscar nominiert. Pennebakers bekanntester Dokumentarfilm dürfte jedoch "Don't Look Back" sein, bei dem er 1967 Bob Dylan auf dessen Tour durch Großbritannien folgte.

Diese Freundschaft gestattet den Filmemachern einen ungewöhnlichen Grad an Nähe in prekären Momenten mit Kaleil in seinem engsten Kreis von Geschäftspartnern und Freunden. Im einprägsamen Stil von MTV's "The Real World" finden die besten Szenen im Bade- und Schlafzimmer, im Auto, Lift oder auch in einem Fitnesscenter statt. Dabei wird hier nicht einfach nur die Geschichte eines beliebigen weiteren Dot-Com-Unternehmens nacherzählt. "Startup.com" erstellt auch ein genaues Portrait der Freundschaft zwischen Kaleil und Tom, einer Beziehung, die sich inmitten Firmengründung und privatem Leben einer unwiderruflichen Wandlung unterziehen musste.

Ich hatte von diesen Kindern gehört, die mit Ideen ankommen und dann damit millionenschwer weggehen. Diese Vorstellung klang einfach verrückt für mich. Ich hatte das Gefühl, diese Generation ist Teil von etwas völlig Neuem und Interessantem, von etwas, das ihnen allein gehört. Dabei dachte ich, der Film würde von Menschen handeln, die große Risiken eingehen, viel Geld verlangen und es auch bekommen, und mehr oder weniger davon, was das aus ihnen macht.

Chris Hegedus, Regisseurin

Das schnelle Tempo und die Dialog-Passagen des Films sind so genau und treffend, dass es oft schwer fällt, zu glauben, dass hier nicht nach einem Drehbuch inszeniert wurde. Natürlich ist es dabei gleichzeitig unmöglich, nicht schon von Beginn an zu wissen, dass GovWorks zum Untergang verurteilt ist. Wäre dies ein frei erfundener Film, würden die bedeutungsschweren Vorahnungen über das unausweichliche Ende ihm dramaturgisch schon vorab den Rest geben. Dabei hatten im Mai 1999, als die Dreharbeiten begannen, die beiden Regisseurinnen noch nicht die geringste Ahnung davon, wohin diese Geschichte führen würde.

Der Film fängt mit Tuzman an, der seinen 300.000-Dollar-Job verlässt, und folgt ihm und Herman, dem eher zurückhaltenden Familienmenschen, bei dem Versuch, sich über das Management ihrer Firma zu einigen und gleichzeitig ihre Freundschaft aufrecht zu erhalten. Als sich die Lage zuspitzt, darf man mitansehen, wie Tuzman mithilft, seinen Freund aus der Firma zu drängen. Ebenso dokumentiert ist, wie Tom in Kaleils Büro unter Tränen zusammenbricht.

Laut der Regisseurin Noujaim war es sehr schwierig, weiterzufilmen, sobald GovWorks auf den Untergang zusteuerte.

Das ist irgendwie schizophren. Ein Teil von dir sagt ‚das gehört zu der Geschichte' und ein anderer Teil ‚vielleicht sollte ich das nicht filmen, das ist alles so privat'. Manchmal willst du dich auch einmischen, aber du weißt, dass die Situation zu kompliziert ist. Es zerreißt dir das Herz.

Jehane Noujaim, Regisseurin

So wie sich Tuzman zwischen seiner Firma und seinem Freund entscheiden musste, war es auch für Noujaim die Wahl zwischen ihrem Freund und der Gelegenheit, ihren ersten Film zusammen mit den rennomierten Dokumentarfilmern Hegedus und Pennebaker machen zu können.

Auf diese Weise ist es ein besserer Film geworden, aber du fühlst dich ganz scheußlich wegen der Leute in dem Film, auf deren Seite du die ganze Zeit bist

Chris Hegedus

Chris Hegedus und Jehane Noujaim sind den beiden Firmengründern mehr als ein Jahr lang 18 Stunden am Tag auf Schritt und Tritt gefolgt. Wegen der Unberechenbarkeit der Ereignisse muss Noujaim aber auch oft mitten in der Nacht noch mal aus dem Bett: "Vieles von diesem Film habe ich im Pyjama gedreht." Schließlich sind es mehr als 400 Stunden Material. Pennebaker: "Wir haben sicher mehr als 25 verschiedene Schnittversionen angelegt."

Genauso wie die Euphorie der Internet-Investoren immer mehr nachlässt, geht wohl auch die Geduld der Öffentlichkeit gegenüber diesem Thema seinem baldigen Ende entgegen. In den Kinos jedenfalls ist, sobald ein Trailer diesen Film ankündigt, hauptsächlich laut vernehmliches Stöhnen die Reaktion. Waren die Filmemacher scheinbar genau zur richtigen Zeit am richtigen Ort, um die Entwicklungen dieser Branche einzufangen, sind sie möglicherweise mit dem fertigen Film im Kino schon längst zu spät.

"Startup.com" läuft diese Woche in New York an, danach folgen San Francisco und später andere Großstädte - ein Filmstart, wie er nur ganz wenigen Dokumentarfilmen vorbehalten ist.

Mit den gerade stattfindenden problematischen Entwicklungen in der Wirtschaft des Landes und ihrem anhaltenden Aussterben von Hunderten von Internet-Firmen scheint "Startup.com" jedoch geradezu dazu verdammt, ein wichtiges historisches Dokument dieser Zeit zu werden.

Tuzman, heute 29, und Herman, 30, haben den fertigen Film inzwischen gesehen. Laut Hegedus findet Tuzman ihn "eine sehr ehrliche Darstellung von dem, was vorgefallen ist - auch wenn er glaubt, er selbst spiele die Rolle des Trottels darin. Für Tom, da ihm das alles noch so nahe geht, war es schwieriger, den Film anzuschauen." Außerdem merkt Tom kritisch an, dass die Dokumentation seine Vorrangstellung bei GovWorks.com für alle technischen Probleme, die es zu überwinden galt, herabsetzend dargestellt hätte. Tuzman ist am meisten beschämt darüber, zu sehen, was sein Rund-um-die-Uhr-Job seiner Beziehung zu erst einer, dann noch einer zweiten Freundin angetan hat: "Das mitzuverfolgen ist einfach unerträglich."

Sie sehen aus wie richtige Gentlemen, so erwachsen in ihren Anzügen und Kravatten. Aber sie sind es nicht. Es sind nur Kinder.

Dora, zu der Zeit Kaleils Freundin

Inzwischen haben Kaleil und Tom sich wieder versöhnt und arbeiten zusammen für die Recognition Group - eine Firma, die Internet-Firmengründern hilft, die ums Überleben kämpfen.